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Auf der Durchreise

Leichtes Gepäck für eine Expedition durch das Jahrhundert

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Expedition | Foto: HERZOG
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Dimensionen gibt es verschiedene, aber umgangssprachlich meinen wir damit die Ausdehnung. Das hat vielleicht Dimensionen, sagen wir, und meinen damit das riesig Große und nicht das Kleine, das doch auch Dimensionen hat. Das Große ist in unserer Kultur von Bedeutung. Schon die Dome wetteiferten um Höhenmeter, was letztlich absurd ist, zielt doch das sakrale Bauwerk nicht auf irdische Macht, sondern auf die himmlische, die über solch mechanische Annäherungen erhaben ist. Doch spätestens seit der Reformation und Calvin ist ein Platz im Guinness Book der Rekorde so etwas wie ein irdischer Gnadenbeweis geworden.

In der Kunst setzt sich das zwangsläufig fort. Der Louvre ist für seine riesigen Bildwerke berühmt. 7×8 Meter große Leinwände, brillant gemalte Saucen von Netzhautrealität, wenn da irgendwo ein Leichtsinn auftaucht, wird er sogleich in Öl und Firnis ersäuft. Irgendwann hat man diesen Parcours der saalartigen Flure bewältigt, tappt noch wie benommen von den Dimensionen und steht dann plötzlich im Dunklen. Irritiert blickt man auf ein vielleicht 50 x 60 cm messendes Gemälde. Aufgrund seiner Berühmtheit hätte man ihm ein Vielfaches an Größe zugerechnet. Dazu diese tabernakelartige Präsentation, dieses Erscheinen als Licht im Dunkel und man stürzt geradezu hinab in dieses Vis á vis mit dem berühmten Lächeln, in dieses Tête à tête mit der weltberühmten Ikone: ich stehe tatsächlich vor Leonardos Mona Lisa (wenn auch in einem Meer von Touristen).

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Parallel zu meiner Malerei habe ich immer gerne Kultur organisiert. So hatte ich mit einem befreundeten Fotografen in Köln eine Räumlichkeit unweit des Rudolfplatzes, die wir mit 99 Sitzplätzen neben Theater- und Kleinkunstaufführungen auch für Ausstellungen nutzten. Ab 100 Plätzen hätte es einen Feuerwehrmann gebraucht.

Bei einer Eröffnung trat ein kleiner, weißhaariger Mann mit Anzug, Krawatte und Tuchmantel auf uns zu. Unter dem Arm trug er ein riesiges, gebundenes Buch. Ein Tapetenmusterbuch, wie sich beim Aufschlagen zeigte. Auf die Rückseiten der Muster hatte er mit expressiven Strichen Porträts geworfen. Heinrich Böll, Willi Millowitsch, de Aap, das kölsche Boxeroriginal. Dazu gab es Anekdoten, die Worte gingen hin und her und er lud uns ein, ihn in seinem Atelier zu besuchen.

Und so ziehen wir an einem Samstagnachmittag in einen Kölner Vorort, Einfamilienhäuser aus den 50er Jahren, bergende Hecken, Vorgärten. Der Hausherr öffnet und bittet uns in das salonartige Wohnzimmer an die Kaffeetafel, zwei Damen sitzen uns gegenüber. Schwestern, eine davon ist auch seine Ehefrau. Die Kaffeekanne kreist, Kuchen wird nachgelegt, wir plaudern. Über unsere Theatergalerie, über seine Arbeit, sein Leben. Er ist Jahrgang 1900. Ein Spezialist für die aufkommende Verarbeitung von Plasten, aber über den Sommer ist er oft für ein halbes Jahr verschwunden, um herum zu streifen und Begegnungen festzuhalten. Seinen Firmenchefs hat er das bei einer Einstellung als nicht verhandelbar dargestellt und die beiden Schwestern haben das mitgetragen. Und so ist er in diesem Jahrhundert vor, im und nach dem Krieg immer unterwegs gewesen.

Die Kaffeetafel wird aufgehoben, der Hausherr bittet uns nach oben in sein Atelier. Es ist nicht sehr groß, Mansarde, Couch, Tisch, Staffelei, an allen Wänden Schubladenschränke im A1 Format. Wir setzen uns, der Hausherr öffnet eine Lade und zieht einige Arbeiten heraus: Porträts griechischer Fischer, Details von Tintenfischen und Takelage, ein Stierzüchter aus dem Ebrodelta, ein hagerer Schädel, im Hintergrund die Ungetüme, Stiere für eine berühmte Corrida, am Rand des Blattes klebt ein Etikett, vino tinto. Wie auf ein Zeichen öffnet sich die Tür, die Schwester bringt ein Tablett, Rotwein, Spätburgunder vom Kaiserstuhl, entkorkt, die Banderole unverletzt, die Gläser geschliffen.

Das hier ist Paul Klee, ein sehr schwieriger Herr, aber dann hat er mir doch ein paar Minuten eingeräumt und hier Max Beckmann, ich hatte die Gelegenheit ihn in Baden-Baden im Casino…

Kohle- oder Grafitzeichnungen mit intensiven Verdichtungen, die Marmorsäulen des Casinos, die Luftwurzeln einer Blattpflanze, Lüster und Kandelaber, ich meinte sie von Beckmanns Gemälden her zu kennen. Dann Sturmgeschütze, ein Gefreiter mit Kopfschuss, über dem Verband sitzt bereits wieder der Stahlhelm, Matuschkas aus dem Kaukasus in gewaltigen Röcken, Kirgisen in Wehrmachtsuniform um ein Feuer tanzend, Hilfsbatallione, Kanonenfutter…

Das hier ist General Rommel, er war Oberbefehlshaber der Westfront geworden, man erwartete die Invasion und er hatte seinen Stab in Paris…

Jean Cocteau, Giacometti am Eingang der „Rotonde“. Das Zeitalter auf Papierbögen. Weiß genarbte und farbig gehämmerte Gründe, mit Kreide gehöht. Leichtes Gepäck für eine Expedition durch das Jahrhundert, Sven Hedin, Heinrich Mann, Wäscherinnen am Fluss. Schließlich wieder ein sehr großes Blatt, weiß gehämmert mit drei Porträts darauf, jedes davon unverkennbar Pablo Picasso. Als Besatzungssoldat porträtierte ich wie gewohnt in der „Rotonde“ und gab die typische Architektur hinzu, die Treppe zur Galerie. Plötzlich stand da Picasso, er hat auf das Blatt, die Architektur, den Aufgang zur Galerie gezeigt und gesagt, so etwas könne er nicht und er hat mich in sein Atelier eingeladen.

Das Blatt zeigt ihn zweimal im Halbprofil, einmal von vorne. Dazu der große Kanonenofen, man kennt ihn von Fotografien her wie auch das hohe Walmdach des Ateliers: Rue des Grandes Augustines. Im unteren Drittel, quer über das Blatt, der berühmte, unverkennbare Schriftzug: Picasso. Ein à Max Paulus dazu gefügt. Werden Sie General und beenden Sie den Krieg, hätte er gesagt.

Die Wucht der Begegnung. Plötzlich das ganz Große, die Ikone an einem Samstagnachmittag und Strawinsky und Josephine Baker steigen aus den Schubladen und die Dimensionen von hinter Hecken gelegenen Einfamilienhäusern verändern sich erheblich.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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