Start Magazin Rat & Recht Gefühl – ist‘s Recht!?

Gefühl – ist‘s Recht!?

Recht haben und Recht bekommen… Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand… Diese bekannten Justiz-Weisheiten implizieren den Widerstreit zwischen Recht und Gesetz und Rechtsgefühl. Dürfen Juristen ihr eigenes oder das allgemeine Rechtsgefühl in die Rechtsanwendung und Rechtsprechung einfließen lassen? Darf das allgemeine „gesunde“ Rechtsempfinden überhaupt Maßstab für Rechtsprechung sein? Gelassenheit, Abgeklärtheit, Unabhängigkeit, Rechtskonformität, ja Ausschluss von Gefühlen – diese Eigenschaften sollen den idealen Juristen auszeichnen.

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Rat & Recht in und um Jülich Foto: ©Andrey Burmakin - stock.adobe.com / Bearbeitung: la mechky
Rat & Recht in und um Jülich Foto: ©Andrey Burmakin - stock.adobe.com / Bearbeitung: la mechky
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Michael Kohlhaas in der gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist, dieser Pferdehändler Mitte des 16. Jahrhunderts ist das Paradebeispiel desjenigen, der als ein zuvor stets rechtschaffener Bürger fehlgeleitet durch sein Rechtsgefühl Recht und Gesetz mit Füßen tritt, ja zum Räuber und Mörder wird, weil er Schaden an seinen Pferden erlitten hat, ohne dass dies aus seiner Sicht hinreichend gesühnt wird. Dieser aufrechte Staatsbürger wird aus gekränktem Rechtsgefühl zum Verbrecher, sucht sein Recht auf eigene Faust und landet schließlich dafür auf dem Schafott.

Manch einem mag dieses Gefühl einer vermeintlich ungerechten Behandlung durch Rechtsprechung oder Behördenentscheidung recht bekannt vorkommen.

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So erleben wir aktuell die sogenannten Querdenker, die sich gegen die von ihnen so bezeichnete „Corona-Diktatur“ der staatlichen Schutzverordnungen auflehnen, da sie sich ihrer Freiheiten und ihrer Selbstbestimmung beraubt fühlen. Ein leider so eindrucksvolles wie Furcht erregendes zeitgenössisches Dokument des völlig falschen beziehungsweise falsch verstandenen Rechtsgefühls, infolgedessen die irrlichternden Querdenker und Coronaleugner den fortgesetzten Rechtsbruch – bewusste Verstöße gegen die Maskenpflicht und gegen die Abstandsregeln – geradezu inszenieren, indem sie egoistische Befindlichkeiten über die allgemeine Solidarität und Verantwortung für die Gesundheit und damit Unversehrtheit ihrer Mitmenschen stellen.

Aber der sprichwörtliche Kohlhaas sollte durchaus dahingehend abschreckend wirken, seinem puren Rechtsgefühl zu folgen und sich damit dem Rechtsbruch hinzugeben.

Das Rechtsgefühl ist eine zwiespältige Sache, es ist ungeduldig und verlangt sein sofortiges Recht. In unserem modernen Rechtsstaat dagegen ist die Herrschaft von Recht und Gesetz der Primat und das Maß der Gewährung von Rechtsschutz, wobei in die Gesetzgebung gesellschaftliche, moralische und religiöse Anschauungen einfließen. Der Richter entscheidet pflichtgemäß nach dem Maßstab des jeweiligen Gesetzes, natürlich mit allen ihm anheimgestellten und durch das gelegentlich recht flexible Maß des Gesetzes begrenzten Auslegungsmöglichkeiten. Dabei kann die Erwartung gefühlt gerechter Entscheidungen sehr wohl herbe enttäuscht werden. Denn die explosive Spannung zwischen dem geltenden rechtsstaatlichen Normenkodex und der individuellen Selbstbestimmung lauert stets an der Schwelle zu einem der Herrschaft des Gesetzes entgegenstehenden Wildwuchs der Freiheit.

Die Balance zwischen staatlicher Normierung einerseits und individuellem Freiheits- und Entfaltungsdrang andererseits kann immer wieder durch ein aufbegehrendes Rechtsgefühl ins Wanken gebracht werden. Dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmig ist, dass Ungerechtigkeit herrscht, kann im konstruktiven Sinne als autonomes Rechtsbewusstsein aufgeklärter Geister in Erscheinung treten, ohne dass gleich das Kohlhaas-Syndrom aufzukommen vermag.

So mag die Rettung gestrandeter oder in Seenot geratener Flüchtlinge im Mittelmeer teilweise einen erheblichen Regelverstoß gegen internationale seerechtliche Bestimmungen bedeuten, ist sie aber der moralisch begründeten und mehr als nachvollziehbaren Regung der puren Mitmenschlichkeit gewidmet.

Dieses Rechtsgefühl kann aber auch gefährlich ausarten.

So nährt es die Querdenker mit der irrational fehlgeleiteten Überzeugung, dass ihre in der herrschenden Pandemie fatalen Aktionen „rechtens“ sind. Fazit des hier nur kurz kolumnenartig angerissenen Diskurses zu einem wahrlich weiten Themenfeld:
Die Kollision von Rechtsgefühl und Rechtsordnung ist so spannend wie zwiespältig.
Das allgemeine und bekanntlich dem jeweiligen Zeitgeist folgende Rechtsempfinden darf keinesfalls Quelle der Rechtsprechung sein.
In unserem Rechtsstaat darf das Rechtsgefühl nicht zum Recht werden, es sollte aber sehr wohl herrschendes Recht einfühlsam zur Anwendung kommen, um – nicht nur gefühlte – Gerechtigkeit obwalten zu lassen.


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