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Quo vadis Ehrenamt?

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Die "Seniorenstube" bleibt erhalte - auch wenn die Caritas in Kirchberg nicht mehr als Gruppe existiert. Foto: Sonja Neukirchen
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„Am 31. Dezember war Feierabend“, sagt Vorstandsmitglied Otti Conrad, die seit über 50 Jahren für die Pfarrcaritas in Kirchberg im Einsatz war. Mit einem engagierten Team von sieben Frauen, die nun alle mindestens selbst Mitte siebzig sind, haben sie Wärme besonders in die Stuben der Kirchberger Senioren des Ortes gebracht. „Es ist schade, dass die Frauen aufhören, aber es gibt eben keine jüngeren, die weiter machen“, kommentiert das Markus Holländer vom Gemeinderat in Kirchberg, der als Vorsitzender der Kolping-Familie Jülich diese Nachwuchs-Probleme nur allzu gut kennt und eher besorgt wirkt: „Wenn das Ehrenamt wegbricht, dann machen wir die Türen zu“, fasst er zusammen. Doch gibt es auch ein Fünkchen Hoffnung? Dieser liegt, so scheint es, in den Herzen der Menschen, die besonders stark brennen für etwas und für andere, und die dann auch aktiv werden. Diese „Macher“ im positiven Sinne hat es immer gegeben, und das lässt hoffen.

Noch 2014 hatte die Kirchberger Pfarrcaritas – gegründet 1964 – ihr 50 Jähriges Goldjubiläum der „unermüdlichen Hilfe am Nächsten“ in größerem Rahmen gefeiert und Vorstandssprecher der Caritas Düren/Jülich, Dirk Hucko, sowie Pfarrer Josef Wolff hatten in ihrer Festansprache die wachsende Bedeutung des Ehrenamtes betont. Dem steht nun ein starker Mangel an Beteiligung gegenüber: Betreuung pflegebedürftiger älterer Menschen, Sammlung von Spenden für soziale Projekte, Besuch und Unterstützung junger Familien, Kranken- und Geburtstagsbesuche – das war Aufgabenspektrum der Caritas-Engagierten in Kirchberg. Zudem unterstütze die Organisation die Tafel, das Café Gemeinsam, die Seniorenstube, den Heimatverein sowie Flutopfer und Arbeitslose – ein riesiger Brocken an Aufgaben, der jetzt ins Wasser fällt. Nicht zu vergessen die Gespräche und die soziale Nähe zu den Bürgern, das „Betüddeln“ der älteren Mitbürger, wie Otti Conrad es nennt, bleiben nun aus.

50 Jahre ein „Motor“ der Pfarrcaritas in Kirchberg: Otti Conrads. Foto: Sonja Neukirchen
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In 58 Jahren hatten die Caritas-Helfer viel bewegt, doch seit diesem Goldjubiläum hat sich ebenso viel verändert – nicht nur die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen ist geschrumpft: „Man wird auch bei manchen Menschen nicht mehr reingelassen, wenn man zum Beispiel zur Geburt gratulieren möchte“, stellt Conrad fest und wundert sich. Um zu vermeiden, dass die Caritas in Kirchberg Schluss macht, hätten sie und ihre Mitstreiterinnen, darunter auch Gründungsmitglied Marliese Heuser, 82 Jahre alt, alles versucht und Menschen direkt angesprochen. „Keiner wollte das machen.“

Wie wird die Lücke der Caritas in Kirchberg nun gefüllt? Markus Holländer vom Pfarrgemeinderat meint, dass die nun wegbrechenden Hilfen der Caritas schon irgendwie aufgefangen werden müssten, aber in kirchlichen Strukturen bleiben sollten, findet er. Das gilt zumindest für die finanzielle Unterstützung. Die Seniorenstube bleibe der Gemeinde in Kirchberg ja erhalten und werde auch weiter unterstützt. Hier hatte die Leiterin Ingrid Lücken-Lövenich auf der Weihnachtsfeier der Senioren das „Aus“ der Caritas verkündet. Die 92jährige Marlies Delonge meinte auf die Frage, was das für sie bedeute: „Ich würde sofort helfen, wenn ich 30 Jahre jünger wäre.“ Dass die Frage eigentlich so gar nicht gemeint war, bringt es auf den Punkt: Ist die Bereitschaft sich ehrenamtlich zu engagieren vielleicht eine Generationenfrage?

Markus Holländer macht sich Gedanken über die Zukunft des Ehrenamts. Foto: Dorothee Schenk

Holländer, der sich seit 42 Jahren gleich in mehreren religiösen Gremien engagiert, weiß: „Viele fragen sich heute, was habe ich davon mich ehrenamtlich zu engagieren.“ Vielleicht kreisten die Menschen zu viel um sich selbst, überlegt er. Aber in jedem Fall wolle keiner mehr Verantwortung für längere Zeit übernehmen. Was ist zu tun?

So manche Vereinssatzung verhindere zusätzlich, dass diejenigen, die was tun wollten, irgendwann abdanken müssten – nicht immer begründet, überlegt Holländer. Er selbst ziehe ein positives Gefühl daraus, etwas für andere zu tun. Ein Teil der Misere liegt auch an den wachsenden Anforderungen im Alltag und den geringeren finanziellen Spielräumen der Arbeitgeber: Holländer weiß jedenfalls, dass diese selten bereit sind, Mitarbeiter mal für einen Nachmittag frei zustellen, um ihrem Ehrenamt nachzukommen. Wenn die Anforderungsspirale der Menschen aber immer weiter nach oben dreht, wo bleibt dann Raum für soziales Engagement am Ort? Und wenn die Menschen dann noch immer länger arbeiten sollen im Alter, fallen dann nicht letzte Reservoire für das Ehrenamt weg? Nur teilweise beruhigend ist, dass es andere funktionierende katholische und weltliche Einrichtungen gibt, die in der Gesellschaft wichtige Funktionen für die menschlichen Grundbedürfnisse übernehmen. Darunter die Tafeln oder der Sozialdienst katholischer Frauen. Besonders für die Städte könnte ein wichtiger Ansatz darin liegen, dass Ehrenamt gezielt und professionell zu fördern, über so genannte Freiwilligen-Zentralen, wie sie auch von der Caritas betrieben werden. Hier werden die Vielfalt und die Vorteile des Ehrenamtes in strukturierten Gesprächen den Menschen nähergebracht. Jeder kann sich einbringen, wie und in welchem Umfang er kann und bekommt mehrere vielleicht passende Angebote. Anreizsysteme wie die „Ehrenamtskarte“ oder Gratifikationen ergänzen das Modell gut.

Für die Dörfer kommt zum Beteiligungsmangel noch ein Wegbröseln der Versammlungsstätten hinzu. Hierzu zählen kirchliche Räume genauso wie marode Bürgerhallen und zu teuer gewordene Zelte. Das Brauchtum droht ebenfalls auszusterben. Manche Vereine machen sich auf den Weg, neue Strukturen zu schaffen, brauchen aber Unterstützung. Seit 2014 gibt es zum Beispiel den Dorfverein Zukunft Kirchberg, der unter anderem auch das bürgerschaftliche Engagement im Ort fördert und die einzelnen Bevölkerungsgruppen unterstützen möchte – auch für kürzere Projekte, mit mehr Flexibilität und weniger langfristiger Verpflichtung. Vielleicht sind das taugliche Modelle für die Zukunft.


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