Zu Beginn machen viele Schreiberlinge erst einmal einen Absatz.
Das dient der Lesbarkeit, denn es hebt sich ab. Und, ist er gut gemacht, verfängt der Text beim Publikum. Genauso, wie Absätze an Schuhen Menschen herausheben. Oder Absätze an Gebäuden hervorstehen und häufig einen gewissen Schliff hinzufügen. Was wäre die Welt und wer wären die Menschen denn, ohne etwas, das sie besonders macht?
Wobei, so ganz besonders ist es nicht immer. Häufig machen Absätze nur größer. Doch zeigen sie nicht dadurch neue Perspektiven auf? Blickwinkel, die sich ansonsten so nie ergeben hätten? Vielleicht geht es nicht immer nur darum, aus symbolischen Gründen größer wirken zu wollen oder über allen zu stehen. Was ist, wenn ein Absatz vor allem die Perspektive ändert?
Wer hohe Schuhe trägt, erhält den Vorteil eines Überblicks, den diese Person vorher nicht hatte. Eine Weitsicht, die auf dem Level anderer Menschen der natürlich gleichen Größe ist – oder in besonderem Falle eine annähernd einzigartige Sichtweise. Gibt es im Absatz vielleicht einen inneren Moment, der damit auch hervorgehoben wird? Eine Veränderung, die alles anders aussehen lässt – wenn man dafür offen ist?
So, wie ein textlicher Absatz nachhallt und zum Denken anregt, etwas im Kopf bewegt, so kann selbstverständlich auch ein gewisser wirtschaftlicher Absatz potenziell Einstellung und Denkweise beeinflussen. Wer nicht von Existenzangst bedroht ist, kann freiere Entscheidungen treffen. Wer vielleicht sogar noch ein Stück mehr verdient als zwingend notwendig, kann sogar nach Belieben entscheiden. Manchmal sogar in Dingen, die dem eigenen Ich von früher entgegenstehen. Man würde manchen Menschen wünschen, dass die Vergangenheit mehr verwurzelt bleibt, als sie verdrängbar ist.
Apropos Vergangenheit: Prägend für die Region sind natürlich auch die großen Absetzer und Bagger in den riesigen Tagebauen, die innerhalb historisch kürzester Zeit das Wesen und die Natur unserer Heimat nachhaltig verändert haben. „Was wären wir ohne die Sophienhöhe?“, hört man fragen. Eine so wichtige Institution für die Naherholung. Auf der anderen Seite erfasst einen, wenn man vor dem horizontlangen Nichts steht, in dem die Maschinen so winzig wie Spielzeuge aussehen, ein Schauer von beängstigender Faszination. Es ist zum Einen die Schönheit der Erdschichten und geologischer Strukturen, die am Boden und den Wänden zu sehen sind. Ein Zeichen des wirtschaftlichen Fortschritts vor Jahrzehnten, des Forschungsgeistes und des Ansatzes, des Wohlstand zu bewahren. Aber auch der Gedanke, wie viel hier vernichtet wurde. Wie viele Menschen sich absetzen mussten, obwohl sie vielleicht gar nicht wollten. Die ihre Heimat verloren. So, wie sich aus anderen Gründen weltweit immer wieder und immer mehr Menschen absetzen müssen, weil sie vertrieben werden – oder nichts haben, zu dem sie zurückkehren können.
So vieles wird heute abgesetzt. Einiges davon sind zum Beispiel Fernsehsendungen. Geht es anderen auch so, dass immer wieder genau die Serien Lieblingsserien werden, die nach einer Staffel abgesetzt werden? Und andere, die man kaum erträgt, laufen endlos weiter. In fünf, zehn, fünfundzwanzig Staffeln. Wann kommt eigentlich der Moment, in dem wir die aktuelle absetzen? Die, in der Unmenschlichkeit und Respektlosigkeit vorherrschen? Die Verhöhnung der Freiheit, die erbarmungslose Freude am Leid, der Erniedrigung und dem Versagen anderer? Ich frage mich, wer das sehen will – und warum wir uns nach diesen Menschen richten sollten. In Abwandlung eines Zitats Walter Scheels: Wann kommen wir wieder dazu, Dinge zu tun, weil sie richtig – nicht, weil sie vermeintlich populär sind?
Vielleicht und hoffentlich ist es in nicht zu ferner Zukunft so weit. Und vielleicht beschließen wir es dann mit einem großen Absatz. Der diesmal wieder ein Perspektivwechsel ist.