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Schneegestöber und Eierlikör

Ein Kunstprojekt on the road - Teil 3 - Die Crew verschwindet im Off

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Alle zusammen in einem Auto | Grafik: HZG
Günter Grass, Petra Kelly, Karl Liebknecht, Heinrich Böll und Rosa Luxemburg | Grafik: HZG
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Zur Eröffnung hingen sie überall in der Stadt, unsere Plakate mit dem heftig gemalten, christusartigen Delinquenten und dem gebieterischen Schriftzug Nein darüber, die Veranstaltungen mit Kabarett, Musik und Lesungen darunter. Die Kataloge stapelten sich an der Abendkasse, die Skulpturen und Bilder bildeten zusammen mit den literarischen Texttafeln ein facettenreiches Ausstellungskonzept, aber wir waren nicht ganz froh. Allen Bemühungen zum Trotz hatte das Verhältnis der Exponate BRD/NL immer noch eine Schlagseite von 3:2 und als die niederländischen Künstler eintrafen, murmelten wir beim ersten Rundgang etwas von unverzichtbaren Inhalten und dass wir unser Mögliches versucht hätten, pipapo.  Aber für Fokko war das alles uitstekend und moi und man solle jetzt erst mal Tanzen und Rauchen und schob mich durch das Gedränge zur Sektbar.

Natürlich rechnete sich das alles nicht, denn was blieb, wenn man von den Geschichten und dem bunten Strauß von Gesichtern einmal absah? Waren wir naiv? Vermutlich nicht nur, sonst hätten wir das Projekt nicht schultern können, aber wir hatten unsere eigenen Mythen. Wie etwa Santiago, der alte Fischer, der den unglaublichen Fang macht, zu groß, um ihn alleine an Bord zu hieven und von dem die Haifische dann nichts mehr übrig lassen. Oder Zorbas, der nach dem  Zusammenbrechen des alle Reserven verschlingenden Projekts, dem Finanzier nicht das Fürchten sondern das Tanzen lehrt, Ullysses, von dem ein einziger Tag ein 2-bändiges Romanwerk füllte. Sie bewegten sich für uns nicht auf einer symbolischen Ebene, es waren zu lebende Vorbilder. Wir wollten mit dem Leben spielen und was uns zufloss, das wurde gleich wieder eingesetzt.

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Als wir dann die Rechnung für den Ausstellungskatalog aus dem Kuvert zogen, da wurde die von uns reklamierte Philosophie angesichts des 5-stelligen Betrags einer gründlichen Prüfung unterzogen. Wir hatten den Verkauf viel zu optimistisch veranschlagt. Zum Glück war das Thema Frieden akut und es gelang uns, die Ausstellung an den DGB zu verkaufen, aber das ergab nur ein Drittel des Fehlbetrags. Also baten wir die Künstler des Abendprogramms für ein Benefizabschlussfest zur Deckung der Schulden diesmal gratis aufzutreten.

Die Resonanz war umwerfend. Wer den Terminkalender frei hatte, machte mit, wir druckten Plakate und rührten die Werbetrommel. Der Ort sollte ein Kölner Jazzkeller sein, ein gemauertes Tonnengewölbe, zwei Stockwerke tief unter der Erde und mit einem 4-stöckigen Studentenwohnheim darüber, quasi das Publikum frei Haus, das musste dann nur noch die Treppen hinunter…

Nach Mitternacht war den Inhalten Genüge getan und eine in Köln damals sehr angesagte Coverband baute ihre Anlage auf, Frontmann war der noch unbekannte Purple Schulz. Als um 3 Uhr das Engagement zu enden drohte, stiegen wir auf die Bühne und riefen zum Sammeln für extra Stunden auf und tanzten bis in den Morgen. Nach dem Aufstehen wagten wir dann den Kassensturz. Es war das, was wir benötigten, plus ein Taschengeld.

Das war natürlich zu feiern. Es war schon ein Risiko gewesen und sehr viel Arbeit und wir wollten uns noch einmal hochleben lassen, nur wir drei aus dem himmelblauen Ford Transit. Natürlich hatten wir Freundinnen, aber das musste so eine Männerrunde werden, wo man auf den Bärenhäuten liegt und die Anekdoten wieder und wieder auferstehen lässt und an seinen Sagas bastelt. Die Frauen mit ihrem klugen und mäßigenden Blick konnten dabei nur stören, es sollte noch einmal so richtig maßlos werden.

Es hatte geschneit, in Winterberg sollten es schon mehr als 50 cm sein. Wir telefonierten rum und fanden ein Hotel, das froh war, am Anfang der Woche bei geschlossener Küche Übernachtungsgäste zu bekommen. Wir buchten mit Ende offen. Dann luden wir die Langlaufskier und ausreichend Proviant ein und bestiegen diesmal den dottergelben, bei der Post ausgedienten Bus für die Paketzustellung meines Bruders, der auf dem überhöhten Dachaufbau den in säuberlichen Lettern ausgeführten und zugegeben etwas bescheuerten Slogan „Nix Post, Eierlikör“ trug.

Auf der Sauerlandlinie lag Schneematsch, der sich dann auf der Bundesstraße in eine Schneedecke verwandelte. Vor uns wuchs mit weiß verschneiten Fichten das Rothaargebirge auf und unser durch den hohen Aufbau etwas instabiles Fahrzeug schlingerte wie ein Stück Seife in die Kurven. Das Schneetreiben nahm zu, als wir bei Einbruch der Dunkelheit unseren Ort erreichten. Auf dessen Höhe lag weit sichtbar der Hotelbau, da drehten die Räder endgültig durch. Wir stiegen aus und schoben, nichts, legten die Matten unter, nichts. Ein hilfsbereiter Einheimischer gesellte sich dazu und schob mit. Die Räder warfen Matsch und Schmutz an die Hosenbeine, drehten sich frei und der Helfer rief noch „Sommerreifen, ihr Arschlöcher“ und ließ uns dann stehen. Wir ließen den Bus liegen, packten unseren Proviant und zogen zum Hotel, wo man an der Rezeption offensichtlich etwas andere Gäste erwartet hatte. Unsere Langlaufskier hätten da vertrauensbildend wirken können, aber die lagen im Bus. Wir waren die einzigen Gäste und bekamen auf dem obersten Flur 3 Zimmer nebeneinander, wählten eines für unser Fest und hauten uns auf das Doppelbett, umrahmt von Aschenbechern, Gläsern und Leckereien und ließen Revue passieren. Geschichten passieren ja nicht einfach, sie müssen wieder und wieder erzählt werden, damit sie eine gemäße und endgültige Form annehmen, glatt und rund wie ein Flusskiesel.

Am nächsten Morgen lag der Bus gelb wie ein Dotter im Schnee, es hatte also nicht weiter geschneit. Wir zogen die Skier an und glitten mit den reichlich gefüllten Rucksäcken durch die nächste Schonung in ein paralleles Tal hinab.  Natürlich sahen wir uns dabei wie schon am DDR Kontrollpunkt, am Fischmarkt oder dem Benefizfest aus der Totale, wie durch das Objektiv einer imaginären Kamera, die den Schwung unserer Skier und die 3-fache Spur durch dieses loipenfreie Wintermärchen verfolgte. Wir glitten in Schwarz-Weiß durch den Abspann des Films, wo in der schon grob werdenden Körnung auf dem Zelluloid das Wort Ende über die Baumwipfel geschrieben wurde, zwischen deren Stämmen wir schließlich verschwanden.


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