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Geschlossener Protest

Am Mittwoch bleiben die Apotheken erneut zu, Hausärzte stimmen in Kritik ein

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Apotheker Kai Knüppel (von links nach rechts), Apothekerin Eva Marx, Dr. Sandra Theißen, Dr. Elisabeth Dohr, Dr. Jan-Behrends Egberts, Dr. Achim Dohr, Dr. Christiane Wieser, Apotheker Peter Lutz, Apothekerin Christina Lohmeier-Knur und Apotheker Luc Rey erklärten die Hintergründe der Protestaktion. Foto: Stephan Johnen
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In der Apothekerschaft rumort es. „Jeden Tag stirbt eine Apotheke, die ambulante Versorgung der Bevölkerung ist massiv gefährdet, aber unseren Gesundheitsminister interessiert das nicht“, macht Luc Rey, Sprecher der Apotheken im Nordkreis, seinem Unmut Luft. Zweimal schon haben die Apothekenverbände zum Protest gegen die aus ihrer Sicht verfehlte Gesundheitspolitik von Bundesminister Karl Lauterbach protestiert und die Apotheken geschlossen. Am Mittwoch, 15. November, bleiben die Apotheken mit Ausnahme des Notdienstes erneut dicht. Neu ist, dass sich auch ein großer Teil der Hausarzt-Praxen und niedergelassene Ärzte am Protest beteiligen. Mehr als die Hälfte der Arztpraxen will mitmachen und ein Zeichen setzen – behandelt werden am 15. November nur Patienten mit Termin und selbstverständlich Notfälle.

Die Apotheker und Mediziner unterstützen damit vor Ort das landesweite Aktionsbündnis Patientenversorgung, zu dem sich die Apothekerschaft und der Hausarztverband Nordrhein, der Verband medizinischer Fachberufe und der Freie Verband Deutscher Zahnärzte zusammengeschlossen haben. Auch auf Bundesebene gibt es von den Interessenvertretungen den Aufruf zum Protest. „Ich habe Medizin studiert, um Medizin zu machen“, sagt Hausärztin Sandra Theißen. Sie übe diesen Beruf aus Leidenschaft aus, doch die überbordende Bürokratie nehme ihr die Medizin, drohe ihr die Leidenschaft zu rauben. „Ich möchte Zeit in die Patientinnen und Patienten investieren, aber 70 Prozent meiner Arbeitszeit muss ich für die Dokumentation und Verwaltung am Rechner verbringen“, sagt sie. Unter diesen Bedingungen sei es kaum verwunderlich, dass sich immer weniger Mediziner dafür interessieren, eine Hausarztpraxis zu übernehmen.

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„Wir werden junge Leute unter diesen Bedingungen nicht dafür begeistern können, diese wirtschaftlichen Risiken und Belastungen auf sich zu nehmen“, sagt der Jülicher Urologe Achim Dohr. Er ist Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein im Kreis Düren und skizziert ein düsteres Zukunftsbild, sollte die Politik nicht gegenlenken: Im KV-Gebiet sind bereits heute 15 Hausarzt-Sitze nicht besetzt, die Auswirkungen bekommen die immer weniger werdenden verbliebenen Praxen zu spüren. Mit Blick auf die Altersstruktur stehen wir aber erst am Anfang der Probleme: Etwa 70 Prozent der Hausärzte im Kreis Düren sind Mitte 50. Der Mangel wird sich noch verschärfen, gleiches gilt auch für die Fachärzte und Mediziner an Krankenhäusern.

Wie die Apotheker klagen auch die Mediziner über Personalmangel und Nachwuchssorgen, ausufernde Bürokratie, zeitraubende Regressforderungen, nicht ausreichende Budgets und Hürden bei der Digitalisierung. „Der 15. November ist auch deswegen gut gewählt, weil es der Tag ist, an dem das Budget der Krankenkassen aufgebraucht ist“, sagt Achim Dohr. Die Gelder, die fehlen, seien erheblich. Bei den Medizinern und Apothekern aber sei das Ende der Fahnenstange erreicht. Dohr: „Inflationsausgleich ist ein Fremdwort. Wir haben fünf Steigerungen der Gehälter mitgemacht, ohne dass es auf Seite der Vergütungen angepasst worden wäre. Das ist eine immense Belastung.“

Die Vorschläge des Bundesministers, beispielsweise die Apotheken-Infrastruktur mit Filialapotheken auszubauen, für die geringere Anforderungen gelten sollen, empfinden die Jülicher Apotheker als Affront. In den Plänen aus dem Berliner Gesundheitsministerium sollen Zweigstellen beispielsweise ohne Labore auskommen und es muss kein Apotheker vor Ort sein. Der Bundesverband der Apotheker rechnet damit, dass sich solche Filialen besonders in den Städten verbreiten werden – und der ländliche Raum leer ausgeht. Zudem müsse irgendjemand die Notdienste übernehmen, da die Zweigstellen von dieser Pflicht befreit werden sollen. Auch ein Ende der Engpässe von Medikamenten sei nicht in Aussicht.

„Es funktioniert bald nichts mehr, die Probleme müssen angepackt werden, die Mangelverwaltung muss beendet werden“, sagt Luc Rey. Er stellt auch im Namen der Mediziner klar: „Es geht nicht nur um Geld, es geht vor allem um Rahmenbedingungen, sonst kollabiert das System.“ In Apotheken ebenso wie in Arztpraxen stoße das Personal zunehmend an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit. „Die Gesundheitspolitik ist verfehlt. Wir brauchen niemanden, der von der Arbeit an der Basis keine Ahnung hat“, sagt Luc Rey. Er ist froh, dass der Schulterschluss mit den Allgemeinmedizinern und niedergelassenen Ärzten gelungen sei, um auf ein gesamtgesellschaftliches Problem hinzuweisen. Noch sei die medizinische Versorgung in Deutschland sehr gut – doch ein „Weiter so!“ könne es nicht geben.

Apotheken-Notdienst am Protesttag

Der Notdienst der Apotheken ist nicht von der Protestaktion betroffen, diensthabende Apotheken im Kreis Düren sind die Adler-Apotheke in Inden, die Markus-Apotheke in Düren und die Burg-Apotheke in Nideggen.

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Stephan Johnen
Kein Muttkrat, aber im Besitz einer Landkarte. Misanthrop aus Leidenschaft, der im Kampf für Gerechtigkeit aus Prinzip gerne auch mal gegen Windmühlen anreitet. Ist sich für keinen blöden Spruch zu schade. Besucht gerne Kinderveranstaltungen, weil es da Schokino-Kuchen gibt, kann sich aber auch mit Opern arrangieren.

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