Sehr privat ging es zu in der großen Aula des Jülicher Schulzentrums: Die Eltern von Gastgeber Soleil Ndongala waren zum ersten Mal bei einer Veranstaltung ihres Sohnes und wurden mit warmem Applaus begrüßt. Dass Soleil mit allen geladenen Gästen – namentlich John Smile, Serkan Ateş Stein, Sertaç Mutlu und Simon Pearce – freundschaftlich verbunden ist, war ebenfalls spürbar. Jülich ist nicht der Bühnen-Nabel der Welt und wer sich aus München, Wien und Köln auf den Weg in die Diaspora der Comedy macht, der muss das wollen.
427 Tage nach der Premiere, die in der Broicher Mehrzweckhalle stattgefunden hatte, wurde die Neuauflage gefeiert. Und das Wort trifft es: Das Publikum zeigte sich begeistert und gab reichlich von dem, was als das Brot der Künstler gilt: Applaus.
Das reicht bei Comedians natürlich nicht aus: Sie brauchen auch die Lacher auf ihrer Seite. Auf Korn genommen wurde dabei zur Freude all derer, die weit genug „hinten“ saßen, vor allem das Publikum in der ersten Reihe. Beliebt selbstredend: Das „Alter“ – Hommage an die Prä-Smartphonezeit: „Ich habe noch die Etiketten der Shampoo-Flaschen gelesen!“–, Liebe und Partnerschaft – „Lebenslänglich? Da schläft heute abend einer auf der Couch…“. So startete als Eisbrecher der Kölner Serkan Ateş-Stein, der sich geprägt als katholischer Türke Gedanken darüber macht, mit welchem Liedgut man ihn als Dementen wohl „abholt“. Aus der unfreundlichsten Stadt der Welt kam nach eigenem Bekenntnis John Smile. Schlacksig, immer in Bewegung unkt der Wiener über Deutsche und Österreicher, über die deutsche Bahn und Ruhezonen – und die Abkürzung AfD.
Sertaç Mutlu aus Köln hat geheiratet. Schon das allein reicht für Begeisterung beim Publikum – vor allem beim weiblichen. Er ist so bekannt, dass jemand sein Konterfei klaut und bei „tinder“ benutzt – und so unbekannt, dass er es benutzen kann. Als Brustbild! In der Beschreibung steht die Größenangabe 1,93 Meter. Merken! Das spielt im Verlauf noch eine Rolle. Wunderbar grotesk die Geschichten um den verlorenen Ehering in den Flitterwochen und Ereignisse auf dem Flughafen. Prädikat: sehenswert.
Star des Abends dürfte aber Simon Pearce gewesen sein. Erzählverlauf, Interaktion und Höhepunkt – hier passte alles. Wenn der Münchner über „Rasterfahndung“ der Polizei erzählt, Besuch bei Urologen und seinen Spitznamen „Simmerl“, über Kinderleid mit Jesuslatschen und Bauchtaschen ist das ganz großes Kino. Selbst Selbstreflektierendes über den eigenen schwarzen Rassismus und Überheblichkeit kommt flockig. Und ja! Er ist „doch, doch, doch“-bekannt. Wer es nicht versteht, sollte mal hinhören bei Simon Pearce.
In den Zwischenmoderationen, die dann zuweilen wie ein eigenes Programm wirkten, frotzelte Soleil über seinen ganz persönlichen „Clash der Culture“: Ein großer, schwerer Kongolese – nach eigenem Gefühl der „Black Terminator“ – der „deutsche Geräusche“ macht? Und dann als Gipfel auch noch das urdeutsche „Menno“ benutzt?
Dass der Veranstalter Ndongala sich mehr versprochen hatte, daraus machte er keinen Hehl. Schon bei der Begrüßung ließ er wissen, dass der Vorverkauf eher schleppend gewesen sei und er und seine Frau mehrfach kurz vor der Scheidung gestanden hätten. Entsprechend Erleichterung auf allen Seiten, dass über 100 Fans den Weg in die Linnicher Straße genommen hatten und sich Sponsoren als Unterstützer gefunden hatten – allen voran erneute das Jülicher Unternehmen MKS. Als zum Finale „We are the World“ mit allen Bühnen-Akteuren und Publikum im Schein der Handy-Taschenlampen gesungen wurde, war das Wohnzimmer-Feeling gepaart mit Festivalcharakter perfekt.
Eingerahmt wurden die „Stadtgesichter“ vom Chor Euphonic Tune Squad. Dessen Prinzip ist ein dreistimmiger Chorsatz für die Chorsänger sowie eine dreistimmige Mainline für die Leadsänger. Das Programm: Medleys aus meist bekannten Songs, die ohne Pause – wann Luft geholt wird, ist auch unklar – dargeboten werden. Das darf dann gut und gerne auch an eine halbe LP-Länge heranreichen. Tolle Stimmen, aber tatsächlich für einen Comedy-Abend sehr ungewohnte Töne.
Wer noch nicht genug von den „Stadtgesichtern“ hat, der kann sich auf das Pasqualini-Zeitsprung-Festival freuen: Umsonst und draußen präsentiert am Samstag, 2. August, Soleil Ndongala sechs Comedians auf der Kulturbühne. Mit dabei ebenfalls wieder der Chor Euphonic Tune Squad.