Alles, was vorstellbar ist, lässt sich berechnen, in Szenarien packen und bewerten. Stellen wir uns eine Person vor, die am Rande der Autobahn versteckt ausharrt, bis einer der 152 Jülicher CASTOR-Behälter in Sicht kommt. Der Schwertransport, der zum Zwischenlager Ahaus unterwegs ist, lässt sich schon aufgrund der Anzahl der ihn begleitenden Polizeifahrzeuge kaum übersehen. Das Blaulicht kündigt den Konvoi schon von Weitem an. Die Person macht sich fertig, greift zu einer panzerbrechenden Waffe, die womöglich aus einem Schurkenstaaten geschmuggelt wurde, visiert den Castor an und betätigt den Abzug. Es könnte auch noch eine ebenfalls bewaffnete Drohne mit panzerbrechender Munition im Einsatz sein. Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine ist klar, welches zerstörerische Potenzial die asymmetrische Kriegsführung birgt. Das Ergebnis jedenfalls ist gleich: Der CASTOR wird getroffen, es gibt zwar keinen Atompilz, aber dennoch möglicherweise radioaktiven Fallout. Eine Katastrophe. Ein Anschlag! Aber ist es Fiktion oder ein Szenario, das sich berechnen und bewerten lässt?
Was sich vor 20 Jahren noch wie ein Buch des Thriller-Autors Tom Clancy gelesen haben mag, wird heute von Kritikern durchaus als Gefahr für die geplanten, aber noch nicht genehmigten Transporte von Jülich nach Ahaus gesehen. Dies wurde nicht nur bei einer Informationsveranstaltung der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) im Kulturbahnhof deutlich, bei der Besucher durchaus die Möglichkeit von Anschlägen ins Spiel brachten, beispielsweise im dicht besiedelten Ruhrgebiet oder im Flughafentunnel bei Düsseldorf. Auch die Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ sieht in von ihr beauftragten Gutachten die nach dem Atomgesetz angeordnete Räumung des temporären Jülicher Zwischenlagers als überflüssig und die Transporte der Castoren nach Ahaus als zu gefährlich an.
Zum Hintergrund:
Bereits im Juli 2014 erging gemäß Atomgesetz die Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des Zwischenlagers in Jülich. Seitdem werden zwei Optionen verfolgt: Der Transport der Jülicher Castoren nach Ahaus (dort wird eine Aufbewahrungsgenehmigung aus dem Jahr 2016 aktuell noch beklagt) und der Neubau eines Zwischenlagers am Standort in der Nähe des alten Versuchsreaktors, da das Zwischenlager zum jetzigen Zeitpunkt nur noch zeitlich befristet bis zum Ende der Transporte genutzt werden darf. Während für die Transporte die Genehmigung beantragt ist, steht für den Neubau beispielsweise der Erwerb einer geeigneten Fläche noch aus. Sobald der Erwerb der Fläche vom Land geklärt sei, werde ins Genehmigungsverfahren eingestiegen, hieß es seitens der JEN. „Unter zehn Jahren wäre alleine dieses Verfahren kaum machbar“, gab die technische Geschäftsführerin der JEN, Beate Kallenbach-Herbert, im KuBa zu bedenken. Die Umsetzung der Räumungsanordnung und der Transport der Castoren nach Ahaus sei – eine Genehmigung vorausgesetzt – die günstigste und am schnellsten umsetzbare Option.
Und wie steht es um die Sicherheit? „Wir haben keinerlei Hinweise der Genehmigungsbehörde, dass es Nachbesserungen geben muss“, versicherte Beate Kallenbach-Herbert besorgten Bürgerinnen und Bürgern. Angesichts der neuen Krisen- und Kriegsherde der vergangenen Jahre habe es durchaus eine „Neuentwicklung der Transportkonfiguration“ gegeben. Die JEN-Geschäftsführerin bat aber auch um Verständnis, dass es kaum der Sicherheit diene, Details der Sicherungssysteme öffentlich zu diskutieren. „Terror- und Angriffsszenarien sind als Verschlusssache eingestuft und unterliegen der Geheimhaltung“, betonte sie. Die offizielle Bezeichnung für diesen Aspekt in der Risikoabwägung lautet übrigens „Störmaßnahmen und Einwirkungen Dritter“. Klingt weniger schrecklich als Anschlag, meint aber genau das.
Dass es bei einem der Probeläufe für die Transporte der Castoren offenbar eine Kommunikationspanne gegeben hat und die „vordere“ Polizeieskorte dem Schwerlaster davonfuhr, hätte nicht passieren dürfen. „Aber im Grunde sind Übungen genau dazu da, damit alle Beteiligten noch einmal ihre Prozesse auf den Prüfstand stellen können“, blickt Jörg Kriewel, Pressesprecher der JEN, auf die Situation zurück. Die Fahrt in einem Konvoi mit einem 130-Tonnen-Schwerlasttransport ist offenbar mitunter eine Sache der Feinabstimmung. Eine Transportgenehmigung nach Ahaus stand lag übrigens in der Vergangenheit schon einmal kurz vor der Erteilung. Bevor die Rückführung der Graphitkugeln in die USA diskutiert und dann aus Kostengründen verworfen wurde. „Dann haben sich die Regelwerke für den Transport und damit die Anforderungen noch einmal verschärft. Terroristische Anschläge werden berücksichtigt. Die Sicherung der Transporte muss darauf auslegt sein“, erklärte Dr. Guido Caspary vom JEN. „Aus dem Gutachten der BI wurden keine neuen Erkenntnisse abgeleitet“, fügte Jörg Kriewel hinzu. Sobald die Genehmigung vorliegt und nachdem die letzten juristischen Fragen geklärt sind, könne mit den Transporten begonnen werden. Angesetzt sind dafür rund zwei Jahre, die Kosten liegen geschätzt bei rund 50 Millionen Euro. Die Suche nach einem Endlager indes kann mit Sicherheit noch Jahrzehnte dauern.