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Jülicher Integrationsmodell auf den Platz gebracht

Der SC Jülich 1910/97/Hoengen e.V. hat sich personell verstärkt. So weit, so wenig überraschend. Doch gleich sechs der Neuzugänge kommen aus der Ukraine.

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Trainer Tobias Voss (rechts im Bild) und seine neuen "Jungs": Mikhail Mazun, Daniil Slastinov, Stanislav Hudz, Sasha Liashkov (hintere Reihe von links), Yevhen Havinchu und Illia Makarov (davor von links). Foto: Britta Sylvester
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„Fußball ist eine Sprache“, bringt es Trainer Tobias Voss gleich eingangs auf den Punkt. Da macht es dann auch nicht allzu viel, dass gleich sechs der Neuen im Kader der Kreisliga A-Mannschaft des SC Jülich 1910/97/Hoengen e.V. eine andere Muttersprache haben – ukrainisch nämlich. Jetzt hat der Verein sein „vorbildliches Integrationsmodell“ – so formulierte der Vereinsvorsitzende Michael Lingnau das „bisschen Eigenlob“ – offiziell vorgestellt.

Zwischen einem und zweieinhalb Jahren sind die jungen Männer in Deutschland, geflohen vor dem Krieg in ihrem Heimatland. Fußballerisch haben „die Jungs“ im Alter zwischen 19 und 33 Jahren inzwischen beim Jülicher Traditionsverein eine neue Heimat gefunden. Außer Yevhen Havinchuk, genannt Eugen, der sich mit Frau und Kindern in der Herzogstadt niedergelassen hat, wohnen alle anderen noch in Aachen. Aber das könne sich ja ändern, hofft der Vorsitzende. Yevhen war der erste der sechs, der in den Verein eintrat. Er wollte schlicht „einfach wieder Fußball spielen“. Dass er dadurch schnell viele Leute kennenlernte und Fortschritte im Lernen der Sprache machte, sind positive Nebeneffekte. Auch der Verein profitiert vom Neuzugang, sind sich Trainer und Vorsitzender einig. „Sie sind nicht nur nette Menschen, sondern auch gute Fußballer, die uns sehr helfen werden. Wir haben uns einiges vorgenommen“, so Lingnau und gibt damit die Marschroute vor. Aufstieg heißt das Ziel für die kommende Saison.

Die komplette Mannschaft samt Trainern und Vorstand. Foto: Britta Sylvester
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Unter Druck gesetzt fühle er sich mit dieser Vorgabe keinesfalls, erklärt der Trainer lachend auf Nachfrage. „Wer Fußball spielt, will erfolgreich sein“ – so einfach sei das, findet „Tobi“ Voss. Und kommt damit auf die gemeinsame Sprache Fußball zurück, das gelte für alle Spieler, egal woher.
Bis die sechs Ukrainer für den Jülicher Verein auflaufen durften, war einige Bürokratie zu erledigen. Ohne Spielberechtigung und Pass darf auch in der Kreisliga niemand gegen den Ball treten. Also galt es die Freigabe vom jeweiligen Heimatverein zu erbitten, ob das nun Schachtar Donezk oder Vereine aus Kiew und Charkiw, sowie eine internationale Spielberechtigung zu beantragen. Teilweise hätten die neuen Spieler deutlich höherklassig gespielt, entweder noch in der Ukraine oder bereits in Deutschland. Dass sie sich für Jülich entschieden hätten, spräche eindeutig für den Verein und den hier anzutreffenden Zusammenhalt, ist Michael Lingnau überzeugt.

Nachdem mit Yevhen der erste ukrainische Spieler verpflichtet wurde, wuchs die Gruppe schnell an. „Einer hatte die Nummer vom Trainer, hat sie mir gegeben und ja, das wars“, grinst Stanislav Hudz, der meist einfach Stas gerufen wird. Stas brachte auch gleich einen Freund mit. „Wir sind seit der Kindheit befreundet und haben schon früher zusammengespielt“, erzählt er. Damit sind die Beiden die Ausnahme. Alle anderen haben sich erst in Deutschland kennengelernt, ihre Heimatorte sind quer über die Ukraine verteilt.

Apropos Heimat: „Ich habe den Eindruck, dass wir den Spielern hier eine Heimat geben“, ist sich Michael Lingnau sicher, dass sich die jungen Männer über den Fußball hinaus beim Jülicher/Hoengener Verein wohlfühlen. Dass das so sei, läge vor allem am Trainer. „Tobi ist nicht nur Trainer, sondern auch Kümmerer.“ Der so Gelobte winkt bescheiden ab, erzählt dann aber doch, was er abseits des Platzes noch so tut. Unter anderem hat er beinahe jeden seiner Schützlinge schon einmal bei Behördengängen, etwa zur Arbeitsagentur, begleitet. Wichtiges Anliegen darüber hinaus ist ihm vor allem die Sprachkenntnis. „Amtssprache auf dem Platz ist deutsch“, lautet die klare Ansage. Dass der Trainer seine „Jungs“ dann auch bei der Suche nach dem passenden Kurs unterstützt, ist selbstverständlich, denn: „Wenn ich merke, der meint das ernst, dann bin ich gerne bereit mich einzusetzen.“ Da kommen dann schnell ein paar Stunden extra obendrauf – neben dem Hauptberuf als Polizist. Tobias Voss ist übrigens nicht der einzige Polizeibeamte in den Reihen der Mannschaft – gleich sechs Spieler arbeiten ebenfalls bei der Polizei. Doch das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll.

Das fußballerische „Integrationsmodell“ des SC Jülich 1910/97/Hoengen e.V. scheint also erfolgreich angelaufen, das Ziel für die kommende Saison steht und auch die Vorbereitung läuft auf Hochtouren. Kein Wunder also, dass die sechs ukrainischen Neuzugänge den offiziellen Kennenlerntermin gerne beenden und zum Rest der Mannschaft dazustoßen wollen, der derweil fleißig schwitzt. Wie es nach der – hoffentlich erfolgreichen – Saison weitergehen wird, wissen die jungen Männer noch nicht genau. Nur eines ist klar: Alle hoffen auf Frieden in der Heimat. Denn auch, wenn König Fußball wichtiger Teil des neuen Lebens ist, die Schrecken des Erlebten auszublenden, gelingt nur auf dem Platz.

Die sechs ukrainischen Neuzugänge sind: Mikhail Mazun, Daniil Slastinov, Stanislav Hudz, Yevhen Havinchuk, Illia Makarov und Sasha Liashkov.


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