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Eine Beschäftigung auf Leben und Tod

Kunst kommt von Kentern, Kippen, Knapsen

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Bunte Kunst durch schwere Zeiten | Grafik: HZG
Kunst auf Leben und Tod | Grafik: HZG
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Künstler sind immerzu beschäftigt, ohne dass dies volkswirtschaftlich relevant wäre und in der Beschäftigungsstatistik auftaucht. Und womit sind sie beschäftigt? In der Erzählung „Die folgende Geschichte“ gibt Cees Nooteboom darauf eine Antwort und lässt den Protagonisten sagen, ein Ich zu werden, sei so etwas wie der Beruf des Körpers. Der Körper als eine Pflicht zum Ich sozusagen. Doch um diesen Körper zu erhalten, braucht es Mittel, die die Kunst nicht immer hergibt. Und auf welche Weise diese fehlenden Mittel erworben werden, das ist oft genau so erstaunlich und verrückt wie die Kunst dieser Künstler.

Max Ernst verlässt Deutschland und arbeitet in Paris in einer Fabrik für Plastikspielzeug, wird als feindlicher Ausländer interniert und flieht als entarteter Künstler mit seinen Bildern mit dem letzten Zug über die spanische Grenze und von dort in die USA, wo er die Guggenheim Erbin heiratet. Arthur Rimbaud, der Begründer der modernen Lyrik, beendet sein Werk mit 19 Jahren, um in Afrika als Waffen- und Sklavenhändler seine Demontage mit anderen Mitteln fortzusetzen. Georgia o´Keefe geht in die Wüste, lebt in einer Hütte. Paula Becker zieht es nach Paris, entwickelt sich dort zu einer ganz Großen, muss aus Geldmangel zurück zu ihrem Mann nach Worpswede und stirbt dort im Kindbett. Rubens beschäftigt in seiner Werkstatt nicht nur etliche Maler, sondern wirkt als Malerfürst auch in den niederländisch-spanischen Verhandlungen mit. Richard Wagner flieht vor immer neuen Gläubigern kreuz und quer durch Europa, bis er sich endlich sein Haus Wahnfried auf einen Hügel in Bayreuth setzt. Henry Miller ist Versicherungsangestellter, Totengräber und illegaler Kneipier während der Prohibition, Brecht textet Slogans für Ford und fährt dann bald auch einen…

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Das sind Beispiele von Koinzidenzen, bei denen das Leben selbst zu einem Kunstwerk zu werden scheint. Das geht soweit, dass zwei Brüder den unvereinbaren Anteilen eines  gemeinsamen Charakters getrennt Folge zu leisten scheinen und über diesen Charakter so miteinander verbunden sind, dass der eine, lebenstüchtige, seinem Bruder in kurzer Zeit nach stirbt, als sich dieser in die Brust schießt. Vincent und Theo van Gogh und wenn das nicht wirklich so geschehen wäre, dann wäre es wohl ein Roman von Dostojewskij.

Mich hat das von früh an beschäftigt, hoffte ich doch, aus den Beispielen Orientierungen für den eigenen Weg zu gewinnen, und ob ich gerade mehr vom Leben dieser Künstler oder von ihrer Kunst beeindruckt gewesen bin, das lässt sich in meiner Biografie wie Jahresringe an einen Baum ablesen.

Das Beschäftigtsein von Künstlern ist ein perpetuum mobile und ist so endogen wie das Balancieren auf einem Seil. Dabei projizieren sie ihre Persönlichkeit in ein Außen, das am Ende so akzeptiert wird. Wasser hat eine unendliche Formenvielfalt, doch was eine Woge ist, das formulierte uns Hokusai in seinem berühmten Holzschnitt und Sonnenreflexe auf einem Swimmingpool haben wir vor David Hockney so nicht gesehen. Das gilt natürlich auch für seine Boys, die ohne Slip und mit Tennissocken unter Sonnenschirmen ruhen. Er kann seine Homosexualität offen bezeugen. Leonardo da Vinci musste sie noch in seinem Johannes der Täufer verstecken, der dabei so entzückend schwul geraten ist, dass er den Titel für jedes Gay Magazin abgeben könnte.

Aber das braucht seine Zeit und so kommen doch immer einige der Schwalben früher als der Sommer ins Land, wie Hölderlin dichtet, der auch zu früh kam und nach der Erschöpfung seiner Kräfte den Rest des Lebens im Turm hoch über dem Neckar verdämmerte. Oder Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als Novalis, der so transzendent angelegt gewesen ist, dass er den Bergbau studierte, um irgendwie auf der Erde anzukommen. Unter der Erde, hoch über der Erde, es scheint, als würde sich der ständige Umgang mit absoluten Positionen im Außen niederschlagen wollen.

Max Beckmann löst sich nach dem 1.Weltkrieg aus allen alten Verbindungen und malt als Aufarbeitung des Erlebten nun in der bislang geschmähten expressionistischen Weise. Nach der Flucht als entarteter Künstler in die Niederlande bringt er dort in großer Not seinen reifen Stil hervor: schwarze Konturen, die die Bildfläche vergittern und nie gesehene Orchestrierungen von Farbe, die wie Momente der Hoffnung im Raster von Illegalität, Hunger und Krieg aufleuchten. Ist das nun nachgemalt oder vorgelebt?

Josef Beuys, Funker in einem Sturzkampfbomber, wird über der Krim abgeschossen. Tartaren finden ihn, hüllen ihn in Filz, bringen ihn auf einem Schlitten in ihr Lager, nähren in mit Butter und Honig. All diese Zutaten, Schlitten, Fett, Filz und Honig finden sich später in seinen Installationen.

Natürlich gibt es auch Biografien wie die von Renoir oder Monet, aber sie bilden in der Kunst wie im menschlichen Sein die Ausnahme.
Kunst kommt von Kentern, Kippen, Knapsen, so will es scheinen und nicht von Verkaufen.
Und woher dann der Zauber, diese Anmut, Schönheit? Dazu gibt es eine bekannte Parabel.

Wenn ein Sandkorn in eine Auster eindringt, dann schließt die Muschel den Fremdkörper ein, umhüllt ihn in einem Kampf auf Leben und Tod mit Sekreten und integriert ihn so in ihren Organismus. Das Ganze finden wir dann als Perle wieder. Dieser Prozess wurde schon oft mit dem Entstehen von Kunst verglichen. Eine Beschäftigung auf Leben und Tod, die endlich Geschlossenheit, Eleganz und stillen Glanz aus dem Überlebenskampf destilliert. Die Zahl der Gescheiterten ist unbekannt. Und wenn Brecht darauf antwortet, dann wäre ihm die gesunde Muschel lieber, dann mag man ihm zustimmen.

Aber trotzdem wird es diese Perlen auch weiterhin geben und ich möchte mit dem Autor Philippe Sollers abschließen, der sagt, man solle einen Menschen nicht aus den Umständen erklären. Man soll ihn daraus erklären, was in ihm den Umständen widersteht. Und das ist wohl auch und gerade die Kunst.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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