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Bestrickendes Kino

Peers Kinokolumne widmet sich diesmal einem neuen, bestrickenden Konzept im Jülicher KuBa-Kino.

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Peer Kling. Foto: Volker Goebels
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Aus Aachen kenne ich den „Film mit Gabel“. Jetzt gibt es auch „Filme mit Nadel“. Unter dem Motto „Stricken im Kino“ schließt sich das Kuba Kino einer in Skandinavien vorgelebten „Masche“ an, die aber bereits auch schon in Deutschland produktiv geworden ist. Als die eigentlichen Erfinder, sehe ich persönlich ja meine Studienkolleginnen an, die 1982 in der Vorlesung für Physiologische Chemie an der Kölner Uni die Nadeln tanzen ließen und den armen Herrn Professor mit ihrem Klick-Klick-klick-klick-klick zum Wahnsinn brachten. Einmal hat er wütend fast die Vorlesung abgebrochen. Vom Vorlesungssaal zum Kinosaal: Die Filme der Reihe laufen bei gedimmten Licht und wie nebenbei entstehen Liebesgaben für die Freunde, Enkel oder für die Dame selbst. Um das Nadelklappern als Percussion-Zugabe zum Film erlebbarer zu machen, empfehle ich den deutlich hörbaren Rhythmus von Bambusnadeln. Die herkömmlichen Stahl-Stricknadeln sind viel zu leise. Der Ausdruck einer „verstrickten Handlung“ bekommt nun einen ganz neuen Bedeutungsinhalt. Ach, ja, ich habe sie zwar gesehen, die strickenden Männer, aber sie sind deutlich in der Minderheit. Männer sind mit und ohne Nadeln jedenfalls herzlich willkommen, habe ich mir sagen lassen.

Hier die ersten Termine- immer sonntags, um 15 Uhr – Einlass ab 14.30 Uhr. Gleitsichtbrille nicht vergessen!

  • 06|07 Der Zopf
  • 10|08 Der Pinguin meines Lebens
  • 21|09 Volver – Zurückkehren. „Volver“ (das spanische Wort für Zurückkehren oder Wiederkommen) ist ein 2006 erschienener Film von Pedro Almodóvar. Er handelt von einem weiblichen Familienclan in Spanien und seinen komplizierten Beziehungen. „Volver“ bedeutet im Kontext des Films die Rückkehr zu den Wurzeln, zu einer vergangenen Lebensweise oder auch zu einem verstorbenen Familienmitglied.
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Die zwangsläufig geteilte Aufmerksamkeit der Strickerinnen lässt mich über die verschiedenen Arten nachdenken, wie Kinogänger Filme rezipieren, abhängig von individuellen Vorlieben, dem kulturellen Kontext und der Art des Films. Bei der emotionalen Rezeption tauchen wir mit Leib und Seele mit großem Engagement und Leidenschaft in die Story ein: Viele Menschen nehmen Filme auf einer emotionalen Ebene wahr, indem sie sich mit den Charakteren und der Handlung identifizieren. Sie erleben Freude, Angst, Trauer oder Begeisterung mit den Protagonisten und lassen sich stark von der Stimmung des Films mitreißen. Dabei ist es vorteilhaft, wenn es im Kino so leise ist, dass man eine Stecknadel (ich sagte Stecknadel, nicht Stricknadel) fallen hört. Das Kegeln mit leeren Bierflaschen ist kontraproduktiv und das Rücken der Stühle mit Stahlbeinen auch, kein rascheln, kein Gequatsche. Am besten ganz dunkel, dann sieht der Nachbar meine Tränen nicht. Mein schlimmstes Kino-Erlebnis war „Private Ryan“ in einem vollbesetzten Riesenkino in London. Bei der Invasion „Operation Overlord“ sterben an der Küste der Normandie die Soldaten wie die Fliegen, individuell und en massse. Das vornehmlich junge Publikum knatscht ungeniert laut Kaugummi, (fr)ißt aggressiv hörbar und unaufhörlich krusty krunchy Popkorn aus Eimern mit lustigen Figuren oder raschelt angestrengt mit Chipstüten XXL. So ganz nebenbei gab es da noch einen anderen Rekord: Es war meine teuerste Kinokarte ever.

Empathie mit den Charakteren: Besonders bei dramatischen oder menschlich tiefgehenden Filmen entsteht eine Empathie mit den Charakteren und es kann zu einer intensiven emotionalen Verbindung kommen. Zuschauer erleben mit den Figuren die Höhen und Tiefen des Daseins. Dabei besteht die Gefahr, dass der Zeitpunkt der Pause wie die Faust auf´s Auge gestaltet wird.

Die intellektuelle Rezeption zeigt weniger Bauchgefühl und ist kopflastig. Die Symbolik und die Themen werden auf einer tieferen intellektuellen Ebene analysiert. Es wird nach versteckten Bedeutungen in den Motiven und in den Symbolen gesucht und nach einer Antwort auf die Frage: „Was ist die Aussage des Films über Gesellschaft, Moral oder Politik?“.

Bei der visuellen und ästhetischen Rezeption geht es vor allem um die Kunst der Inszenierung, die sich in der Qualität der Darsteller, in der Kameraführung, im Set-Design oder in der Lichtsetzung manifestiert. Der Film wird in seiner visuellen Komplexität wahrgenommen im Zusammenspiel von Farben, Formen und Perspektiven. Bei den Schauspielern zählt die Art und Weise, wie Schauspieler ihre Rollen interpretieren. Jeder Blick, jede Geste und jede Nuance in der Darbietung ist von Bedeutung. Was sie oder er sagt ist wichtig, aber vor allem wie es gesagt wird und wie die Körpersprache dabei den Text begleitet. „Hinter den Kulissen“, um wenigstens einmal das Motto dieser HERZOG-Ausgabe aufzugreifen, besteht für alle Darsteller und Techniker die Notwendigkeit der absoluten Konzentration und Aufmerksamkeit. Höchstleistungen sind nur im Team erreichbar. Die Stimmung am Set muss beflügeln. Eine vergiftete Atmosphäre ließe den Film scheitern.

Die letzten beiden Kategorien sind ideale Strick-Filme: Pure Unterhaltung: Viele Menschen gehen ins Kino, um einfach Spaß zu haben – die leichte Unterhaltung, der Nervenkitzel von Actionfilmen oder das Lachen bei Komödien sind zentrale Elemente. In diesem Fall ist die Rezeption oft auf den Moment konzentriert. Flucht vor dem Alltag: Wohlfühlfilme bieten einen Moment des Eskapismus und der Erholung, bei dem die Zuschauer in eine andere Welt eintauchen und die alltäglichen Sorgen hinter sich lassen. Alles hat seine Berechtigung. Mal so, mal so.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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