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Oft ist es positiv, wenn eine Jahrestag gefeiert wird. Bei Corona sieht das ganz anders aus. Hartnäckig folgte Lockdown auf Lockdown wie eine schlimme Krankheit, die man nicht quitt wird – und so ist. Inzwischen sind wir beim Überbrückungsgeld III angekommen, aber kommt es auch an? Wie ist die Perspektive der Jülicher Innenstadt, der Jülicher Geschäfts- und Gastronomiewelt? Gibt es vielleicht sogar Gewinner?

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Schaufenstershopping als Alternative im Lockdown. Foto: Björn Honings
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Es darf sich gewundert werden, dass das Landesamt für Statistik meldete, dass der Einzelhandel im Dezember 2020 real, also unter Berücksichtigung der Preisentwicklung, um 1,9 Prozent höhere Umsätze meldete als im Vergleichsmonat 2019. Demnach liegen – lassen wir den Internet-Handel einmal außen vor – Fahrradhändler (+31,5 Prozent), Anbieter von elektrischen Haushaltsgeräten (+24,5 Prozent), Einzelhandel mit Metallwaren, Anstrichmitteln, Bau- und Heimwerkerbedarf (+16,6 Prozent) weit vorne – weit bageschlagen dagegen die Textilbranche (−38,9 Prozent) wie Marktbeschicker (−34,2 Prozent), die überdurchschnittlich hohe Umsatzeinbußen hinnehmen mussten.

Ein Rundblick in der Stadt, der von der Politik zumindest in Aussicht gestellt worden ist, dass sie sich ab 8. März wieder vorsichtig mit Leben füllen darf. Bislang hat noch kein Gastronom oder Einzelhändler in Jülich hörbar angekündigt, sein Ladenlokal aufgeben zu wollen. Das bestätigen auf Nachfrage Ulrich Backhausen von der IG Kleine Rurstraße und Benjamin Loevenich, Vorsitzender der Werbegemeinschaft und Gastronom mit dem Ohr am Volke Juliacum. Allerdings würden da natürlich viele Faktoren eine Rolle spielen, räumt Loevenich ein. Fragen stünden im Raum: Wie lange bleibt noch geschlossen? Wie entwickelt sich der Markt? Welche Alternativen böten sich? „Arbeit ist für Einzelhändler, die ihr Geschäft aufgeben, ja nicht in Sicht“, stellt Loevenich realistisch klar. Für die Gastronomen gelte, dass die Konkurrenz im Lieferservice Gastronomie erheblich gewachsen sei: Sind es in „Normalzeiten“ 20 Anbieter, tummelten sich jetzt 130 Anbieter auf dem Markt. Nach einem Probelauf hat das „Liebevoll“ daher seinen Lieferservice auch wieder eingestellt. Erwartungsgemäß „eingetrübt“ ist die Stimmung. Viele sind zur Untätigkeit verdonnert, erwirtschaften keine oder geringe Umsätze, was bleibt sind regelmäßige Zahlungen, die zu leisten seien. Etwa jeder zweite hätte, so Loevenich, eine Mietminderung mit seinem Verpächter aushandeln können – wenn auch zeitlich befristet. „Die fetten Jahre sind vorbei“, das müssten auch Immobilienbesitzer verstehen und Quadratmeterpreise müssten angepasst werden.

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Ohne Arbeit und ohne Umsätze bei regelmäßigen Zahlungen, die zu leisten seien geht vielen, so Ulrich Backhausen, nicht nur die finanzielle, sondern auch die „mentale Puste“ aus. Das ist natürlich nicht in allen Branchen gleich. Natürlich geht es den Branchen unterschiedlich schlecht. Es gibt auch Geschäftsinhaber, deren Arbeit in größtmöglicher Normalität weitergeht. Kunden würden als Schaufenster-Shopper die Treue halten, den Abhol- oder Lieferservice in Anspruch nehmen. Die Umsätze seien natürlich nicht vergleichbar. Das bestätigt Detlev Weitz. „Ohne Reserven ist ein Durchhalten gar nicht möglich, weil immer noch keine Hilfen ausgezahlt worden sind.“, sagt Weitz, der mit seiner Frau sowohl als Einzelhändler als auch als Gastronom betroffen ist. Die Bekleidungsbranche, zu der der Jeansplanet ja zählt, trifft es besonders hart: Alle vier Wochen erhalten sie ein neues „Programm“, dass aber mit vier bis sechs Monaten Vorlaufzeit geordert werden muss. Drei Warenlieferungen sind derzeit beim Lieferanten „auf Lager“, stehen seit Dezember aus konnten nicht entgegen genommen werden – sie werden auf einmal Ausgerechnet in den ersten Lockdown hinein fiel auch die Eröffnung des Bistro am Schwanenteich unter der Regie des Paares. Als Gastronomen können sie nicht auf Unterstützung hoffen, weil das Bistro als Nebenerwerb gilt. Die Anträge sind abgeschickt aber es ist noch keine Reaktion erfolgt.

Seit 10. Februar konnten die Einzelhändler – allerdings nur durch einen bevollmächtigen wie Rechtsanwalt oder Steuerberater auf das Portal des Landes NRW zugreifen, über das Zuschüsse beantragt werden können. Problematisch dagegen ist es, das Portal – blumig gesagt – zu durchschreiten, da ein erheblicher Andrang herrscht. Erschwerend kommt hinzu: Anders als 2020 teilen sich Gastronomen und Einzelhändler eine Zugriffsoberfläche. Angesichts der Missbrauchsfälle durch Mitnahmeeffekte und professionelle Betrugsfälle bezüglich der öffentlichen Unterstützung wundert es Ulrich Backhausen allerdings auch nicht, dass sich die Verfahren verkompliziert haben. Trotz der Widrigkeiten sei er dankbar, betont Benjamin Loevenich, über die finanzielle Unterstützung des Landes und Bundes.

„Es ist sehr komplex und es hat zu lange gedauert“, sieht auch Landtagsabgeordnete Patricia Peill die Situation durchaus differenziert. Die Entwicklung der Software-Programm und deren Abstimmung aufeinander habe leider viel Zeit beansprucht. „Berlin hat ein Programm für alle geschrieben – keine branchenspezifischen. Der Sinn ist, dass die Bürokratie, die ja immer noch aufwändig ist, möglichst flach gehalten werden kann.“ Dennoch gelte ein großes Lob in Richtung Land und Bund, die ein umfangreiches Wirtschaftshilfeprogramm auf den Weg gebracht hätten, das seinesgleichen in Europa suche. „Ich kann nur versuchen zu helfen, dass die Überbrückungshilfen schneller ankommen“, sagt die Landtagsabgeordnete für die Nordkreis Düren. „Ich hätte mich gefreut, wenn es für die Unternehmer nicht nur Fixkostenerstattung, sondern auch einen fiktiven Unternehmerlohn ausgleichend gegeben hätte und werde mich für den stufenweisen Öffnungsplan einsetzen.“  Wichtig sei nun – nach der Solidarität mit den Senioren – auch eine Solidarität mit dem Einzelhandel.  „Wichtig ist nun auch, aufgrund der inzidenzbasierte Öffnungsmöglichkeiten, dass wir uns wirklich an die Hygieneregeln halten“, betont Patricia Peill.

Ein paar Fakten: Stand Mitte Februar waren nach Auskunft aus dem Düsseldorfer Landtag seit 14. Januar 51.733 Anträge bewilligt worden, oder 85 Prozent aller Anträge. Insgesamt wurden dabei 712,5 Millionen Hilfen ausgezahlt. Fälle, die jetzt übrig noch aussstünden, müssten noch genau überprüft werden und bedürften einer Nachbearbeitung. Abschlagszahlungen vorab wurden in 97 Prozent der Fälle ausgeschüttet, bei den Soloselbstständigen 83 Prozent der Anträge bewilligt. Bei den Dezemberhilfen wurden 28.709 NRW-Anträge bewilligt (53 Prozent), 490 Millionen Euro ausgezahlt.

Auf der Überholspur ist die Fahrradbranche, aber die Geschwindigkeit macht zu schaffen, wie Thomas Oellers von Toms Bike Center erklärt. Der Fachhändler kommt durch gestiegenen administrativen Aufwand wie Terminabsprachen und erschwerte Besorgung von Ersatzteilen ans Limit. Hinzu käme die hohe Auslastung des Werkstattbetriebs. „Wir haben Luxusprobleme“, weiß Oellers, aber die Arbeit wüchse ihnen langsam über den Kopf. Gleiches meldet die Friseurbranche – seit die Türen ab 1. März wieder offen sind. Die Liste der Terminvereinbarungen ist lang. Allerdings kann weiterhin nur mit angezogener Handbremse gearbeitet werden, was Sorgen macht, und die zehnwöchige Schließung ist noch lange nicht kompensiert. Anders als die Gastronomen erhalten Friseure und Einzelhändler keinen Umsatzausfall von bis zu 75 Prozent, sondern lediglich 90 Prozent der Fixkosten erstattet. Unter Fixkosten sind Strom, Pacht und Wasser zu verstehen, nicht aber beispielsweise die Abschläge für die Steuer oder etwa Berufsgenossenschaft. Zusätzlich sind durch die Einkünfte nach dem ersten Lockdown Rückzahlen fällig. Das ist kaum aufzuholen: „Jeder zweite Stuhl ist nicht besetzt, das heißt, wir konnten und können 40 Prozent weniger Kunden bedienen“, rechnet Friseurmeister Klaus Hildebrand vor. 

Einig sind sich allerdings branchenübergreifend alle Jülicher Geschäftsleute: Die Kunden seien treu, und das wird als großes Plus empfunden. Dann kann es, wenn alles gut geht, morgen wieder losgehen. Neue Vorzeichen: Klick & Shop – also Einkauf nach Anmeldung. Aber es geht ein Stück voran. 


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