Start Magazin Kunst & Design Ein goldener Schnitt durch die Kunst

Ein goldener Schnitt durch die Kunst

Das Herbstlicht kämpft gegen die anwachsenden Schatten

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Von bunt zu kahl | Grafik: HZG
Von Herbst zu Winter | Grafik: HZG
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Golden, das zielt natürlich auf die Färbung des Laubs im Monat Oktober, das Licht wird zunehmend wärmer und die Wolken segeln wie in einem Barock-Fresko als rosa gefärbte Schlagsahne vor einem Himmelblau, das einen Stich ins Violette bekommt. Melancholie, Abschied und eine Skala von Gelbmischungen will uns unter der schon flachen Sonnenbahn als Golden erscheinen. Das Licht greift täglich tiefer in den Raum und rennt gegen die anwachsenden Schatten an. Eine meiner Lieblingsziele in Jülich ist die Mündung des Ellbachs in die Rur am frühen Morgen. Dann wende ich den Gewässern den Rücken zu und blicke von der Tiefe des Uferwegs auf den Anstieg der Merscher Höhe. Die Bewegung des Anstiegs bündelt die Landschaft wie in einem Hohlspiegel: Chausseebäume – Birken, die einen Schleier von hin getuschtem Grün durch die gläserne Luft wehen lassen, die Felder mit der Wintersaat sind von hellen Büschen gesäumt– Weißdorn, er hat seine Blüten direkt auf das Schwarz des Geästs gesetzt, das Grün der Blätter wird er erst in Wochen austreiben. Oben am Ende des Aufstiegs die Rapsfelder, ein kaltes Gelb gegen ein Azurblau. Der Horizont. Von hier unten will er mir auf einmal als die Kante einer Steilküste scheinen, Eckernförde, nur ein paar Schritte hinauf und ich erblicke die Ostsee.

Natürlich liegt hinter der Höhe Welldorf und der Leser hat es bemerkt, ich habe die Jahreszeit gewechselt. Diese reine, wie abgesaugte Luft, die Art der Farben und Blüten, das ist der April in all seinen Stadien. Der Blick auf diese Höhe ist zwar auch im Oktober schön, aber ich suche diese Stelle lieber im 4. Monat auf, der dem Oktober als 10.Monat nicht nur rechnerisch sondern exemplarisch gegenübersteht, wie Aufbruch und Ausklang.

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Im Oktober gehe ich mit dem Jahr ein Stück weiter. Ich überquere die Rur, wo sie sich mäandrierend im Bruchwald verliert und stehe auf der Ackerfläche, die sich zum Barmener See hin dehnt. Kopfweiden reihen sich mit ihren Laubkugeln wie eine perspektivische Übung auf die Pappelwand des Auwalds zu und der Blick geht westwärts auf die sinkende Sonne, die jenseits der Tag-Nachtgleiche nun deutlich früher hinter die Atmosphäre abtaucht. Die Felder sind abgeerntet, ein Traktor bricht mit dem Pflug die Stoppeln um, Staub wirbelt auf und durch die Brechung der Luftschichten, die dem Oktoberlicht seine Farbigkeit gibt, verwandelt sich der Staub zu Goldpuder, der sich über die Ebene senkt.

Stauden von Wegwarten halten mit ihren eisblauen Blütensternen gegen den kobaltblauen Oktoberhimmel und an den Lichtkanten der Pappeln und Kopfweiden tun sich Abgründe auf: die indigofarbenen Oktoberschatten, in die sich die taumelnden Schmetterlinge stürzen.

Ich habe lange gebraucht um heraus zu finden, woher die Dunkelheit dieser Schatten rührt. Sie rührt nicht vom Lichteinfall, sie rührt von den Blättern. Das durchscheinende Aprilgrün hat sich über das Jahr verdichtet und mit Substanz aufgeladen. Schwer hängen sie von den Ästen, bräunlich, die Transparenz ist fort, Kompostblätter. In den Gärten sind riesige Haufen davon zusammengekehrt und mit Kürbis und Kapuzinerkresse bewachsen, daneben das Feuer der Zinnien, die Sterne der Dahlien, die Astern von Hummeln befallene Bouquets. Goldener Oktober, aber es  bleiben uns nur zwei, im besten Falle drei Wochen bis zum Wettersturz, der uns in den November wirft.

Ich weiß nicht, ob dieses Mahnen dem Gold prinzipiell innewohnt. Dagobert Duck badet in Dukaten – in einem Panzerschrank. Alles was König Midas berührt, verwandelt sich seinem Wunsch gemäß in Gold und macht damit mehr als 2000 Jahre vor der Rede des Häuptling Seattle klar, dass man Gold nicht essen kann. Die Armada rückt aus um El Dorado zu suchen und sie findet den unermesslichen Aztekenschatz. Die Azteken selbst sind danach allerdings weniger auffindbar.

Da tauscht Hans im Glück doch lieber gleich den Klumpen Gold gegen Geringeres, bis er am Ende völlig frei und  unbeschwert ist und nicht wie Hollywood-Piraten beim Schiffbruch vom geraubten Gold auf den Meeresgrund oder sonst wo hinab gezogen werden kann. Hinauf hingegen klettern die Notierungen des Goldpreises wenn die Aktien und Staatsanleihen fallen und in der Volkswirtschaftslehre gründet sich jede Währung auf Goldreserven, in der Realität nicht unbedingt. Das Gold steht für die Sonnenkraft, die unerschöpfliche Basis allen Lebens. Kein Wunder also, dass Gold mythische Bedeutung besitzt und dass sakrale Gegenstände rund um den Globus in Gold ausgeführt werden. Gold, Licht und Gott sind Äquivalente.

Und plötzlich lässt Giotto den Goldgrund weg. Die Heiligen und selbst der Herr werfen einen Schatten und der goldene Grund zerfällt uns zu Teilen eines ständig wachsenden Puzzles. Das Licht Gottes wird eine elektromagnetische Schwingung, es bewegt sich durch den profanen Raum und nimmt dabei im Quadrat zur Entfernung von der Lichtquelle ab. Allerdings fängt das Licht erst dadurch an zu leuchten, denn der Schein, das ist der Weg des Lichts aus der Tiefe einer Entfernung. Unserer eigenen Entfernung, die aus dem metaphysischen Dunkel kommt und das sich nach Licht sehnt, nach Liebe oder Gold.

Kunst bildet nicht ab, sie bedeutet. Das Verschwinden des Goldgrundes markiert eine geistige Krise ungeheuren Ausmaßes. Die Erde wird kartiert, Wissenschaftler sind Künstler und umgekehrt und ohne den Goldgrund auf uns selbst verwiesen und als bloße Natur in die Natur gestellt, bleibt ein unerfüllter Rest. Wir suchen nach dem Grund.

Jetzt erst entsteht die Landschaft, die es vorher nicht gegeben hat. Landschaft ist ja nicht Stadt, Land, Fluss sondern ein Symbol und die Projektion psychischer Beschaffenheit in das Außen: die Merscher Höhe als ein Aufschwung zur Steilküste, der Schatten als ein Abgrund, das ist Projektion des Inneren und das Arbeiten an einem neuen Goldgrund, der romantisch genug ist zu hoffen, dass er angesichts kommender Novembergüsse bis zum nächsten Frühling hinüber trage – mindestens.

 


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