Abtauchen in exotische Welten, in die malerische Illusion der Bilder, die man von Filmen wie „Marigold Hotel“ im Kopf hat. Indien ist das Ziel der Protagonistin Léna. Sie ist Lehrerin, so viel weiß man bald, und sie ist auf der Flucht vor sich selbst. Sie möchte Frieden finden, den sie in Frankreich verloren hat. Erst nach und nach enthüllen sich kleine Einblicke über das Warum und Wieso der Melancholie und Trauer.
Und plötzlich kommt Léna in der Realität dieses Landes an. Die Begegnung mit Lalita berührt sie, verändert sie. Weitab von ihrem Geburtsdorf muss das Mädchen leben und wird im Lokal ihres Onkels ausgebeutet – bis zum Verlust der Identität. Denn Onkel und Tante sind zum Christentum konvertiert, und sie muss den Namen Holy führen. Durch das kleine Mädchen, das nicht spricht und dessen einziges kindliches Vergnügen ist, einen Drachen am Strand steigen zu lassen, erfährt sie von der Unterdrückung, die das Leben der Mädchen prägt. Sie, die nicht lernen dürfen, die keine eigenen Entscheidungen fällen können und die dem Familienwillen ausgeliefert sind. Sie erfährt von Mut, Auflehnung und Gemeinschaft, aber auch von der Machtlosigkeit gegenüber den Behörden.
Die Autorin Laetitia Colombani schafft es bei allen Abgründen, die dem Leser begegnen, durch ihre poetische Sprache und die feinsinnigen Beschreibungen zu beseelen. Sicher, beim Lesen fragt man sich, warum man diese „Dinge“ wie Kastenwesen, Kinderheirat, Unterdrückung weiß, aber sie so wenig Präsenz in unserer Welt haben. Betroffenheit bleibt zurück. Und trotzdem Trost: Wenn eine(r) sich aufmacht, kann das die Welt von vielen verändern.
BUCHINFORMATiON
Laetitia Colombani: Das Mädchen mit dem Drachen | Fischer | 272 S. | ISBN 9783596706785 | 12 Euro