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Kunstverliebt

Verliebt. Ein Thema, wie für diese Seiten geschaffen, denn Venus ist die Göttin der Liebe - und der Kunst.

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Paris Society (Gesellschaft Paris, 1931) | Foto: Max Beckmann
Paris Society (Gesellschaft Paris, 1931) | Foto: Max Beckmann
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Zwei wirbelnde Seifenblasen, die im bunten Schillern, zeigen vor allem eines: die Projektion eigener Wünsche. Schon die Anfänge der Kunst, die Hirsche und Mammute an Höhlenwänden, sind die Projektionen des leeren Magens. All you can eat hat dem ein Ende gesetzt, Zentralheizungen erwärmen uns das üppig gewordene Fleisch, nur die Liebe und mit ihr das Verlieben bleiben uns als das ewig Unerfüllte in Bild, Text und Gesang erhalten.

Die Kunstgeschichte ist voll von großen Liebenden, obgleich nicht immer klar ist, ob sie denn nun wirklich den Menschen an ihrer Seite meinen oder letztlich doch eher verliebt sind in die Liebe. Aber egal zu welcher Fraktion sie gehören, sie haben unser Bild von der Liebe geprägt. Sei es durch das in Treue fest der unerfüllt Schmachtenden in den Gemälden von Magdalenen und Abelards, sei es durch das Furioso des Eros der tanzenden Salomé oder durch die Bonbonnieren von Arenen oder Türkischen Bädern.

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Im April 1924 hatte Mathilde von Kaulbach einen Traum. Sie träumt von einem auch physisch beeindruckenden Mann von geistiger und moralischer Größe und Integrität. Wenige Tage später begegnet sie diesem Unbekannten auf einer Abendgesellschaft. Sie verlieben sich ineinander.

Der Mann ist der Maler Max Beckmann und er hat das Fluidum und den Charme dieser Frau, die er Quappi nennt, in unzähligen Bildnissen erfasst. Eine Weile geht alles bestens. Beachtete Ausstellungen und eine Professur ermöglichen dem Paar eine sorgenfreie Zeit.

Mit der Machtergreifung Hitlers ändert sich das. Beckmann wird entlassen, seine Bilder werden aus den Museen entfernt und sind repräsentativ in der Propagandaschau Entartete Kunst vertreten. Mathilde und  Max packen und fliehen nach Amsterdam. Dort überleben sie acht Jahre Besatzung, Bombenangriffe, Kälte und Hunger. Beckmann malt im Dachstuhl des Hauses und es entsteht ein Oeuvre, das immer wieder auch Quappi zum Thema hat, deren Bildnis er beschwört.

Beschwörung ist ja ein zentraler Begriff des Verliebtseins und der Liebe. Beide Zustände sind psychische Höchstleistungen, deren Kräfteverbrauch höchst unwirtschaftlich ist.

Wer rechnet, lässt es lieber bleiben.

Und so erleidet das Verliebtsein, das ja immer das erste gemeinsame Kind des Paares ist, rasch den plötzlichen Kindstod. Fast jeder war halt einmal verliebt, hat gedichtet, musiziert, aber das hält kein Leben.

Verliebtsein und künstlerisches Schaffen als Lebensleistung sind Ausnahmezustände.

Max Beckmann ist früher ein wichtiger Anreger meiner Kunst gewesen und so bin ich als junger Mann nach Amsterdam gefahren, zum Rokin 58, Beckmanns Adresse und zu dem bis heute unveränderten Haus. Der Rokin ist eine von Grachten und Bäumen gesäumte Straße, die zur Mitte hin ansteigt, eine ehemalige Insel im Delta von Amstel und Ey und ich habe dort eine Weile vor der Tür meditiert. Ich ging leider nicht in den Speicher hinauf, wie es Wilhelm Genazino in seinem Buch „Der Fleck, die Jacke, der Schmerz“ tut. Ein Buch, das damals noch nicht geschrieben war und das auch eine zauberhafte Liebesgeschichte ist. Stattdessen setzte ich mich in die nächste Spelunke, trank Genever, wie Beckmann es geliebt hatte und sog mich mit Welt voll. Ein Zustand, der der Verliebtheit ein wenig ähnelt.

Terra, die Erde, ist bekanntlich eine Frau, Materia ist Mutterstoff und das Auge darauf zu werfen und mich darin zu tummeln, war ganz nach Beckmanns Art. Er saß mit Vorliebe nächtelang in den Wartesälen der Bahnhöfe, wo die Reisenden jeder schützenden Persona  beraubt dem Zugriff seines Blicks ausgesetzt waren. Menschen sind sein Thema und so malt er gleich nach der Hochzeit mit Quappi seine 15 Jahre jüngere Frau, die Rechte in die Hüfte gestemmt und den Blick gebieterisch auf ein Ziel geheftet. Sie trägt ein einfach geschnittenes, ärmelloses blaues Kleid. Blau ist die Farbe von Marias Mantel und das ganze Porträt ist ein säkulares Salve Regina. Nun war Beckmann alles andere als ein verhuschtes Seelchen, seine Selbstporträts erinnern eher an einen Karussellbremser oder Preisboxer und die Fotos, die wir von ihm haben, bestätigen das. In diesen Porträts beschwört er gerne das Staunen über diese Liaison. Verliebtheit ist immer auch Stilisierung, Überhöhung. Die Paare stehen ungläubig vor der Tatsache, dass sie sich überhaupt haben begegnen können. Wo das verloren geht, mutiert das Ganze rasch zur Beziehung.

David Michael Precht hat ein dickes Buch über die Liebe geschrieben, ich habe es mit Gewinn gelesen. Aber es ist ein modernes Buch, will sagen, ein Buch ohne jede Metaphysik.

Verliebtheit und Lieben sind metaphysisch, ein Roulette, bei dem man nie weiß, warum die Kugel wohin läuft und wer oder was daran dreht.

Es ist also als Buch für Paartherapeuten, die raten, es mal mit Kameradschaft zu versuchen.

Tolstois Anna Karenina hingegen zeigt, worum es geht: Obsession und Opfer. Verliebtheit und Liebe, wer immer das auseinander dividieren will, der köpft dabei den Taumel, aus dem die Liebe nicht nur hervor geht. Sie muss auch dahin zurückfinden. Verliebtheit ist wie jede Kunst etwas, das am Anfang geschenkt wird. Nach dieser Initiation aber sind beide wie jede Religio psychische Schwerarbeit und es geschieht wie alles Relevante unter Opfern. Was bleibt, stiften die Dichter, sagt Hölderlin. Und die Heiligen und Verliebten, möchte man ergänzend hinzufügen.

Am Rokin war es dämmerig geworden, vom Nachmittag und von einer Kaltfront, die nahte. Sie färbte den Himmel Mintgrün, davor das Jagen violetter Wolken unter schwefelgelben Sonnenstrahlen. Hinter der Neue Münze wurden die Wolken zu schwer und schütteten einen endlosen Wirbel von Flocken aus. Das Pflaster weiß, gelbes Laternenlicht, die Grachten tiefschwarz und Fahrräder, Geländer, Türklinken Schneeweiß überhäuft. Ich verließ die Spelunke und wanderte durch Amsterdam wie durch ein Max Beckmann Gemälde. Und diese Gemälde sind halt verliebt in die Welt. 

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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