Die Idee, dass schneller Verkehr Vorrang hat, ist jünger als man denkt und stammt aus einer anderen Zeit. Anfang des 20. Jahrhunderts dienten Regeln dazu, das neue Automobil in geordnete Bahnen zu lenken und zu Fuß Gehende zu schützen. Die Reichsstraßenverkehrsordnung von 1934 machte es zur Priorität, den Autoverkehr durch flüssigen Straßenverkehr zu fördern. Daraus wurde über Jahrzehnte eine vermeintliche Selbstverständlichkeit: Die Straße gehört den Autos. Alle anderen müssen weichen.
In modernen Innenstädten wird das zunehmend infrage gestellt. Konzepte wie „Shared Space“ setzen auf Rücksicht und Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmenden. Spielstraßen folgen dieser Idee: Hier haben zu Fuß Gehende Vorrang. Die ganze Innenstadt könnte, abgesehen von den Durchgangsstraßen, so neu gedacht werden. Fahrradstraßen geben dem Rad gegenüber dem Auto Vorrang. Jedoch gibt es sie in Jülich bislang nicht. Schon einfache Radstreifen könnten viel bewirken.
In Jülich fehlt oft die Infrastruktur: Radwege enden plötzlich oder verlaufen unübersichtlich. Radfahrende wissen nicht, ob sie sicher auf der Straße oder dem Bürgersteig fahren sollen, etwa auf der Großen Rurstraße. „Radfahrer frei“-Schilder irritieren: Eigentlich haben hier zu Fuß Gehende Vorrang, Radfahrende müssten Schritt fahren, dürfen aber auf die Straße wechseln – was manche Autofahrende als Provokation empfinden. Einheitliche Lösungen wie die Abnahme alter Schilder und klare Hinweise an Ortseingängen könnten helfen.
Auch beim Parken konkurrieren die Verkehrsmittel. Sichere Fahrradständer fehlen fast völlig. Eine Quartiersgarage, etwa am Walramplatz, könnte helfen, die dortige Bebauung auszubügeln, und gleichzeitig Parkplätze für breite Rad- und Gehwege etwa auf der Großen Rurstraße freimachen. Verkehrsflächen sind für Menschen da – unabhängig vom Fahrzeug. Rücksicht lässt sich nicht erzwingen, aber gute Infrastruktur kann sie fördern.