Start featured „Schön sein, und ein bisschen obszön sein“

„Schön sein, und ein bisschen obszön sein“

Was die "Toten Hosen" einst besangen, kann Kunst sein, erklärt Sammler Ralf Richter, bestens bekannt in Jülich als "Nök".

1324
0
TEILEN
Sammler Ralf Richter alias Nök. Foto: Britta Sylvester
- Anzeige -

„Willkommen im Penis-Palace!“ Ein fröhliches Grinsen breitet sich über das ganze Gesicht aus, als der Gastgeber die Tür öffnet. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Selbstironie und vermutlich auch einem dicken Fell amüsiert sich Kunstsammler Ralf Richter über den Spitznamen, den sein Heim inzwischen trägt. Ohne derartige Eigenschaften ist man als Sammler von Erotica – so der Fachmann über sein sehr spezielles Sammelgebiet – vermutlich auch eher schlecht beraten. Zwei gigantische graue Tempellöwen asiatischer Herkunft bewachen den Weg zur Haustür. Direkt neben der Eingangstür ragt ein gigantischer Phallus aus poliertem Marmor fast mannshoch empor. Aktuell übrigens mit einem weihnachtlichen „Kopfputz“ versehen.

Das auffällige Sammelobjekt ist bereits häufiger zum Stein des Anstoßes geworden, erst kürzlich klingelte eine ältere Dame, beschwerte sich über die Obszönität und klagte, sie wisse nicht, wie sie ihrem Enkel „das“ erklären solle. Beschwerden wie diese sind Alltag im Sammlerleben des Ralf Richter, vielen Jülichern besser bekannt als „Nök“. Aber anzeigen dürfe man ihn nicht, den grauen Riesenpenis, denn „nur wenn der Neigungswinkel 45° überschreitet“ sei es Pornographie und die öffentliche Zurschaustellung somit verboten. Das erklärt auch, warum der steinerne Faun hüftabwärts sorgsam mit einem Tuch verhüllt ist und zudem gegen die Wand starrt. Öffentliches Ärgernis erregen soll er schließlich nicht. Weit offensiver sind die Darstellungen im Inneren des Hauses. Schon die Treppenstufen im Flur zieren explizite Darstellungen verschiedenster sexueller Praktiken im Miniaturformat, Drucke von Salvador Dalí, Pablo Picasso oder Horst Janssen schmücken die Wände, auch sie eindeutig der Aktmalerei zugehörig. Doch nicht nur der erotischen Kunst gehört Nöks Sammelleidenschaft. Ebenso begeistert sammelt er bereits seit Jahrzehnte Kunstwerke aus Südostasien und Afrika. Treppauf, treppab, im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, selbst im Badezimmer finden sich die gesammelten Schätze. Nur die Küche und das Bad der Lebensgefährten sind vergleichsweise „Kunst frei“.

- Anzeige -

Mannshoch sind viele der kunstvoll geschnitzten Skulpturen, so manches Objekt ragt gar bis zur meterhohen Decke empor. Unter den gesammelten Stücken sind Pfähle, die einst die Dächer von Behausungen der Asmat trugen. Mit unzähligen Nägeln gespickte Voodoo-Figuren aus beinahe schwarzem Holz aus Benin scheinen den Besucher zu beäugen, und in den Vitrinen liegen bizarre Stücke, deren Zweck erklärungsbedürftig ist. „Das hier ist eine Koteka“, erläutert der Sammler schmunzelnd und führt weiter aus, das das schlangenförmige Objekt aus einer Kürbisfrucht hergestellt und bis heute das einzige Bekleidungsstück eines Volkes in Papua-Neuguinea ist. Angesichts der eher ungewöhnlichen „Bekleidung“ wird die Verwandtschaft zwischen den beiden, auf den ersten Blick vermeintlich vollkommen unterschiedlichen Sammelgebieten des Ralf Richter deutlich. Zahlreiche Skulpturen und Statuen tragen ebenfalls deutlich sichtbare Phalli – häufig dienten sie als Symbol der Fruchtbarkeit. „Überall auf der Welt ist das völlig normal, nur in Deutschland scheinen Phalli ein Problem zu sein“, stellt der Sammler kopfschüttelnd fest.

Und wie kommt man nun dazu, einer solch ungewöhnlichen Sammelleidenschaft zu frönen? „Tja, warum sammelt der Sammler?“ fragt selbiger rhetorisch zurück, um sich gleich selbst zu antworten, dass ihn einfach irgendwann die Faszination gepackt habe. „Schuld“ waren zwei Erbstücke aus dem asiatischen Raum vom früh verstorbenen Vater hinterlassen. Für den jungen Nök Anlass für eine erste Reise nach Bali. Weitere Reisen folgten und jedes Mal brachte er ein, zwei weitere Stücke aus dem Urlaub mit heim. Nur um eines Tages völlig enttäuscht feststellen zu müssen, dass er eine hübsche Sammlung aus „lauter Touristenschrott“ besaß. Der Schrott musste weichen, der Ehrgeiz war geweckt. Richter investierte in Fachliteratur und begann ernsthaft zu sammeln. 15 Jahre lang habe er knapp 300 Nächte pro Jahr in irgendwelchen Hotels verbracht, immer auf der Suche nach dem nächsten Exemplar für die stetig wachsende Sammlung.

Die Echtheit der Stücke garantieren heutzutage sogenannte Thermolumineszenz-Gutachten oder die Überprüfung mittels C14-Messung, bei der die Zerfallsrate des radioaktiven Kohlenstoffisotops C14 Auskunft über das Alter eines Stückes gibt. Auch die Provenienz, also die Herkunft der Stücke, muss urkundlich belegt sein. Und warum erotische Kunst? Andere Frage, ähnliche Antwort: Auch hier war und ist es schlicht und einfach die Faszination, welche die verschiedensten Objekte ausüben. Und wohl auch die vielen kleinen und großen Geschichten die sich hinter den einzelnen Stücken verbergen. So finden sich etwa zierliche Porzellandosen aus China in der Sammlung, scheinbar harmlos mit floralen Ornamenten verziert – unter dem Deckel dann präsentieren sie ganz unverblümt detailreiche Sexszenen. „Streng verboten“ waren derlei Darstellungen im Reich der Mitte, doch fanden die Besitzer offenbar Mittel und Wege, erläutert Nök und weiß auch warum: „Das war die Pornographie der reichen Gesellschaft damals.“

Das eine oder andere erotische Exponat darf übrigens auch ohne Echtheitszertifikat im Hause Richter bleiben: Während der eine Aschenbecher ein Original ist, ist der andere eine günstige Kopie – aber hier zählt das Motiv. Apropos Motiv, selbst zahlreiche Gebrauchsgegenstände tragen erotische Bildchen, vom Behälter für Zahnstocher über den Flaschenöffner hin zu Türklinke, Wasserhahn und Waschbecken. „Da hab ich gleich morgens beim Zähneputzen eine hübsche Aussicht“, freut sich der Besitzer und plaudert noch ein wenig über die Pläne für den Ausbau der Sammlung. Im Garten soll demnächst, wenn es wärmer wird, eine Tempelanlage Platz finden – irgendwo neben der knallbunten Nana, erfunden von Niki de Saint-Phalle, und der kunstvoll geschnitzten Schaukel aus Rajasthan, die einst den Garten der deutschen Botschafterin zierte.
Einen Tipp für einen Museumsbesuch hat der Sammler zum Abschied dann auch noch parat: das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln. „Das ist eine tolle Ausstellung, lohnt sich total!“ Erotica gibt es dort allerdings nicht, „Kulturen der Welt“ sind in dem ehtnologischen Museum hauptsächliches Thema – das es dabei die eine oder andere Überschneidung gibt, lehrt ein Besuch in der privaten Sammlung von Ralf Richter.

TEILEN
Vorheriger ArtikelEs blitzt
Nächster ArtikelHerzögliche Bauern 2023
Britta Sylvester
Klönschnacktee mit der Muttermilch aufgesogen und inzwischen beim rheinische Kölsch angekommen. Übt sich in der schreibenden Zunft seit Studententagen zwischen Tagespresse und Fachpublikationen und… wichtig: ließ das JüLicht mit leuchten.

§ 1 Der Kommentar entspricht im Printprodukt dem Leserbrief. Erwartet wird, dass die Schreiber von Kommentaren diese mit ihren Klarnamen unterzeichnen.
§ 2 Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.
§ 3 Eine Veröffentlichung wird verweigert, wenn der Schreiber nicht zu identifizieren ist und sich aus der Veröffentlichung des Kommentares aus den §§< 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here