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Heimat Kirche?

Wenn Pfingsten die Geburtsstunde der Kirche ist, so dürfte man mit Fug und Recht Weihnachten als dessen Wiege bezeichnen.

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Die Kirche im Dorf. Foto: Olaf Kiel
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Wenn Pfingsten die Geburtsstunde der Kirche ist, so dürfte man mit Fug und Recht Weihnachten als dessen Wiege bezeichnen. Kein christliches Ereignis ist emotionaler und vom Grundgedanken versöhnlicher als die Geburt des Jesuskindes. An diesen Tagen sind Menschen „Kirche“ und besuchen Gotteshäuser, die ansonsten wenig oder gar keinen Anteil an der Kirche nehmen – es sei denn als Dienstleister bei Taufe, Hochzeit und Todesfall. Ein Blick auf Kirche in der Zukunft wirft die Pfarrei Heilig Geist Jülich.

Die Diskussion um die Begrifflichkeit „Kirche“ warf Dr. Peter Nieveler, langjähriger Kirchenvorstand und Kenner von Kirchengeschichte, in seinem Vortrag „Dorfkirchen – soll und kann die Kirche im Dorf bleiben?“ trefflich auf. Es geht einerseits um die Glaubensgemeinschaft, die sich als „Kirche“ versteht, andererseits um das Gebäude „Kirche“. Die Unterscheidung ist von Bedeutung, denn auch wenn sich Menschen nicht glaubend zugehörig fühlen, haben sie oft eine persönliche Bindung an dieses ortsbildprägende Bauwerk. Kirche ist ein Stück Heimat – für Gläubige und im Wortsinne Kirchenferne. Selbst Letztere wollen oft Kirchengebäude nicht entweiht oder fremdgenutzt sehen. Der Denkmalschutz nennt sie „bedeutend für die Geschichte des Menschen“. Schon darum sollten die Kirchengebäude offen sein – sowohl für Betende als auch für sozio-kulturelle Nutzung als zentraler Treffpunkt für alle Menschen am Ort.

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Dennoch müssen sich die Verantwortlichen für die Seelen wie für die Liegenschaften den Tatsachen stellen: Die Zahl der Kirchenaustritt wächst. Seit 2013 ist Zahl der Katholiken in Jülich von 65 Prozent auf unter 50 Prozent gesunken. Das hat Dr. Peter Nieveler für seinen Vortrag recherchiert und vorgetragen. Das ist mitnichten ein rein katholisches Phänomen, aber die Katholiken in der Pfarrei Heilig Geist Jülich beschäftigen sich intensiver mit dem Thema. Es gilt zu entscheiden, wie mit dem „steinernen Erbe“ zu verfahren ist: Anders als die protestantischen Glaubensbrüder hat die Pfarrei nicht einen, sondern 16 Kirchtürme zu erhalten und mit Leben zu erfüllen. Das kostet und ist eine Aufgabe, die bei schwindener Zahl an Gläubigen und pastoralem Personal, also Priester, Gemeinde- und Pastoralreferenten kam lösbar scheint. Das Bistum hat mit dem so genannten „Kirchlichen Immobilienmanagement“ – kurz KIM – bereits 2013 den Gemeinden die Aufgabe gestellt, 30 Prozent der Kosten für ihre Gebäude einzusparen.

Nieveler wertet diese Maßnahme als vorausschauend, denn die Kirchensteuer, die seit 1949 vom Finanzamt eingezogen wird, steht und fällt mit Zahl und Einkommen der Kirchenmitglieder. Insofern ist die Kirchensteuer zu verstehen als Mitgliedsbeitrag, der nicht den biblischen Zehnt, aber neun Prozent des Einkommens ausmacht. Aus den Finanzmitteln des Bistums erhalten Pfarreien und GdGs Schlüsselzuweisungen. Darüber hinaus verfügen einige Gemeinden noch über Finanzmittel aus Fabrikfonds oder eigens gegründete Fördervereine.

Dr. Peter Nieveler referiert in der Propsteikirche: Foto: tee

Vier Kirchen sind in Jülich im KIM-Prozess aus der Bistumsförderung genommen worden. Für sie müssen eigene Gelder für den baulichen Erhalt zur Verfügung gestellt oder eingeworben werden. Inzwischen geht es aber um weitaus mehr als diese vier Kirchen. Es ist ein Rechenexempel, das Sanierungsstau mal abnehmender Gläubigenzahl mal sinkender Seelsorgerzahl beinhaltet. Propst Josef Wolff hatte bereits vor einem Jahr Konsequenzen für die Gemeinden, die für ihre Ortskirche keine Perspektive entwickeln würden, im Tenor angekündigt: Wer sich nicht bewegt, verliert. Die AG Kirche 2030 der Pfarrei Heilig Geist beschäftigt sich seit 2018 mit den Weichenstellungen und führt Ideen zusammen. Es geht um die Entwicklung von so genannten „Themenzentren“, also Kirchengebäuden mit inhaltlichen Schwerpunkten von Familie, Trauernde bis Kultur. Spruchreif ist nichts. Zum zweiten Quartal 2021 sollen sich die Gremien über die Perspektiven abstimmen, teilten auf Nachfrage Vertreter der AG Kirche 2030 mit.

Bereits im Frühjahr wurde die Gemeinde eingeladen, sich am Prozess aktiv zu beteiligen und sich zu informieren. Beispiele gelungener zukunftsfähiger Nutzungen von Kirchengebäuden wurden in der Wanderausstellung „Kirchengebäude und ihre Zukunft“ in der Propsteikirche gezeigt. Eine flankierende Vortragsreihe ging coronabedingt erst im November zu Ende. Unterschiedliche Problemfelder wurden ermittelt.

Diese Fragestellung nach den Gebäuden analysierte Peter Nieveler im
Spannungsfeld zum Gefühl und der Verwurzelung der Menschen mit ihrer Glaubensgemeinschaft Kirche. Wieviel „Kirche“ brauchen die Menschen noch? Er zitiert hierzu einen Artikel von Jakob Paula, der von „religiöser Demenz“ spricht. Gemeint ist im Unterschied zur medizinischen Demenz, dass die religiöse nicht die Gnade des Vergessens habe: „Nicht einmal das Vergessenhaben wird bemerkt, geschweige denn bedauert. Gott ist einfach weg.“ Zukunftsstrategien seien nötig, die Alt-Bischof Heinrich Mussinghoff bereits 2012 in drei klaren Sätzen vorgetragen hätte mit den Forderungen: Die Kirche von morgen müsse gottverwurzelt, dialogisch und glaubwürdig sein, „oder sie wird nicht mehr sein“.

Viele Kirchen der Pfarrei Heilig Geist Jülich sind wie St. Martin Stetternich kleine Schatzkammern. Foto: Archiv PuKBSuS (Nacht der offenen Kirchen 2016)

Im apokalyptischen Gedankenspiel „sie wird nicht mehr sein“ stellt sich die Frage: Was passiert mit dem Kircheninventar wie Ambo und Altar und den liturgischen Gerätschaften von Monstranz bis Kelch, wenn Kirchen aufgegeben würden? Diesen besonderen Aspekt nimmt Heilig-Geist-Kurator Guido von Büren in den Blick und führt vor Augen, dass bereits zur Reformation durch die Säkularisierung und die „Bilderstürmer“ erstmals sakrale Gegenstände zu Sammlerobjekten geworden seien und musealen Charakter bekommen hätten. Andererseits sei etwa die Aachener Domschatzkammer nicht nur Ausstellungsort, sondern auch Verwahrungsort für die sakralen Güter, die bei Bedarf herausgenommen und benutzt werden könnten. Es gilt also, sich differenziert und mit besonderer Verantwortung vor dem Hintergrund der Zukunft der Kirchen auch die Zukunft der Kirchenschätze im Blick zu behalten. Zumal es detaillierte kirchenrechtliche Vorgaben zum Umgang mit Kunstgut im Kirchenbesitz gibt, die im Codex Iuris Canonici festlegt, dass Kirchen „darüber wachen, dass das […] Vermögen auf keine Weise verloren geht oder Schaden leidet“. Ein Grund, warum alle Kultgegenstände der Pfarrei derzeit inventarisiert würden. Die Ausstellung „Alle um einen Tisch“ hat 2017 hierzu einen ersten Überblick gegeben. Derzeit werden die Paramente, also die kirchlichen Textilien, gesichtet. Denn „nur was man kennt, kann man auch erhalten“, betont von Büren. Er brachte in diesem Zusammenhang die Überlegung auf, ob nicht zur Sicherung der hochwertigen Kult- und Kunstgegenstände die Pfarrei eine zentrale „Schatzkammer“ einrichten werden könne. So vom Vortragenden nicht benannt, aber vielleicht eine Überlegung wert für ein „Themenzentrum“: Heimat geben für Kirchenschätze.


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