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In die Sonne schauen

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Peer Kling. Foto: Volker Goebels
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Hermann-Josef Schüren rief mich an: „Ich gehe morgen um 16:30 ins Aachener Apollo und sehe mir ,In die Sonne schauen‘ an. Der Film ist als der deutsche Beitrag für den ,Auslandsoscar‘ nominiert.“ Wenn der vielfache Buchautor, mit dem ich vor Jahren eine Lesung auf meinem Hof veranstaltet habe, einen Film sehen möchte und die Regisseurin Mascha Schilinski mit ihrem zweiten Spielfilm auch noch nach dem Oscar greift, gibt es nur eine Antwort: „Ich komm‘ mit.“ Ich habe nachmittags das Kino niemals zuvor derart gut besucht erlebt und auch nicht eine solch hingebungsvolle Konzentration auf den Film. 149 Filmminuten lang höre ich keinen einzigen Mucks aus dem eher älteren Publikum, abgesehen von ein paar Hüsterchen meinerseits, Entschuldigung.

Am Ende des langen Abspanns, geschuldet der stattlichen Anzahl der Mitwirkenden, flüstert mein Freund: „Tut mir Leid, Junge.“ Ich dachte, ich hör‘ nicht recht. Erst als das Licht anging, sagte ich: „Das ist doch ein außergewöhnlich guter Film, Danke, dass Du mich angerufen hast.“ Pause. Wir sind längst allein im Halbdunkel des Kinosaals. P: „Also Du kennst doch die Filmreihe ,Heimat‘ von Edgar Reitz. Das jetzt war doch wie eine interessante Variante Ost, oder?“ H-J S: „Ja, schon, aber diese Diskontinuität und die vielen Brüche.“ P: „Habe ich natürlich auch bemerkt, aber ich fand sie nicht schlimm, ein Puzzle halt, das am Schluss ein abgerundetes Bild ergibt.“ (Wikipedia formuliert es so: Der Film folgt keiner klassischen narrativen Struktur, sondern präsentiert sich als formales, filmisches Mosaik.) H-J S: „Aber diese vielen Blackouts zwischendurch!“ P: „Na, und? Auch das ist Filmsprache und Pause für den Kopf.“ H-J S: „Hm.“

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Die unterschiedliche Auffassung hat uns nicht daran gehindert, unsere Freundschaft bei einem Bier zu vertiefen. Ich reiche Euch gerne einige meiner subjektiven Eindrücke weiter.

Ich bewundere den Mut, den Film genau so zu machen. Beispielsweise die Figuren den lokalen, völlig unverständlichen Dialekt sprechen zu lassen und mit Untertiteln zu entschlüsseln. Das ist kein Mainstream. Das Ergebnis wird vielleicht nicht von der breiten Masse gefeiert, aber ich nehme an, frenetisch von diversen Filmliebhabern. Mascha macht eben ihr Ding und keine Masche. Sie ist eine Macherin, Chapeau. Der Film lief in Cannes im Wettbewerb, schon die Zulassung ist ein Ritterschlag und erst recht die Auszeichnung mit dem Preis der Jury. Wer ist diese Frau? 1984 in West-Berlin geboren. Sie fiel 2015 mit ihrem Studentenkurzfilm „Die Katze“ auf, ebenso mit ihrem Spielfilm-Erstling „Die Tochter“ (2017). Irgendwie schon eine „Apfel-Birnbaum-Geschichte“: Mutter Filmemacherin. Und ihren Vater, den Bauarbeiter aus Frankreich, bezeichnet sie als den heimlichen Cineasten der Familie. Mascha hat auch als Schauspielerin gearbeitet.

Ihr neues Film-Drama ist fast vollständig in Neulingen im Altmarkkreis Salzwedel gedreht worden. Darin geht es um eine große Familie mit mehreren Generationen, die in einem Vierkanthof lebt, insbesondere um die Geschichten von vier Frauen in vier Zeitepochen. Verschiedene Personen, meistens Frauen treten als Ich-Erzählerinnen auf. Das Who is Who würde sich beim Nochmalansehen des Films in meinem Kopf entwickeln wie auch das Differenzieren der Zeitepochen. Die Beziehungen und Zeiten sind natürlich festgelegt, aber beim ersten „In die Sonne schauen“ nicht so 100%ig nachvollziehbar. Macht nichts. Ich möchte ihn ohnehin noch einmal sehen. Bitte informiert Euch im Internet über die ebenfalls besonderen Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Film arbeitet gerne mit Überraschungseffekten. Einige Film-Bilder bleiben in meinem Kopf. Eine Demenz oder der Tod wird sie mir in absehbarer Zeit rauben. Aber bis zum „Black Out“ möchte ich noch viele solche Filme sehen.

Läuft im Oktober im Kuba-Kino.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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