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275 Jahre Maiclub Bourheim e.V.

Das Maifest – gelebte Tradition, ein Essay.

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Mai-Festumzug 1964 in Bourheim. Foto: Archiv
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Der Mai… Verheißungsvoll, voller Versprechen auf Sommer, Sonne und Spaß. Für mich der erste wirkliche Frühlingsmonat. Alles riecht so frisch, und man möchte den ganzen Tag draußen sein. Kein Wunder, dass der Mai als Wonnemonat gilt. Kein Wunder auch, dass den Menschen die Frühlingsgefühle packen. Man hat Lust rauszugehen, auszugehen. Gut, dass es im Mai speziell im Rheinland einige Gelegenheiten gibt, die Nacht zum Tag zu machen. Denn hier ist das Zentrum einer teilweise hunderte Jahre alten Tradition: Des Maibrauchtums. Fest verankert in vielen dörflichen Festkalendern werden Ämter sowie junge Frauen meistbietend versteigert. Von manchen heiß geliebt, von einigen Nase rümpfend betrachtet. Ganz in der Nähe von Jülich im kleinen Bourheim findet sich einer der ältesten, wahrscheinlich DER älteste Maiclub Deutschlands. Die Maigesellschaft Bourheim kann 2019 auf 275 Jahre dieser nur in unserer Region bekannten Tradition zurückblicken. Ich erinnere mich an viel Verständnislosigkeit, wenn ich meinen Kommilitonen und -innen im fernen Karlsruhe vom Grund meiner Heimreise erzählte.

Speziell der Punkt, dass man als Frau auch noch in Abwesenheit meistbietend versteigert wird, führte zur ein oder anderen Diskussion. Und auch ich habe mich aus feministischen Gründen gefragt, ob ich das gut finden „darf“. Ist Tradition ein hinreichender Grund? Ich glaube, man sollte dazu betrachten, was für Hintergründe die Veranstaltung hat, und was für Rechte der Auktionsgewinner erwirkt. Fangen wir mit der Tradition an.

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Erste Belege für eine Maitradition finden sich in Bourheim in steinerner Form: Die Bourheimer Jugend errichtete 1744 aus den Erlösen ihrer alljährlichen Maispiele etwa 1500 Meter von Bourheim in westlicher Richtung am Rande einer Feldschlucht ein Steinkreuz. Die Inschrift eben dieses Kreuzes gibt den Hinweis auf das Jahr 1744. Schon vorher müssen aber Maispiele in Bourheim, damals noch Baurheim, stattgefunden haben, darauf deuten diverse Verbote der damaligen Obrigkeit hin. Denen war das sicherlich zeitweise wilde Treiben naturgemäß ein Dorn im Auge. Bevor man damals dort das Steinkreuz errichtete, stand an dieser Stelle ein jahrhundertealtes, schweres Eichenkreuz. „Es hat an dieser Stelle so lange ein Kreuz gestanden, seit das Christentum im Jülicher Land Fuß fasste“, so heißt es. Schon zur Zeit des 30-jährigen Krieges waren in der Kreuzschlucht die im Kampf gefallenen Soldaten begraben worden. Meine Lieblingslegende ragt sich allerdings um den Lindenbaum, der später zum Kreuz gepflanzt worden ist und heute Teil des Bourheimer Wappens ist… Die Geschichte muss der interessierte Leser aber in der Festschrift des Maiclubs nachlesen.

Wie hat man sich also wohl die Anfänge der Maitradition vorstellen können? Das Leben im 18. Jahrhundert auf dem flachen Land war sicherlich kein Zuckerschlecken. Landwirtschaft ist ein hartes Brot, vor allem von anstrengender körperlicher Arbeit geprägt. Bourheim hatte zu dieser Zeit gerade einmal etwa 200 Einwohner. Gleichzeitig hat man aber überall und in den verschiedensten Kulturen den Frühling auf die ein oder andere Weise begrüßt und um Fruchtbarkeit gebeten. Reiche Ernte auf dem Feld war essentiell. Die Maispiele waren da in zweierlei Hinsicht wertvoll: Zum einen bieten sie der Bevölkerung die Gelegenheit, noch einmal Spaß zu haben, bevor Saat, Felderpflege und dann Ernte und so weiter anstehen. Zum anderen gibt es die schnöde Möglichkeit, Pärchen zu verkuppeln. Früher wurde in vielen Orten das schönste Mädchen zur Maikönigin gewählt und dann dem Höchstbietenden für den Mai als Begleiterin „gegeben“. Das Geld, das so eingenommen wurde, wurde dann den weniger begehrten Mädchen als Aussteuer gegeben. Das könnte man – und wurde es sicher – als etwas beschämend empfinden, war aber ja eine gute Sache objektiv betrachtet. So oder so ersteigerte Mann sich die Erlaubnis, sich dem ersteigerten Mädchen zu nähern und Zeit mit ihr zu verbringen. Heutzutage unbegreiflich, war es im 18. Jahrhundert noch nicht so leicht, die Angebetete oder den Angebeteten näher kennenzulernen. Sicherlich entstanden so diverse spätere Ehen. Was so auch gewünscht war, um zu verhindern, dass durch Einheiraten aus fremden Dörfern Land der Dorfgemeinschaft verloren gehen würde.

Im Laufe der Zeit haben sich diese Prioritäten sicherlich verschoben, aber bis Anfang des Jahrhunderts wird der Teil der Eheanbahnung immer noch interessant gewesen sein.

In der Neuzeit liegt der Fokus immer mehr in Richtung Unterhaltung. Als ich im Jahr 2002 Königin war, war das schon ein Hauptpunkt. Man könnte nun meinen, dass der Punkt des Versteigertwerdens nicht akzeptabel ist vor diesem Hintergrund. Aber exakt das macht ja irgendwie den Kern einer Tradition aus: Gepflogenheiten über die Zeit retten, um die Vergangenheit zu ehren. Sicherlich ist das ein Punkt, über den man streiten könnte, aber auch einer derer, wieso sich junge Menschen heutzutage noch entscheiden, die Königswürde / Verantwortung zu übernehmen oder sich überhaupt in einem Traditionsverein zu engagieren. „Mein“ Maikönig Markus Offermanns zum Beispiel wollte damit vor allem seine Großeltern ehren, die 2002 ihr 50-jähriges Maikönigs-Jubiläum hatten. Ida und Günther Hanné, besagte Großeltern, sind im Übrigen auch ein schönes Beispiel für eine langjährige Ehe eines ehemaligen Maikönigspaares. Was waren meine Beweggründe… Mmh. Ich glaube, mir gefällt auch in der Erinnerung das Gefühl, zu etwas dazuzugehören, Teil einer Gruppe zu sein und eine Aufgabe zu haben. Der Gedanke, eine Tradition zu bewahren, war sicher auch ein Grund. Ich bin in Bourheim aufgewachsen, und da gehört das Maifest und überhaupt das Vereinsleben zum Dorf dazu. Dinge, die man macht. Ich erinnere mich auch, dass es mich gefreut hat, gefragt zu werden. Es ist ja auch in einer Weise schmeichelhaft. Und bereut habe ich es ganz sicher nicht. Das Maifest ist eine gelebte schöne Erinnerung, und in meinen Augen sind es die Erinnerungen und Erlebnisse, die ein menschliches Leben ausmachen. Ganz klar ist aber auch, dass ich es ohne die finanzielle Unterstützung meiner Eltern nicht hätte machen können (Danke nochmal dafür, Ihr zwei.). Auch die beiden bereuen es auf Nachfrage nicht und auch sie nennen als Grund, wieso sie mich gerne unterstützt haben, dass ihnen der Erhalt der Tradition wichtig sei.

Im Laufe der Geschichte des Maiclubs Bourheim wird auch deutlich, wie wichtig den Menschen des Dorfes insgesamt das Fest war. So wurde die Maikönigin nach der Jahrhundertwende für teilweise 60 Goldmark versteigert. Wieviel Geld das war, sieht man am Beispiel des zur gleichen Zeit rund 40 Goldmark kostenden Herrenanzugs. Und speziell in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg ist überliefert, mit was für einem großen Einsatz und sicherlich auch persönlichem Verzicht es verbunden war, das Maifest auf die Beine zu stellen. Eine Rechnung aus dem Jahr 1948 belegt, dass, um die Musik engagieren zu können, ein Vertrag mit der Kapelle Loup ausgehandelt wurde über dreieinhalb Zentner Kartoffeln und 30 Pfund Weizenmehl sowie 850,- Reichsmark. Das war sicher keine Kleinigkeit aufzubringen in diesen Zeiten. Adele Kosch, geborene Schönebeck, erinnert sich aber zum Beispiel, dass das eine der schönsten Kirmessen war für sie als Kind. 1957 mit 19 Jahren wird sie dann Maikönigin. Statt mit ihrem Maimann, der zu der Zeit in seiner Gesellenprüfung stand und passen musste, auf Beschluss des Maiclubs mit ihrem damaligen Freund Toni Schlechtriem. In dieser Zeit brauchte man als Königin noch vier verschiedene Kleider: drei lange und ein kurzes. Um das Geld für die Schneiderin aufzubringen, packte der ganze weibliche Teil der Familie Schönebeck mit an. Adele, ihre Schwester und auch ihre Mutter mussten dafür Rüben vereinzeln. Ein Knochenjob auf den Knien für 20 Mark pro Morgen Land. Auf die Frage, ob sie es denn bereut hätte, Maikönigin sein zu wollen, antwortet sie klar nein. Sie habe eine sehr schöne Zeit gehabt. Es sei eine ehrenvolle Aufgabe gewesen, etwas, was alle jungen Frauen gerne einmal sein wollten zu dieser Zeit. Eine lustige Anekdote am Rand: Meine Mutter war Engelchen bei den beiden, auch ihr Kleid von der gleichen Schneiderin.

Überhaupt: Was wäre ein Verein ohne sein Personal, der Kitt, der die ganze Veranstaltung zusammenhält und dem jeweiligen Jungvolk erklärt, wie es gemacht wird? Mund zu Mund Überlieferung. In meiner Erinnerung sticht dabei eine besonders raus. Eine Ur-Bourheimerin: Anni Schog, geborene Schnitzler. Traditionen sind mit Ritualen verknüpft, und Anni hat uns und auch viele andere vor und nach uns wöchentlich liebevoll getriezt, um uns diese einzutrichtern. Wie man wo hinläuft, wie man nickt, wie und in welcher Reihenfolge der Königswalzer getanzt wird. Lustige Abende – es wurde immer viel gelacht, und ich kann mich gar nicht erinnern, wie oft ich wegen meiner frechen Klappe mit ihrem Schlupp (Platt für Hausschuh) beworfen worden bin.
Oder der langjährige Zugführer Hermann-Josef Puchala, den die meisten wahrscheinlich nur unter seinem Spitznamen kennen. Viele, viele Jahre lang hat er den Bourheimer Maizug angeführt und dem Nachwuchs alles Mögliche erklärt. Leider erlebt er den Jubiläumsumzug dieses Jahr nun nicht mehr – er ist Anfang des Jahres verstorben.

Nur zwei Beispiele von ganz, ganz vielen. Damit komme ich zum Ende zu meiner Bitte: Tradition ist Erinnerung. Sie macht uns aus und ist in den meisten Fällen erhaltungswürdig. Lasst uns das im Hinterkopf haben und unsere Traditionsvereine, sei es Maiclubs, Karnevalsvereine, Schützen, was immer, unterstützen. Geht hin, arbeitet mit und lasst sie nicht aussterben. Anfangen könnt Ihr alle mit dem Maifest in Bourheim, das auch dieses Jahr traditionell am Wochenende vor Christi Himmelfahrt stattfinden wird. Das diesjährige Maikönigspaar Frank Froitzheim und Elisa Münstermann werden sich sehr freuen. Und alle lebenden Maikönigspaare der Vergangenheit mit ihnen, wenn sie sonntags alle zusammen im Festzug durchs Dorf ziehen – ich winke Euch auch, versprochen.

Fotos aus dem Archiv des Maiclub Bourheim

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Andrea Eßer
In Jülich geboren und dann nach der Schule ab in den Süden zum Studium der Wortjonglage. Nach einer abwechslungsreichen Lehrzeit mit den Prominenten dieser Welt, überwog das Heimweh nach dem schönen Rheinland und Jülich im Speziellen. Deckname Lottofee, liebt ihre Familie, Süßigkeiten, Kaffee, alles Geschriebene und Torsten Sträter. Anfällig für sämtliche Suchtmittel (nur die legalen natürlich). Hat schon mal eine Ehrenurkunde gewonnen und ihre erste Zeitung bereits mit zehn Jahren herausgegeben. Hauptberuflich strenger Händchenhalter eines Haufens vornehmlich junger Männer. Der Tag hat notorisch zu wenige Stunden für alle Pläne und kreativen Vorhaben, die meiste Zeit etwas verwirrt.

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