Start Stadtteile Jülich Idylle provoziert stärker als das „Hässliche“

Idylle provoziert stärker als das „Hässliche“

Im Rahmen des dreißigjährigen Jubiläums fand am Dienstag im Kulturhaus am Hexenturm eine Führung mit dem Thema „Alte Bilder, neuer Blick – Führung im Dialog“ statt. Museumsleiter Marcell Perse trat dazu dialogisch in den Ring mit einem exponierten Künstlervertreter des Realismus, Heiner Altmeppen, und zwar zu ausgewählten Bildern der Düsseldorfer Landschaftsmalerei „Gemalte Sehnsucht“.

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Marcell Perse (l) und Heiner Altmeppen (r) präsentierten "Kunst im Dialog". Foto: Sonja Neukirchen
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Es war ein bestechender Fachdialog zwischen den beiden Kunstversierten Museumsleiter Marcell Perse und Künstler Heiner Altmeppen, der den Ausstellungsbesuchern eine Sichtweise zum Konzept des Realismus in der Kunst anbot, anhand landschaftsmalerischer Idyllen interessante Einblicke in verschiedene Gestaltungstechniken gewährte und einen Bezug der Landschaftsidyllen aus dem 19. Jahrhundert zur Gegenwart herstellte. Das dialogische und dialektische Konzept der Ausstellungsführung regte zum Nachdenken an.

Die Detailverliebtheit sei das, was ihn mit den Landschaftsmalern verbinde, schlägt Altmeppen die Brücke zur Ausstellung, in der Landschaftsbilder der Düsseldorfer Schule gezeigt werden, wie sie der in Jülich geborene Johann Wilhelm Schirmer im 19 Jahrhundert dort begründet hatte. Die Kunstauffassung des Realismus, das sei für ihn Respekt vor den Erscheinungsformen der Wirklichkeit, so Altmeppen, der gleichzeitig das Idyll der exponierten Sehnsuchtslandschaften lobte. Dieses habe unglaubliches Provokationspotenzial. Perse sieht in dem Idyll der Landschaftsmalerei einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über das, was dem Menschen wichtig sei. Dadurch entstehe eine museale Ebene, die neben dem politischen Diskurs zu einer Verständigung beitragen könne. Dass das genauso mit idealisierten Bildern aus der Gegenwart funktioniert, zeigte Altmeppen anhand seines eigenen mitgebrachten Bildes „Sternwarte in Pier“, auf dem eine idealisierte Landschaft aus dem hiesigen Tagebau mit Abraumbagger im Hintergrund zu sehen ist und das nun zum Bestand des Museums gehört.

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Altmeppen, den Perse als „Detailfanatiker“ bezeichnet, führte den Dialog mit pointierten Aussagen an. Das Foto sei für ihn ein „Sieg für die Malerei“ – treibt er die Position des Realismus auf die Spitze. Allerdings passiere es, dass auf dem Foto am Ende nicht zu sehen sei, was man selbst gesehen habe und plötzlich sei der „Himmel zum niederknien“ ein Nichts, weiß der Maler des Realismus, der gleichzeitig Fotograf ist. „Man muss es malen, um mehr Information zu bekommen“, spannt er den Bogen zurück – und das klingt paradox, wird aber anhand von Beispielen schnell klar. Im Gemälde können Stimmungen oft besser eingefangen werden als auf dem Foto. Allerdings könne man die Natur nicht verdoppeln und jedes Bild sei immer ein „Zeichensystem“, räumt der Künstler ein. Mit höheren Abstraktionsstufen – wie die eines Picasso – könne er jedoch so gar nichts anfangen: „Ich mag diese Haltung nicht, hier auf der Leinwand bin ich der Gott und verändere alles“, macht Altmeppen provokativ klar. Perse hält dagegen: Es gebe eben unterschiedliche Auffassungen, die Welt zu malen. Gegenständliches Malen habe nach der Nazizeit erstmal als „frech“ gegolten und er selbst sei dafür „abgeklatscht“ worden, verteidigte Altmeppen seine provokante Haltung.

Im Gegensatz dazu kritisiert Altmeppen Gemälde, die die hässliche Wirklichkeit zeige und damit das Stigma politischer Korrektheit für ihn trügen. Wie man sich die Wirklichkeit gerne vorstelle, das sei viel provokativer. Am Ende könnten Sehnsuchtsbilder dazu führen, dass sich die Menschen wieder mehr um die Natur kümmerten. Auch in der klassischen Kunst sei nichts hässlich. Das Hässliche sei erst mit dem Mittelalter in die Kunst gekommen.

Anhand ausgewählter Exponate ging der Künstler auch in die detaillierte Betrachtung: Ökonomie des Bildes bedeute, wichtige Motive bis ins kleinste Detail zu malen, während weniger wichtige schneller „dahingeworfen“ würden. Dies schaffe auch eine Führung im Bild, führt Altmeppen anhand einiger Beispiel-Exponate aus und zeigte verschiedene Abstraktionsstufen auch in der gegenständlichen Malerei auf. Auf seinem eigenen, nun fertiggestellten Bild „Sternwarte in Pier“ ist in strahlenden Farben eine idyllische Landschaft mit beeindruckend detailgenauen Darstellung zu sehen. Dazu hatte Altmeppen sogar „Flora Incognita“ – eine App zur Pflanzenbestimmung – verwendet.

Er sei der Stadt Jülich sehr dankbar für die Ausstellung, die sehr hochkarätig sei und in ihrer vollständigen Dimension erst in der Zusammenschau mit der Partner-Ausstellung in Zülpich klar werde. Auch die dort gezeigten Werke gehören zum Jülicher Fundus. Noch sei nicht alles zu sehen, so Perse. Erst zwei Räume sind in Jülich dazu renoviert.

Nach dem Besuch des Künstlers Heiner Altmeppen sind drei seiner jüngsten Gemälde mit Motiven aus der Jülicher Umgebung (Pier, Inden, Weisweiler) für drei Wochenenden in der Landschaftsgalerie des Museums im Kulturhaus am Hexenturm zu sehen. Sie gehen einen spannenden Dialog mit den Gemälden des 19. Jahrhunderts ein, in deren Tradition sie stehen, obwohl sie eine moderne Thematik zeigen.

Im Rahmen der Jubiläumsaktion können Besucher 12 Monate für 12 Euro die Ausstellung besuchen.


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