Es heißt, bei einer sich neu anbahnenden Bekanntschaft seien bei der Begegnung die ersten paar Sekunden für den weiteren Verlauf verantwortlich. Der erste Eindruck ist entscheidend. Da kann man viel falsch machen. Dumm gelaufen, die erste Begegnung des heutigen Erfolgsregisseurs Fatih Akin (52) mit dem Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und heute emeritierten Professor Hark Bohm (86). Fatih lief sozusagen „Gegen die Wand“.
Was war los? Fatih fand sich nicht gut aufgehoben an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, weil er sich gezielt auf seinen ersten Film vorbereiten und das dazu notwendige Handwerk lernen wollte. Also ging er, alle Konventionen brechend, zu Bohm und bat ihn mit Nachdruck, doch bitte an seiner Filmschule studieren zu dürfen. „Aber der war so sauer, dass ihn ein Unbekannter am Freitag Nachmittag“ (war es vielleicht ein 13ter ?) „stört und alle Regeln bricht, dass er mich rausgeschmissen hat“, so Fatih.
Ich, Peer denke, bei der Erstbegegnung mit der Nordseeinsel Amrum, gibt es nur eine einzige Variante und die heißt: Liebe auf den ersten Blick. Dieses Paradies ist Gegenstand des Films. Wir waten durch das Wattenmeer, fühlen uns bedroht durch die aufkommende Flut, bewundern die Natur mit der charakteristischen Tier- und Pflanzenwelt. Aber eigentlich geht es in diesem Film um etwas ganz anderes. Zwar ist die Insel mehr als nur Deko, aber es geht um Beziehungen innerhalb einer Familie und mit deren Umfeld. Im Mittelpunkt steht Hark Bohms eigene Kindheit, nicht 1:1 übernommen, ein wenig Spielraum muss schon sein. Es sollte ja ein Kunstwerk werden und dazu war es offensichtlich auch notwendig an der Altersschraube des ihn verkörpernden Jugenddarstellers Jasper Billerbeck zu drehen. Der Junge, dem Harks Kindheit in die für Hark zu großen Schuhe geschoben wurde, ist im Film bei Kriegsende 12. Hark selber wurde aber erst 9 Tage nach Kriegsende 6. Der echte Hark wurde also ab dem 18. Mai 1939 mit dem Ernst des Lebens konfrontiert. Ich finde es erschütternd, was Kinder in diesen Zeiten alles ertragen mussten. Vielleicht ist deshalb der Film erst ab 12? Ein Rückblick in die Abgründe der Nazizeit lässt sich hier nicht vermeiden, zumal Hark Bohms Eltern 100%ige Vertreter waren. Gratulation für diese Offenheit, aber alles andere wäre Heuchelei und unehrlich. Wenn die Gegner mit den 100%igen zusammenkommen, geht das nicht ohne Konflikte, die schnell lebensbedrohlich werden können. Das spielt der Film gut aus.
Fatih Akin und Hark Bohm sind schon lange beste Freunde. Hark wollte sich im Alter von 86 Jahren die Strapazen der Regiearbeit nicht mehr selbst antun und so haben Fatih und er das Drehbuch seiner Geschichte gemeinsam entwickelt und Fatih hat die Regie übernommen.
Ich sehe eine gewisse Parallele zu dem von mir im Oktober-HERZOG besprochenen Film „In die Sonne schauen“. Bei beiden Filmen geht es um den Kosmos und Erfahrungshorizont innerhalb einer Familie, Bekannte mit eingeschlossen. Bei dem „Blick in die Sonne“ ging das über drei Generationen und deshalb war es nicht einfach, das „Who-is-Who“ nachzuvollziehen. „Amrum“ beschränkt sich auf die letzten Kriegsjahre und ist linear erzählt. Die Personen und Verwandtschaftsgrade sind zwar auch hier mehrdimensional, aber nachvollziehbar. Was bei der „Sonne“ das „abbe Bein“ war, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen, ist bei „Amrum“ der „abbe Arm“ des Bäckers, der mit einer Hand den Teig kneten muss, ein sehr eindringliches Bild. Beide Filme verwenden streckenweise mutig den jeweiligen lokalen Dialekt, der ohne Untertitel in hiesigen Breiten absolut unverständlich wäre. Detlev Buck hat wohl ordentlich für seine Rolle als Schollenfischer büffeln müssen, dass seine Bemerkungen flüssig und authentisch rüberkommen. Passt, gratuliere. Ich empfehle diesen Film als sehenswert, weil die Bilder, die Charaktere, die Geschichten und die Geschichte stimmig sind. Hauptdarsteller Jasper Billerbeck als Nanning (alias Hark Bohm) könnte meinetwegen den Kinder-Oscar bekommen, wenn es den nur gäbe. Aber immerhin bewirbt sich „Amrum“ um den „Auslandsoscar“. Ansonsten mit dabei: Laura Tonke, Diane Kruger, Matthias Schweighöfer, Kian Köppke, u.a.. Ach ja, dieses Film-Drama hat meine Grundeinstellung zu einem einfachen Honigbrot grundlegend verändert. Wie das? Seht selbst.





















