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Citizen Science in der Quantenwelt

Interessierte Laien können die Welt der Wissenschaft bereichern. Bürgerforscher zählen Schmetterlinge, werten Fotoaufnahmen der Marsoberfläche aus oder suchen spielerisch nach der idealen Faltung eines Eiweißmoleküls. Und nun haben rund sechshundert Freizeitwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler erstmals dabei geholfen, ein quantenphysikalisches Experiment per App-Fernsteuerung zu optimieren: die Erzeugung eines ultrakalten Quantengases. Und im Vergleich mit einem Computeralgorithmus haben sie dabei überraschend gut abgeschnitten.

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Foto: TheDigitalArtist / pixabay
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„Unser Experiment sollte zeigen, ob Menschen ohne fachlichen Hintergrund dazu in der Lage sind, eine komplexe Optimieraufgabe auf dem Gebiet der Quantentechnologie zu bewältigen“, erklärt Tommaso Calarco vom Peter Grünberg Institut am Forschungszentrum Jülich. Die Aufgabe für die Bürgerforscher bestand darin, eine exotische Materieform herzustellen: ein Bose-Einstein-Kondensat. Es zählt zu den Aggregatzuständen (klassisch: fest, flüssig, gasförmig), kann aber nur bei Temperaturen von wenigen Millionstel Grad oberhalb des absoluten Nullpunkts (minus 273,15 °C) existieren. Der Großteil der Atome befindet sich dann im quantenmechanischen Grundzustand. Sie schwingen im Gleichtakt und bilden eine Art „Superatom“, das durch eine einzige Wellenfunktion beschrieben wird.

Die Herausforderung besteht darin, die Probe auf extrem niedrige Temperaturen abzukühlen. Dazu werden die Atome in eine magneto-optische Falle gesperrt, wo sie von einem Magnetfeld und mehreren Laserstrahlen festgehalten werden. Das intensive Licht bremst zudem die Atome in der Falle ab und senkt damit ihre mittlere Bewegungsenergie. Für den letzten, entscheidenden Schritt zum Bose-Einstein-Kondensat reicht diese Laserkühlung aber nicht aus. Daher lockern die Physiker nun den festen Griff der Atomfalle, so dass die schnellsten, energiereichsten Atome entwischen können. Zurück bleiben die energiearmen, „kalten“ Atome. Dabei sei es wichtig, betont Tommaso Calarco, dass der feste Griff der Falle nicht zu schnell gelockert werde, da sonst zu viele Atome entweichen. Je mehr Teilchen im ultrakalten Gas verbleiben, desto besser eignet es sich nämlich für nachfolgenden Versuche.

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Quentenexperiment per App

„Die Bürgerforscher, die an unserem Versuch teilgenommen haben, sollten durch einfaches Ausprobieren die optimale Abkühlungsprozedur herausfinden“, sagt der Quantenphysiker aus Jülich. Die Apparatur zur Erzeugung des Bose-Einstein-Kondensats war in einem Labor an der Universität im dänischen Aarhus aufgebaut. Die Teilnehmer mussten sich zunächst beim Citizen-Science-Projekt ScienceAtHome anmelden. Eine Schnittstelle erlaubte es ihnen dann, per App von überall auf der Welt auf das Quantenexperiment zuzugreifen und festzulegen, wie schnell sich die Intensität der Laser und die Stärke des Magnetfeldes ändern sollen. Ihren Vorgaben folgend wurde anschließend automatisch das Bose-Einstein-Kondensat im Labor in Aarhus erzeugt. Etwas über eine halbe Minute später erhielten die Teilnehmer eine Rückmeldung, wie erfolgreich sie dabei gewesen waren, also wie viele Atome ihr Kondensat enthielt. Daraufhin konnten sie die Parameter ändern, um ihr Ergebnis zu verbessern. Eine Rangliste hielt die gewählten Einstellungen der Falle und die damit erreichte Güte des Quantengases fest, so dass sich die Teilnehmer auch an den Resultaten ihrer Vorgänger orientieren konnten.

Bild: Ferngesteuertes Echtzeitprogramm der Alice-Challenge: Parameter von Experten (RedCRAB) und Bürgerwissenschaftlern (Alice Challenge) werden über eine Online-Cloud-Schnittstelle gesendet und in Echtzeit in experimentelle Sequenzen umgewandelt. Nach Durchführung des Experiments werden die Ergebnisse über die gleiche Cloud-Schnittstelle zurückgegeben.

Copyright: Robert Heck et al., PNAS, vol. 115, No. 48


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