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Deutschlands Gesundheitssystem geht digital

Als Schlusslicht in Europa geht auch das deutsche Gesundheitssystem jetzt digitale Wege: Ab ersten Januar müssen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte das elektronische Rezept - kurz E-Rezept - ausstellen. Ein Jahr später soll auch die so genannte elektronische Patientenakte folgen. Dazu äussert sich auch der Vorsitzende der GVJL, Dr. Robert Dujardin.

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Foto: NeiFo | Pixabay
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Die Bundesregierung hat entsprechende Entwürfe über zwei Digitalgesetze für eine bessere Versorgung und auch für die Forschung im Gesundheitswesen am 9. November in den Bundestag eingebracht. Es geht also voran. Doch erste Pläne zu einem ersten elektronischen Arzneimittelpass hatte bereits Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) im Jahr 2001. Ein Feldversuch habe hier im Kreis Düren in einer Apotheke erfolgreich stattgefunden, titelte die Deutsche Apothekerzeitung im September 2002. Es dauerte aber noch mehr als 20 Jahre, bis nun die Digitalisierung wirklich kommt – laut vieler Experten, darunter Marcel Weigand von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD)- reichlich spät und noch dazu mit Luft nach oben.

Beim E-Rezept gibt es jetzt drei Lösungen: Zunächst stellen Arzt oder Ärztin in der Praxis oder per Video ein E-Rezept aus. Diese Verordnung wird im Datennetz des Gesundheitswesens gespeichert. Patientinnen und Patienten können nun wählen, wie sie ihr E-Rezept in der Apotheke einlösen möchten. Erstens: mittels ihrer elektronischer Gesundheitskarte („Versichertenkarte“), oder zweitens: mithilfe einer E-Rezept-App (diese ist im jeweiligen App-Store herunterladbar) oder drittens: mittels einem Papier-Ausdruck, auf der ein QR – Code gedruckt wird, welcher in der Apotheke eingelesen wird. Entsprechende Erklär-Videos auf der Internetseite der Gematik (www.gematik.de) sollen die einfache Handhabung verdeutlichen. Gematik, das ist die Gesellschaft, die die Digitalisierung in der Medizin in Deutschland praktisch umgesetzt hat.

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Die meisten Vorteile bietet offenbar die App-Lösung, denn damit können Nutzer nicht nur die Verordnungen für Angehörige mitverwalten, sondern auch das Medikament bei der Wunschapotheke bestellen, beziehungsweise im Vorfeld prüfen, ob es dort überhaupt vorhanden ist. Laut Digitalverband Bitkom wollen 72 Prozent der Bevölkerung das E-Rezept digital einlösen – so ergab eine Umfrage aus dem Sommer dieses Jahres.

Im Gegensatz zum E-Rezept soll die wichtigste Funktion in der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung – die ePA – erst ab Januar 2025 verbindlich sein. Bisher ist diese digitale Anwendung freiwillig. Wer die ePa nicht möchte, muss diese ab 2025 dann aber konsequent abwählen (Opt out).

Ziel der ePa sei es, Versicherte mit Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern miteinander zu vernetzen, so steht es auf der Internetseite des Gesundheitsministeriums. Es ist im Prinzip eine vom Patienten selbst geführte, elektronische Akte, die seit dem ersten Januar 2021 von den Krankenkassen als App bereitgestellt wird. Seitdem nutzen jedoch erst ein Prozent der Bevölkerung die ePa, teilte Bitkom auf Basis einer Umfrage im September mit. Jedoch fänden 83 Prozent die Digitalisierung des Gesundheitssystems richtig.

ABB Bitkom

Sowohl Ärzte als auch Patienten können in der ePa Befunde, Blutergebnisse und weitere Dokumente hochladen. Patienten müssen die vom Arzt hochgeladenen Dokumente aber selber für andere Ärzte freischalten, denn in der Standardeinstellung sind die Dokumente nur für den Patienten einsehbar.

Diese Handhabung habe seinen Preis jedoch in der Nutzbarkeit der ePA, kommentierte Marcel Weigand von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Dieser fasst die ePa knapp als „sehr nackte Lösung mit langen Ladezeiten“ zusammen. Dennoch rät Weigand Patienten, die ePa schon jetzt auszuprobieren.

Die Daten eines Patienten sind dabei individuell verschlüsselt, nach dem derzeit höchsten technisch möglichen Standard, versichert die dafür zuständige Gematik. Die Krankenkassen hätten darauf – ohne Zustimmung des Patienten – keinen Zugriff. Der Patient kann aber in der ePa eine Leistungsübersicht der letzten fünf Jahre bestellen. Darin sind Behandlungen und Diagnosen enthalten. Seit 2023 ist es auch möglich, die Daten anonymisiert für die Forschung zur Verfügung zu stellen, um langfristig die Versorgung zu verbessern. Laut einer aktuellen Studie des Bitkom seien zwei Drittel der Deutschen auch dazu bereit.

Für chronisch Erkrankte besonders wichtig: Sie können auf der ePA einen Notfalldatensatz hochladen, zum Beispiel mit unverträglichen Medikamenten oder Allergien, oder sogar eine Patientenverfügung.

Stellungnahme

Wie gut sind die Ärzte in Jülich auf die Digitalisierung vorbereitet? Dazu schreibt der Vorsitzende des Gesundheitsverbandes Jülicher Land e.G., Dr. Robert Dujardin:

„Die Digitalisierung der unserer Arztpraxen hinkt bekanntermaßen anderen europäischen Ländern deutlich hinterher. Allerdings hat der Prozess seit 2021 doch spürbar an Tempo aufgenommen. Die ersten etwa anderthalb Jahre waren nötig, um die Arztpraxen weitgehend flächendeckend an die sogenannte „Telematik-Infrastruktur“ anzuschließen, das heißt, eine gesicherte und authentifizierte Datenverbindung herzustellen, damit Ärztinnen und Ärzte wirklich sicher „digital unterschreiben“ können.

Dieser Schritt ist aus meiner Sicht jetzt weitgehend vollzogen und war wahnsinnig wichtig. Bisher war diese Vorarbeit für alle Beteiligten vorwiegend frustrierend: es ging um Kostenverteilung, technische Probleme, Fortbildungsbedarf etc.. Allerdings gehen jetzt nach und nach die Applikationen an den Start und ich bin optimistisch, dass die Dynamik der Digitalisierung damit auch Fahrt aufnimmt.

Dr. Robert Dujardin. Foto: Dorothée Schenk

Das e-Rezept kommt gerade in der Region an. Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind technisch soweit ausgerüstet und müssen jetzt noch gemeinsam mit ihren Teams die Abläufe und Routinen in den Praxen anpassen und mit Patientinnen und Patienten kommunizieren. Grundsätzlich wird das ausgedruckte Format (also nicht so ganz im Sinne der Digitalisierung) und der Weg über die Rezeptabholung papierlos mit der Gesundheitskarte in der Apotheke in den nächsten Monaten zur Routine werden. Allein die volldigitale Variante (Rezept auf’s Handy und damit dann zur Apotheke versenden) hat noch einige Haken. Ich halte das grundsätzlich für einen guten und längst überfälligen Schritt.

Was ein bisschen wie ein Schildbürgerstreich anmutet, ist allerdings die Notwendigkeit, am Quartalsbeginn die eGK persönlich in der Praxis einlesen lassen zu müssen, um dann digital ein Folgerezept zu erhalten. Man stelle sich das mal bei einem Infekt am 4. Januar vor: Um die Infektionsgefahr zu reduzieren, kontaktiere ich meine Hausarztpraxis per Videosprechstunde, erhalte eine elektronische AU und mein digitales Rezept für z.B. ein Antibiotikum. Allerdings muss ich dann entweder noch erkältet in die Praxis, um meine Karte einlesen zu lassen oder die Arztpraxis muss bis zum Quartalsende der Karte „hinterherlaufen“.

Die e-PA spielt „leider“ aktuell noch fast keine Rolle in der Praxis. Wir haben bei der Kommunikation zwischen den Arztpraxen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Heilberufen seit 20 Jahren kaum Entwicklungen. Vor einigen Jahren wurde ein System eingeführt, mit dem Krankenhäuser ihre Entlassungsberichte elektronisch versenden können. Die Realität sieht so aus, dass wir zwar die Briefe oft digital erhalten, aber gerne zur Sicherheit auch nochmal in Papierform und eventuell zusätzlich auch nochmal per Fax. Hier ist also noch viel „Luft nach oben“.

Im Bereich des GVJL profitieren wir sicherlich in gewisser Weise von unserem Netzwerk, persönlicher Verbundenheit und dem „kurzen Dienstweg“ per Telefon etc. Allerdings stößt dieses System bei hoher Arbeitsauslastung rein zeitlich an seine Grenzen und bindet viel Ressourcen in Telefonwarteschleifen etc..Aus meiner Sicht werden wir über eine gemeinsame „Wissensbasis“ – nämlich die elektronische Patientenakte – und einen direkten Kommunikationsweg, eine Art „WhatsApp für Behandler. Dieser Kommunikationsweg wird der „TI-Messenger“ sein.

Ich hoffe auf eine gute Akzeptanz der ePA in der Bevölkerung und ein Abflauen der massiven Datenschutzbedenken. Ich bin diesbezüglich kein ausgewiesener Fachmann, aber meiner Meinung nach besteht ein deutliches Missverhältnis in der Wahrnehmung der Datenschutzproblematik bei der ePA im Vergleich zu unserer alltäglichen Datentransparenz bei Google, Facebook und Co.. Daher hoffe ich auf eine „Opt-out Regelung“ und eine geringe Inanspruchnahme des „Opt-Out“ durch die Patientinnen und Patienten.

Problematisch für mich als Behandler ist die Perspektive, dass Patientinnen und Patienten bewusst Dokumente zurückhalten können. Mir leuchtet diese Wahrnehmung des „informationellen Selbstbestimmungsrechtes“ natürlich ein, aber hieraus entwickelt sich bei uns Behandelnden schnell die Falle eines gefährlichen „Halbwissens“.

Ich werbe daher sowohl für maximales Vertrauen der Patientinnen und Patienten im Sinne des eigenen Behandlungserfolges und der eigenen Gesundheit. Im gleichen Kontext sehe ich auch die Freigabe für Forschungszwecke – spätestens in der Pandemie habe wir doch erstaunt nach Skandinavien, Großbritannien oder Israel geschaut und die wahnsinnig schnelle Datentransparenz bestaunt. Auch hier sehe ich den potentiellen Nutzen deutlich höher als die Risiken an.“


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