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Schatten unserer selbst

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Foto: Andrey Burmakin
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Am 8. Mai haben wir Deutsche den 80. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft durch die Alliierten feierlich begehen dürfen. Aber auch der Unrechtsstaat des braun lackierten 1000-jährigen Reichs, das bereits nach 12 Jahren unterging, brauchte Gesetze, um die Bevölkerung im Sinne seiner völkischen Gesinnung zu steuern und zu terrorisieren.

Diese Gesetze nebst Rechtsverordnungen hatten bekanntlich rassistische, antisemitische und diskriminierende Inhalte.

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Zwar lag Deutschland inklusive seiner Rechtsordnung nach dem 2. Weltkrieg in Trümmern und hob der Alliierte Kontrollrat mit seinem ersten Kontrollratsgesetz Hitlers Ermächtigungsgesetz am 20. September 1945 auf. Mit weiteren 61 Kontrollratsgesetzen wurde Deutschlands Gesetzessubkultur grundlegend entnazifiziert und das Fundament für eine demokratischen Verfassungsstaat gelegt.

Alle Spuren der NS-Kodifikation konnten die Alliierten hingegen nicht beseitigen.

Denn trotz der umfassenden Maßnahmen zur Entnazifizierung und der Schaffung einer demokratischen Rechtsordnung werfen einige Regelungen und Gesetzestrukturen aus der dunklen Zeit der Nazi-Herrschaft bis heute lange Schatten.

So existieren juristische Prinzipien und Formulierungen, die ursprünglich in dieser Zeit eingeführt wurden, weiterhin im deutschen Recht, wenngleich sie inzwischen inhaltlich völlig neu ausgelegt oder reformiert wurden.
Insbesondere bei Themen wie Eigentumsrecht, Verwaltungsrecht und Steuerrecht sind historische Spuren erkennbar, die Teil einer komplexen Aufarbeitung der Vergangenheit sind.

Hinzu kommt, dass die juristischen und gesellschaftlichen Folgen jener Zeit auch heute noch tiefgreifende Denkprozesse über die Verantwortung und die Rolle des Rechts anstoßen, wobei manifeste Relikte des NS-Unrechtsstaats bis heute überdauert haben.

Es bleibt eine Aufgabe der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, sich dieser Schatten unserer selbst bewusst zu sein bzw. noch bewusster zu werden, sie kritisch zu beleuchten und sicherzustellen, dass solche Strukturen niemals wieder in ihrem ursprünglichen Geist wirken können. So tragen Jura-Studierende trotz des Untergangs des NS-Regimes Spuren von leider bis heute fortbestehenden NS-(Un)Rechts mit der Schönfelder- Gesetzessammlung spazieren.

Der Namensgeber und ehemalige Herausgeber dieses Gesetzeskompendiums Heinrich Schönfelder war bis zu seinem Tod im Jahre 1944 NSDAP-Mitglied und Mitwirkender im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen.

Auch der Palandt als klassischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch hat ein damaliges NSDAP-Mitglied zum Namenspaten.

Auch – kaum zu glauben – ist der 1. Mai seit 1933 Ruhetag, und zwar im Sinne der NS-Doktrin als Tag der nationalen Arbeit. So rekurrieren Feiertagsregelungen der Länder auf NS-Gesetzgebung.

Einzig Nordrhein-Westfalen hat in seiner Landesverfassung den 1. Mai als Tag der Völkerversöhnung und Menschenwürde deklariert.

Das heute noch gültige Heilpraktikergesetz wurde 1939 unter Hitler erlassen, aber natürlich späterhin abgeändert, um auch jüdischen Menschen wieder den Zugang zum Beruf des Heilpraktikers zu ermöglichen.

Fast schon erschreckendes Überbleibsel aus der der dunklen NS-Zeit bilden die im Jugendgerichtsgesetz bis heute verankertes Zuchtmittel wie z.B. der bis zu 4 Wochen anzuordnende Arrest gemäß § 13 Jugendgerichtsgesetz. Bereits die Nazis wollten diese Maßnahme ausdrücklich nicht als Strafe, sondern erzieherisches (Zucht)Mittel verstanden wissen, was bis heute vor deutschen Jugendstrafgerichten problemlos angewandt wird.

Es heute und immer wieder in der politischen Diskussion: Das im Einkommenssteuergesetz verankerte Ehegattensplitting als – oh Schreck – sehr manifestes Vermächtnis der NS-Diktatur.

Zwar wurde 1957 ein Nachfolgeregelung des Ehegatten-Splittings kodifiziert, hingegen ganz in der Tradition des NS-Regimes, Frauen im heimischen Haushalt zu binden und von der Arbeitswelt fernzuhalten.

Und viele der geneigten Leser dieser Kolumne wird es wahrlich so überraschen wie bestürzen: Der Mordparagraph 211 des Strafgesetzbuches (StGB) ist waschechter Nazisprech! Diese Bestimmung weist bis heute den identischen Wortlaut aus, mit der Ausnahme, dass nicht mehr mit der Todesstrafe, sondern mit lebenslanger Freiheitsstrafe gedroht wird. Die Systematik des deutschen Strafrechts stellt grundsätzlich auf die Tat ab.

In § 211 StGB wird demgegenüber allein auf den/die Täter(in) und seine Gesinnung und Motivlage Bezug genommen, indem die Tötung „aus niedrigen Beweggründen“ wie z.B. Heimtücke geahndet werden soll. Mit diesem ungenauen Rechtsbegriff war der Willkür der Nazi-Rechtsprechung planvoll Tür und Tor geöffnet, um „unliebsame Elemente“ abzuurteilen und im Wege der Todesstrafe loszuwerden.

Diesem unnötigen Willkürspielraum muss die bundesdeutsche rechtsstaatliche Judikatur mit immer wieder mit neuen Konkretisierungen entgegentreten, indem sie u.a. die fließenden Grenzen zwischen Totschlag und Mord evaluiert.

Der seine Ehefrau jahrelang misshandelnde Ehemann könnte nach deren Tötung ansonsten durchaus als Totschläger davonkommen, dagegen die sich gegen diese Gewalttyrannei wehrende Ehefrau aufgrund des Erschlagens des schlafenden Ehemanns wegen ihrer damit möglicherweise begangenen Heimtücke als Mörderin verurteilt werden.

Die Grundgesetzmütter und -väter haben rechtsstaatliche Pionierarbeit mit der Erschaffung unseres Grundgesetzes und seines ersten und obersten Artikel 1 geleistet.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Kein Gesetz darf gegen dieses Verfassungsprimat verstoßen.
Dafür sorgen im Zweifel unser Bundesverfassungsgericht und die überwiegend reibungslos funktionierende Gewaltenteilung in unserem Rechtsstaat.

Dennoch wabern bis heute in der NS-Zeit geschaffene Gesetze in unserer Verfassungswirklichkeit, wobei diese von diskriminierenden Bestimmungen bereinigt worden sind.

Im Folgenden wird die Aufstellung solcher nach wie vor existenter und fortgeltender NS-Restgesetze gewiss Erstaunen und gemischte Gefühle aufkommen lassen (Auszug aus Wissenschaftliche Dienste des Bundestages WD 3- 3000 – 160/20):

  • Gesetz über den Deutschen Sparkassen- und Giroverband vom 6.4.1933
  • Wechselgesetz vom 21.6.1933
  • Scheckgesetz vom 14.8.1933
  • Gesetz über Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Bahnunternehmen des öffentlichen Verkehrs vom 7.3.1934
  • Einkommenssteuergesetz vom 16.10.1934
  • Gesetz zur Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes vom 4.1.1935
  • Patentgesetz vom 5.5.1936
  • Gebrauchsmustergesetz vom 5.5.1936
  • Gewerbesteuergesetz vom 1.12.1936
  • Depotgesetz vom 4.2.1937
  • Bundesnotarordnung vom 13.2.1937
  • Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 5.1.1938
  • Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31.7.1938
  • Heilpraktikergesetz vom 17.2.1939
  • Gesetz über die Deutsche Reichsbank vom 15.6.1939
  • Verschollenheitsgesetz vom 4.7.1939
  • Schiffsregisterordnung vom 19.12.1940
  • All diese Gesetze und Verordnungen sind bis heute mit der mit dem Makel des Fehlens jeglicher parlamentarischen Legitimation behafteten Eingangsformel versehen: „Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.“

    All das sind Schatten unserer selbst als gestandener Rechtsstaat mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung!

    Mindestens eine Reformierung oder gar gänzliche Ersetzung dieser zwischen 1933 und 1945 geschaffenen Gesetze und Verordnungen sind überfällig, sind sie doch bislang lediglich mit sprachlichen Relikten des Nationalsozialismus in Bundesrecht überführt worden.

    Unser Parlament ist aufgerufen, unsere Jurisprudenz endgültig aus dem Schatten der NS-Zeit heraustreten zu lassen.


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