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„Die Beine sollen ihm abfaulen“

„Wenn Väter sich daran gewöhnt haben, dass ihre Kinder machen, was sie wollen; wenn Lehrer sich vor ihren Schülern fürchten und es vorziehen, sich ihnen zu beugen; wenn schließlich die Jungen keinen Respekt vor den Gesetzen haben, weil sie die Autorität von allem und jedem nicht mehr anerkennen: Dann sind sie da, in ihrer ganzen Jugendblüte, die Anfänge der Tyrannei.“ Was nach Zeitgenössischem Ausspruch klingt, stammt tatsächlich laut Überlieferung aus dem Munde Platons.

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Foto: Dorothee Schenk
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Seit über 2000 Jahren beschäftigt die Menschen das Phänomen, dass die Welt an sich selbst zugrunde geht – moralisch sittlich vor allem. Geschichtliche Vergleiche zur Dekadenz der Römer, deren Weltmacht zerbrach, und den „Goldenen 20ern“ werden bemüht. Endzeitstimmung kontra Party-Gesellschaft. Tatsächlich ist im Kreis Düren statistisch die Zahl der Gewalt- und Straftaten rückläufig. Raubdelikte nahmen um über 33 Prozent, Körperverletzungsdelikte immerhin um über 5 Prozent ab. Bei der Straßenkriminalität wurde der Tiefstwert der letzten 10 Jahre notiert. Tatsächlich ist die „Welt“ darum aber keine bessere, denn messbar nimmt die niederschwellige Aggression und Entgleitung zu. Inzwischen kann in jeder Kaffeeklatschrunde mindestens ein Gast Geschichten zum Besten geben – so auch die Autorin.

Der Haus- und Hoffotograf der HERZOGs musste sich in Ausübung seiner Arbeit unflätig beschimpfen und bedrohen lassen – und hörte Sätze wie: „Dem Bürgermeister sollen die Beine abfaulen.“ Tatort war wie zu erwarten der Marktplatz am Tag der Baumfällungen. Zur Erinnerung: Der Bürgermeister hat nicht illegal in die Stadtkasse gegriffen und keinen Gesetzesbruch begangen. Es ist ein demokratischer Beschluss umgesetzt worden – ob geschickt oder ungeschickt, ob er gefällt oder nicht, sei dahingestellt. Minderheiten, die in demokratischen Prozessen unterliegen, gebärden sich aktuell wie Mehrheiten der Gesellschaft. Und reagiert wird laut, heftig, agitativ und maßlos, blickt man vom Anlass auf die Reaktion. Das gilt im Übrigen für Menschen in Ämtern und „Würden“ ebenso wie für die Zivilbevölkerung.

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Welcher Mob, anders kann man Menschen, die in der Anonymität für alle sichtbar entgleisen, wohl kaum nennen, sich in den Foren des Internets verbal Bahn bricht, lässt zusammenzucken. Zumindest wenn nicht der letzte Respekt voreinander verloren gegangen ist. Das gilt im übrigen auch für die schweigende Zahl der Claqueure. Inzwischen gehört es offenbar dazu, sich „unterhalten“ zu lassen durch solche Schlagabtausche – und da braucht man nicht an Shakira / Piquet oder Johnny Depp / Amber Heard denken. Wenn man Ludwig Uhland folgend „Lass deine Taten sein wie deine Worte“ wörtlich nähme, sprächen die Kriminalstatistiken im Kreis Düren eine andere Sprache: Nötigungen haben um über 22 Prozent und Bedrohungen um über 19 Prozent zugenommen. „Burnout“, „Work-Life-Ballance“, „digital Detox“: Immer neue Begriffe beschreiben die Erschöpfung einer Gesellschaft, deren „Fell“ sehr dünnhäutig geworden ist und die darum (gefühlt? siehe Platon) zunehmend aus der Rolle fällt.

Die Mehrheit der Jülicher, so ist auf Nachfrage bei der Stadt Jülich zu erfahren, ist freundlich und zufrieden. Neben Beschwerden kommen auch Dankesbriefe im Rathaus an. Darum wollten die Ordnungskräfte sich auch nicht über die alltäglichen Erlebnisse äußern. Es sind die Wenigen, die „eskalieren“, die es notwendig machen, dass das Ordnungsamt im öffentlichen Raum im „Duett“ auftritt. Tätliche Angriffe gebe es nicht, aber sehr üble Verbalattacken, ist zu hören. Klar formuliert Dezernent Richard Schumacher: „Es geht um gegenseitigen respektvollen Umgang.“ Klagen gibt es selbstverständlich von und über Ordnungskräfte sowie Bürokräfte im Rathaus – hier vor allem aus dem Bürgerbüro.

In der 128-Nationen-Stadt Jülich ist auch das Kollegenteam der Stadtverwaltung international aufgestellt. Rassistische Äußerungen sind ihnen gegenüber keine Seltenheit. Wer in ein Muster passt, so ist zu erfahren, hat aber nicht nur durch „Otto und Maria Mustermann“ in Jülich mit Anwürfen zu rechen, sondern auch mit deutlich höherer „Beachtung“ durch die Polizei. Städtische Mitarbeiter wie stadtbekannte Ehrenamtliche – aber auch Söhne aus dem Freundeskreis – werden unvermutet „herausgewunken“, überprüft oder in der Öffentlichkeit – auf dem Parkdeck, vor dem Rathaus, vor einem Kindergarten – zu einem Drogentest, die sogenannte „Pinkelprobe“, aufgefordert. Willkür darf es weder bei Stadt- noch Staatsbediensteten noch durch die Zivilbevölkerung geben.


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