Dabei musste die Autorin Zöllner ihr handverlesenes Jülicher Publikum in der Stadtbücherei gar nicht mehr für ihr Anliegen gewinnen: Denn dort saßen überwiegend in Jülich bereits politisch aktive Frauen. Dies bot jedoch die Möglichkeit, aktiv in den gegenseitigen Austausch zu gehen und über praktische Erfahrungen und Motivationen zu sprechen. Das machte den familiären Charme der Veranstaltung aus.
Zöllner hat eine Vision: Es ist 2055. Mütter in die Politik – es ist soweit. Gleichberechtigung ist zur Normalität geworden. Die zweite Kanzlerin in Deutschland ist seit fünf Jahren im Amt und hat zwei Kinder im Grundschulalter. Erst die Einführung des Paritätsgesetzes hatte den Frauenanteil relevant erhöht. Zu den aktuellen 2020er Jahren blicken die Menschen durch den Rückspiegel: Das Gesetz hat eine Stärkung der Demokratie gebracht, die in den 2020ern bedroht gewesen schien. Familienfreundlichkeit ist nun ein Top-Thema. Wie gesagt, so in etwa lautet die Vision.
Doch wie sieht es in der Gegenwart aus? Hier stellen sich viele Fragen, denen Zöllner in ihrem Buch – auch anhand von Studien und Expertenerfahrungen – nachgeht: Wo liegen die Hindernisse für Frauen ganz allgemein, politisch präsent zu sein? Wo fehlt es bei der eigenen Motivation? Was muss sich in den Köpfen auch der Frauen und Mütter ändern? Was bei den politischen Strukturen und der konkreten Infrastruktur – Stichwort Stillräume für junge Mütter? Und in welchen Ländern ist man hier schon viel weiter? Hier nennt Zöllner Schweden, Dänemark und Finnland, wo diese Vision teilweise schon Gegenwart sei.
Das Nachholpotenzial ist in Deutschland enorm: Der Anteil an Frauen im aktuellen Parlament liegt bei einem knappen Drittel. „damit belegt Deutschland Platz 47 (von 184) weltweit in Bezug auf den Frauenanteil in nationalen Parlamenten“, schreibt Zöllner bezugnehmend auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2024. Im Jülicher Stadtrat liege dieser Anteil gar nur bei 23 Prozent, ergänzte eine der Anwesenden.
Als einen Grund für die schlechte Repräsentanz von Frauen benennt Zöllner das Wahlsystem: Frauen würden deutlich seltener über Direktmandate gewählt und bekämen auch schlechtere Listenplätze. Das Argument dafür: „Männer werden eher gewählt als Frauen“ verschärfe gleichzeitig das Problem, so Zöllner. Sie nannte eine konkrete Maßnahme, um hier gegenzuwirken: Kompetente Frauen sollten auf den Listen nach vorne geschoben werden.
Innerparteilich sei es wichtig auch neue Stimmen überhaupt ernst zu nehmen und in ihren Themen fair zu unterstützen. „Viele Frauen haben noch nicht diese Netzwerke aufgebaut“, weiß Zöllner. Und letztendlich kämen ja die ressourcenstärksten Kandidaten in der Politik nach vorne. In diesem Zusammenhang wirbt sie auch für die gegenseitige Unterstützung von Frauen, die eine „Riesenkraft“ sein könne.
Aber auch in den Köpfen der Frauen müsse ein Umdenken stattfinden: Dabei sei die Vorstellung, immer Harmonie herstellen zu müssen, ebenso hinderlich, wie das Gefühl, sich nicht kompetent genug zu fühlen. Frauen seien aber oft so sozialisiert. Ein wichtiges Fazit aktiver Politikerinnen zum Thema sei es auch, dass es einfach Spaß machen könne, Dinge anzustoßen. Es sei ein entscheidender Faktor sich bewusst zu machen, dass ich auch etwas bekomme, wenn ich mich beispielsweise als Mutter engagiere, erklärte die Autorin.
Gerade für diese stehe natürlich die Frage im Vordergrund: „Wo nimmt man noch die Kraft her, sich auch noch politisch zu engagieren?“ Das gelte natürlich gerade für Alleinerziehende. Doch auch für Mütter könne es eine Chance sein, auch nochmal aus dem Leben zu Hause raus zu kommen und unter Menschen zu sein, nennt sie eine wichtige Triebfeder.
Natürlich bedürfe es dafür bestimmter Voraussetzungen: Strukturen, die nicht immer wieder neu diskutiert werden müssten: Die Möglichkeit zur Online-Teilnahme, Erstattung für Haushaltsabwesenheit und natürlich entsprechende Betreuungsstrukturen.
Mehr noch als das Geschlecht seien in der Politik Menschen wichtig, die bereits Fürsorge-Verantwortung getragen haben. Eltern als Ressource wahrzunehmen, das sei ein Auftrag an die Parteien – das zeigten auch die zitierten Studien deutlich. In den Fürsorgerollen stehen immer noch Frauen ganz oben.
Jessica Fischer, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Jülich, ergänzte noch, dass es auch tolle Angebote von Organisationen gäbe, die Frauen den Einstieg in die Politik erleichterten. Kleine Anekdote: Auch so kann es gehen – das Jülicher SPD Mitglied Jenniver Lopes Barrilao hatte den Weg in die Kommunalpolitik durch einen Artikel im Herzog gefunden und kandidiert jetzt auf einem Listenplatz.
Zöllner ist Journalistin, freie Autorin und Mutter von zwei Söhnen und wohnt in der Nähe von Heidelberg. Im Jahr 2020 hatte sie ihr erstes Buch „Alleinerziehend und nun?“ veröffentlicht. Es folgten weitere. Außerdem betreibt sie einen Blog sowie einen Podcast zum Thema. Auf dem Portal https://www.muetter-macht-politik.de/ geht es konkret auch ums Netzwerken. Zöllners Botschaft an die Frauen und Mütter: „Du kannst das!“