Seit in Jülich die Geburtshilfe im St. Elisabeth Krankenhaus die Türen schliessen musste, folgten weitere Schliessungen in Eschweiler und Würselen. Die Schwangeren sind unter anderem an zwei Perinatalzentren ausgewichen: das Bethlehem Gesundheitszentrum Stolberg und das Marien-Hospital Düren-Birkesdorf. In beiden Kliniken gibt es freiberufliche Hebammen, denen durch den Ausgang der Vergütungsverhandlungen mit dem GKV Spitzenverband große finanzielle Einbußen bevorstehen.
Seit 2007 regelt der sogenannte Hebammenhilfevertrag die Versorgung durch Hebammenhilfe und legt fest, nach welchen Voraussetzungen freiberufliche Hebammen Leistungen erbringen und mit den Krankenkassen abrechnen dürfen. Nun soll eine Anpassung in Kraft treten, über die allerdings noch Uneinigkeit herrscht.
„Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung und Begleitung von Frauen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit, sowie von Neugeborenen und Säuglingen“, schreibt das Bundesgesundheitsamt auf seiner Internetseite. Hebammen betreuen werdende Mütter unter der Geburt, egal ob in der Klinik, im Geburtshaus oder in den eigenen vier Wänden. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Diese zu erfüllen, wird ihnen nicht immer leicht gemacht. Aktuell sehen sich die Hebammen in Deutschland – nicht zum ersten Mal – mit Sparmaßnahmen konfrontiert, die einen Großteil von ihnen die Existenz kosten könnten.
„Wir stehen am Anfang des Lebens!“ stellt Bettina Cremer sachlich fest. Die Jülicherin arbeitet seit 17 Jahren am Bethlehem Gesundheitszentrum in Stolberg. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen ist Cremer in einem sogenannten Dienstbelegsystem für die Gebärenden an der Stolberger Klinik zuständig. Im Jahr 2024 hat das 26 Hebammen starke Team mehr als 2200 Geburten betreut.
In einem Dienstbelegsystem wie am Stolberger Krankenhaus sind die Hebammen selbstständig und schließen einen Vertrag mit der Klinik. Dieser beinhaltet unter anderem, dass ihnen Räume, Material und zusätzliche Kräfte, die beispielweise Bestellungen oder Putzdienste übernehmen, zur Verfügung stehen. Im Gegenzug garantiert das Hebammen-Team, dass im Drei-Schicht-System immer ausreichend Geburtshelferinnen vor Ort sind und es eine zusätzliche Rufbereitschaft gibt. Für Bettina Cremer eine echte „Win-Win-Situation“, sowohl die Klinik, die Mediziner, die Hebammen und vor allem die Schwangeren profitieren von dem System, ist die Hebamme überzeugt.
Vor der Umstellung ins Dienstbelegsystem hatte sich die Situation in dem geburtenstärksten Haus der Städteregion Aachen zugespitzt, berichtet Bettina Cremer von ihren Erfahrungen. Kleinere geburtshilfliche Kliniken mussten schliessen und die Schwangeren verteilten sich auf größere Häuser. Die Geburtenzahl in diesen Häusern stieg und damit die Arbeitsbelastung des Personals. Gleichzeitig gab es einen enormen Hebammen-Mangel. Es wurde zwar in die Ausbildung investiert, aber bis sich diese Investitionen positiv bemerkbar machen, dauert es seine Zeit. Durch die Umstellung ins Dienstbelegsystem wurde die Arbeit in der Klinik wieder attraktiv. Der Verdienst verbesserte sich, die Hebammen konnten sich selber organisieren und waren nicht mehr durch starre Vorgaben eingeschränkt. Viele Hebammen haben wieder begonnen, in den Kliniken zu arbeiten, so dass es inzwischen eine gute personelle Besetzung und damit eine bedarfsgerechte Betreuung gibt, erläutert Cremer. „Warum ein funktionierendes System derart bombardiert wird, ist einfach nicht einzusehen“, konstatiert Frau Cremer sichtlich fassungslos.
Was sie so aus der Fassung bringt, ist der Schiedsspruch von Anfang April, der einen vorläufigen Schlussstrich unter jahrelange Verhandlungen zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, GKV, und den drei großen Hebammenverbänden zieht. Vorläufig deshalb, weil der DHV, Deutschlands größter Hebammenverband, die Entscheidung nicht einfach hinnehmen möchte, da die Hebammen in den Kliniken mit Dienstbeleg dadurch massiv benachteiligt werden und die Geburtshilfe dadurch gefährdet wird.
Konkret wünschen sich alle Beteiligten eine 1:1-Betreuung in der Geburtshilfe und dies ist in der Hausgeburtshilfe auch möglich und wird durch den neuen Vertrag auch endlich besser vergütet. Dafür sorgt nicht zuletzt der Zuschlag, der für die 1:1-Betreuung gezahlt wird.
Der festgelegte Stundenlohn liegt bei circa 74 Euro brutto. Das gilt allerdings nur für eine Hausgeburtshebamme. Wer im Dienstbelegsystem selbstständig ist, erhält von vorneherein nur 80 Prozent dieses Stundensatzes. Betreut eine Hebamme eine zweite oder dritte Frau gleichzeitig, gibt es nur noch 30 Prozent für deren . Kommt eine vierte Frau hinzu, gibt es gar kein Geld mehr. Nebenbei bemerkt haftet die Hebamme aber für alle Frauen zu 100 %.
„Öffne ich die Tür für einen Notfall, während ich für eine Frau zuständig bin, die mit Wehen in der Badewanne liegt, ist das nicht mehr eins zu eins“, erläutert Bettina Cremer und stellt achselzuckend die rhetorische Frage: „Was soll ich denn machen?“ Laut Frau Cremer gibt so viele Fallstricke in der neuen Regelung, dass eine 1:1-Betreuung und der damit verbundene Zuschlag für die Dienstbeleghebammen quasi nie fällig werden.
Nicht zu unterschätzen sei zudem die steigende Zahl an Risiko-Schwangerschaften und Geburten. Frauen mit bestimmten Krankheitsbildern, wie Diabetes und Bluthochdruck wird geraten in einem Perinatalzentrum zu entbinden. Sie können nicht zu Hause entbinden und möchten auch eine gute Betreuung. Häufig ist eine 1:1 Betreuung auch in einer Klinik möglich, aber nicht zwingend notwendig und erst recht nicht realistisch, beschreibt die Geburtshelferin. „Wenn ich bei der Geburtsbegleitung im Kreisssaal zwischendurch mal bei einer anderen Schwangeren den Blutdruck messe oder die kindlichen Herztöne kontrolliere, heißt das nicht, dass sie nicht gut betreut wird“, so Cremer.
„Es fühlt sich an, als würde man von bestraft für seine Art zu arbeiten“, versucht Bettina Cremer die richtigen Worte zu finden und betont, dass „jede Art der Hebammentätigkeit wertvoll ist“, egal ob freiberuflich, angestellt oder in der Hausgeburtshilfe oder in der Vor- und Nachsorge . Eine Vereinfachung des komplizierten Abrechnungssystems sei aus ihrer Sicht durchaus verständlich. Auch die Sparbemühungen der Krankenkassen kann sie nachvollziehen. Dennoch: „Das ist der falsche Ansatz.“
Aus ihrer Sicht ist die ungleiche Behandlung besonders ärgerlich, denn: „Das sorgt für eine Kluft zwischen den Hebammen.“ In der Folge hat genau das jetzt dazu geführt, dass zwei der Verbände für den neuen Vorschlag gestimmt haben. Nur der DHV wendet sich dagegen und versucht, eine Verbesserung zu erreichen.
Der DHV warnt: „Frauen zahlen den Preis!“ und meint an dieser Stelle vor allem die Mütter. Aber auch Hebammen würden einen hohen Preis zahlen. Bettina Cremer nennt Zahlen: „Wenn der Schiedsspruch so durchkommt, bedeutet das einen Verdienstverlust von knapp 30 Prozent für alle, die im Dienstbelegsystem arbeiten.“
In ganz Deutschland wären rund 25 Prozent aller Geburtshilfeabteilungen betroffen, in Bayern sogar ganze 80 Prozent. Dort ist das System seit langem etabliert. „Die Geburtshilfe in den Kliniken ist kurz vor dem Kollaps“ findet Cremer deutliche Worte.
Der Deutsche Hebammen Verband hat Widerstand gegen den Schiedsspruch angekündigt. Gleich zwei Petitionen werben aktuell für Unterstützung: Eine ist auf der Plattform openpetion zu finden und die andere bei change.org.