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Eine Beleuchtung des Mythos im Dunkeln

Von Flammenschrift und Leuchtreklame

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Beleuchtung | Foto: HERZOG
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Unsere Geschichte ist auch eine Geschichte des Lichtes und der Beleuchtungen. Schon die Bienenzucht der Mönche diente nicht zuerst dem Honig, sondern dem Wachs, um Kerzen daraus zu drehen. Kerzen für das Bibelstudium. Licht und Geist stehen also in einem nicht nur symbolischen Zusammenhang und ob Prome-theus den Göttern das Feuer stiehlt oder Luzifer, der gefallene Engel, beiden ist gemeinsam, dass sie sich mit ihrem Tun gegen Gott oder die Götter stellen müssen.

Wenn wir uns heute aus dem Weltraum der Erde nähern, Google map macht es möglich, so sehen wir Europa als ein Lichtermeer, das an den Rändern zum Atlantik und zum eurasischen Festlandsockel hin in die Dunkelheit abfließt. So ähnlich hatte man sich vor Kopernikus die Erde gedacht, eine Scheibe, von deren Rändern man in das Dunkel der Unterwelt stürzte. So wurde aus gutem Grund die Sonne angebetet, aber der Schatten und das Dunkle erlangten darüber einen dämonischen Beigeschmack und es ist Figuren wie Freund oder Jung zu verdanken, dass wir uns zumindest ein Stück weit hinein gewagt haben.

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Das Hell-Dunkel ist eine Errungenschaft der europäischen Malerei. Aus unzähligen Krippen leuchtet uns das Christuskind entgegen, Judas sitzt im Schatten und der Himmel über Golgatha verfinstert sich.

Wenn ich Licht überzeugend malen will, dann muss ich einige Dinge wissen. Z.B. sind Licht und Schatten komplementär. Ein gelbes macht blaue, ein rotes Licht macht grüne Schatten. Wenn das Licht von rechts oben strahlt, dann steigt der Schatten von links unten auf. Der Schatten ist kein Anhängsel, sondern er strahlt ebenfalls und ist ein Minus gepoltes Licht. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere.

Der asiatische Raum hat ein Symbol dafür geschaffen, das Yin-Yang. Einen Kreis, in dem sich zu gleichen Anteilen ein weißes und ein schwarzes Feld ineinander schmiegen und zugleich jedes noch einen Kreis von der Farbe des Anderen wie einen Fötus in sich trägt.

Bei so einer Auffassung vom Licht macht es vielleicht keinen Sinn, eine Hell-Dunkel-Malerei zu entwickeln. Aber hat der östliche Mensch deshalb keine Furcht in einem dunklen Wald?

Ich weiß es nicht, aber es gibt eine schöne Notiz in Ernst Jüngers Tagebüchern. Er sitzt in Tokyo in der U-Bahn, ihm gegenüber eine Japanerin mit ihrem kleinen Kind auf dem Schoß. Das Kind tollt herum und fällt schließlich vom Schoß auf den Boden des Abteils. Die Mutter lacht. Und das Kind lacht auch. Dann setzt sie es wieder auf den Schoß und das Kind tollt weiter. Kein Geschrei, kein Erschrecken.

Wenn ich mir als Kind zu Sankt Martin einen Lampion gebaut hatte, aus schwarzem Karton,

in den ich Sonne, Mond und Sterne hinein geschnitten und sie mit Seidenpapier in leuchtende Farbfenster verwandelt hatte, wenn ich den Kerzenhalter auf dem Grund und den Bügel für den Tragestock am oberen Rand befestigt hatte, dann stand ich einen endlosen Nachmittag lang am Fenster und wartete, dass es endlich Nacht und dunkel werde. Machet aus das Licht, machet aus das Licht, nur meine kleine Laterne nicht…

Ähnlich ging es mir als Student, wenn ich auf die Lichter der Kneipenbezirke wartete, wenn ich in den Mythos Großstadt eintauchen wollte, der in der Regel ein Mythos der Nacht ist. Vielleicht ist Paris die einzige Stadt, die einen Tag- und einen Nachtmythos hat. Wie die Liebe, deren Stadt Paris ja auch ist. Und zu Paris bei Nacht gehören natürlich unbedingt die Flammenschriften der Leuchtreklamen, das Moulin Rouge, das Flimmern der Place Pigalle und des Trocadéro.

Bei meinem letzten Besuch der Stadt glühte der Eiffelturm im Stundentakt im Licht von Hunderten von Glühbirnen von unten nach oben auf wie das Moussieren einer Champagnerflasche und mit dem Einfall der Dunkelheit stiegen ganze Trauben von schwarzen Männern vom Ufer der Seine herauf. Afrikaner, vor ihrem Bauch steil aufragende und von LED Schnüren illuminierte Eiffeltürme tragend und als Souvenirs feilbietend. Ein grell bunter Tanz leuchtender Erektionen, wie ein avantgardistisches Ballett auf den Treppen des Trocadéro.

Die erste Leuchtreklame ist das Menetekel gewesen, also jene Flammenschrift, die am Hofe Nebukadnezars bei einer der üblichen Orgien als göttliche Strafandrohung an die Wand geschrieben wurde. Die Drohung scheint nicht viel genützt zu haben. Im Gegenteil,  allabendlich rufen die leuchtenden Flammenschriften die Sünder aller Länder zusammen, auf dass das Haus voll werde. So gesehen sind wir ein gutes Stück voran gekommen und haben dank Freud und Jung und der Legion namenloser Kneipiers uns dem Dunkel geöffnet und es ein wenig angenommen.

Trotzdem bleibt ein Rest irrationaler Mulmigkeit. Wenn ich z.B. nachts aus Jülich kommend meinen Weg durch den Stetternicher Forst antrete, um nach Daubenrath zu gelangen, dann wächst der Wald vor mir wie in einem Bild von Max Ernst als ein dämonischer Bezirk auf. Bären und Wölfe sind ja seit langem ausgerottet, die Wühlspuren am Wegrand zeugen von Wildschweinen, aber die sollen ja angeblich den Menschen fürchten und meiden.

Gut, dass ich keine Schauerromane lese und keine Horrorfilme anschaue. Ich gewöhne mich also, die Augen schalten auf Nachtsicht. Ich habe so etwas wie einen Weg unter den Füßen und kann es mir erlauben, den Blick schweifen zu lassen. Über mir in den Kronen tut sich gerahmt vom Astwerk die leuchtende Kuppel des Nachthimmels auf. Nicht nur die Sterne, nein das ganze All scheint Licht zu senden. Ich verliere mich in dem Anblick, bleibe dann doch mit dem Fuß irgendwo hängen, stolpere, fasse Tritt und schaue wieder in das unfassbare Leuchten. Irgendwann leuchtet im Schein der Straßenlaterne das Ortsschild auf, in der Kurve schmiegen sich die Giebel der Häuser friedlich aneinander. Ich bin nicht direkt erleichtert, aber doch irgendwie froh.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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