Jazz in Jülich – ohne Reinhold Wagner ist dieses musikalische Genre in der Herzogstadt nicht vorstellbar. Seit Gründung des Jülicher Jazzclubs Mitte der 90er Jahre lenkt der gebürtige Leverkusener abgesehen von einer vierjährigen Unterbrechung die Geschicke des Vereins und somit der lokalen Jazzszene.
Bewegt hat ihn zur Gründung des Vereins insbesondere ein Gedanke: „Wenn es keine Clubs gibt, gibt es keine Bands. Man muss Clubs haben, um den Musikern Auftrittsmöglichkeiten zu bieten. Das gilt für Profis wie für Amateure.“
Damals hat die BSG Forschungszentrum bereits Jazzkonzerte veranstaltet, setzte dabei aber vornehmlich auf große Namen wie Chris Barber. „Da wollten wir eine Alternative bieten, und zwar durch Kneipenjazz einmal im Monat mit Amateuren oder preiswerten Profis.“ Später ist das Projekt allerdings gewachsen, so dass daneben auch nationale und internationale Größen angeheuert wurden: Paul Kuhn, Klaus Doldinger, Barbara Dennerlein, Hazy Osterwald, die WDR BigBand.
Selbst wenn Reinhold Wagner bald zum Inbegriff und zur Vorzeigefigur des Vereins wurde, bewegte er sich nicht alleine auf dem Swing-Parkett. Von den übrigen Gründungsmitgliedern sind heute noch viele aktiv, darunter Steffen Hebestreit, Stephan Nikolai, Hans-Peter Bochem, Hans Meyer und Dieter Niephaus.
Seit Januar 2011 ist Wagner wieder als Steuermann an Bord. Nachdem Rolf Sylvester und Dr. Werner Kremers für je eine Laufzeit den Posten des Vorsitzenden übernommen hatten, schien es ein schwieriges Unterfangen, eine Person für die vorderste Stelle zu finden. Immerhin ist das Amt mit großem zeitlichen Aufwand verbunden.
Als es an Kandidaten fehlte, brachte sich der Ehrenvorsitzende eben selbst ins Spiel: „Ich fände es eine Schande, wenn es den Club nicht mehr gäbe. Wir haben im Jahr ungefähr 1200 Besucher, elf Veranstaltungen mit bis zu 20 Bands. Wenn es den Verein nicht mehr gibt, gibt es 20 Auftrittsmöglichkeiten weniger.“ Viel Geld ist dabei allerdings für die Bands nicht zu verdienen: „Bei uns kann man berühmt werden, aber nicht reich“, ist ein beliebter Spruch Wagners. Trotzdem freuen sich Musiker, Jobs zu bekommen. „Wenn alle Clubs zu sind, was machen dann die Jazzer? Das ist eine Wechselwirkung: Die Jazzer brauchen uns, und wir brauchen die Jazzer.“ Zum Glück habe er tatkräftige Unterstützung durch einen Vorstand, der einen tollen Job mache: stellvertretende Vorsitzende Karin Stracke, Kassiererin Brigitte Hinz-Rauschen, Schriftführer Gerald Schröder sowie den Beisitzern Uschy Oedekoven, Albert Schuy und dem altgedienten Hans-Peter Bochem.
Bei allem Engagement für den Club war Wagner indes vor allem immer eins: Musiker. Als Trompeter um 1958 in der Musikschule Leverkusen gestartet, stieg er etwa 1962 auf Posaune um, die ihn seither nicht mehr los ließ. Während des Studiums an der Jülicher Ingenieurschule, der heutigen Fachhochschule, rief er gegen 1966/1967 eine Freizeit-Band ins Leben. Zu seinem 40. Geburtstag wurden die Musiker aus der Versenkung geholt. Die Mellowtone Jazzband war geboren. Mit dabei unter anderem Helmut Hoven am Schlagzeug und die junge Karin Skropke, heute Brock, als Sängerin.
Vorbilder hat er direkt keine, stark beeindruckt haben ihn aber unter anderem Louis Armstrong und Billie Holiday, auch wegen ihrer persönlichen Biographie zwischen Rassendiskriminierung und Emanzipation durch ihre Musik, bis hin zu moderneren Vertretern wie Miles Davis, Dizzy Gillespie und Paul Kuhn. „Paul Kuhn finde ich genial. Für ihn war die Grenze zwischen Schlager und Jazz nichts Unüberwindbares. Er hat auch ‚Geben Sie dem Mann am Klavier noch ein Bier’ geschrieben, obwohl er einer der begnadetsten Jazzer und Pianisten ist.“ Das habe natürlich auch kommerzielle Gründe, denn am Jazz könne man nicht reich werden.
„Er verbindet alles, was er macht, mit einer unmittelbaren Freude an der Musik. Als er bei der Jazznacht hier war, sind wir durch die Zitadelle, kommen in die Schlosskapelle, er sieht einen Flügel, setzt sich hin und fängt verträumt an zu spielen. Der spielt eben gerne Klavier, sieht einen tollen Raum, prüft die Akustik und verliert sich dann in seinen Sachen. Das ist es, was es ausmacht.“
Wichtig ist Wagner auch: Oldtime Jazz bedeutet nicht einfach nur, dass sie irgendwelche Musiker treffen, um dann drauf los zu spielen. „Es gibt die so genannten ‚Telefonbands’. Einer kriegt einen Job, ruft die anderen an und dann geht’s los. Das versaut etwas den Ruf des Oldtime Jazz.“ Natürlich treffen sich auf unseren Jamsessions Leute, die sich vorher nicht gesehen haben und entwickeln einen ungeheuren Spaß am Spiel. „Das ist der Esprit des Abends. Wir spielen aus Spaß an der Freud.“ So kommen die beteiligten Musiker fast umsonst, abgesehen von ein paar Euro Fahrtkosten.
Jetzt hat er zusätzlich ein völlig neues Projekt mit Les Webb an Bassklarinette, Tenorsaxophon, Klarinette, Sopransaxophon, während Reinhold je nach Stück zwischen Posaune oder Altsaxophon wechselt. Auf Trompete wird bewusst verzichtet, dafür versucht, die Stücke anspruchsvoller mit geschriebenen Sätzen sowie festen Intros und Schlüssen Richtung Swing bis Bebop zu arrangieren.
Eine Vision der Formation nimmt konkrete Gestalt an: Weihnachtsjazz mit einem Gospelchor in der Christuskirche. Um nicht wie „unerträglicher Weihnachtsmarktjazz“ zu klingen, müssen die Lieder einen anderen Charakter kriegen, etwa durch geschickte Arrangements und Rhythmusänderungen. „Wir spielen zum Beispiel ein Stück im Bossa Nova Rhythmus, obwohl das normalerweise ein total schneller Swing ist.“
Zudem möchte er mit seiner Formation ein paar Bach-Stücke umsetzen wie die Fuge in C-Moll. „Bach ist sowieso der größte Jazzer.“ Allein schon wegen der Harmonien, über die sich trefflich improvisieren lässt.
Zudem ist sich Reinhold Wagner eines völlig sicher: „Wenn der Jazzclub es vom Aufwand her nicht mehr schafft, eine Jazznacht oder teure Leute zu organisieren – so eine Jamsession oder Kneipenjazz, wie ursprünglich geplant, würde ich machen, bis ich umfalle.“