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Loslassen können

Was kann weg und was möchte ich aufheben – diese Frage stellt sich einem schon oft im eigenen Haushalt und die Entscheidung ist dabei nicht immer leicht. Doch wenn die Frage ansteht, was mit der Wohnung der Eltern passieren soll, wenn diese dort nicht mehr eigenständig wohnen können, wird die Aufgabe noch um ein Vielfaches schwerer. Nicht nur, dass einem das eigene Älterwerden vor Augen geführt wird, zudem muss man sich zwangsläufig mit der zunehmenden Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und auch mit dem Tod der eigenen Eltern auseinandersetzen. Hierbei steht dann nicht selten auch die Frage im Raum, was mit dem Elternhaus passieren soll. Gibt es jemanden, der das Haus übernehmen möchte, oder verabschiedet man sich von der Immobilie und damit auch vom Ort seiner eigenen Kindheit? Und selbst wenn man als Kind schon länger nicht mehr im Elternhaus gewohnt hat, fällt einem der Verkauf und das Loslassen vom alten Zuhause oft schwer.

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Foto: Stadtbücherei Jülich
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Die Journalistin Ursula Ott hat in diesem sehr persönlichen Buch sehr gelassen und zum Teil aber auch mit Witz über eine Erfahrung geschrieben, die wir alle früher oder später machen müssen. Auch wenn der Grund für das Buch der realen Erfahrung entspringt, ist dieser Titel keineswegs dem Genre Sachbuch oder Ratgeber zuzuordnen, es ist vielmehr eine Erzählung aus einer sehr privaten Sicht, die das schwere Thema warmherzig, ja fast schon leicht und liebevoll aufarbeitet.

Darin wird erzählt, wie die 87-jährige verwitwete Mutter der Autorin nach einigen Unfällen den Entschluss fast, ihr Haus in Ravensburg zu verkaufen und in eine Wohnung in Stuttgart in die Nähe der beiden Töchter zu ziehen. Doch auch wenn alles logisch und richtig erscheint – einfach ist dieser Entschluss für keinen, weder für die Mutter, noch für die Kinder und ihre Familien. Beim Ausräumen des Hauses fließen neben Schweiß auch Tränen: „Ein Jahr lang haben wir aufgeräumt. Unser Haus. Unsere Kindheit. Unsere Familie.“ Detailliert und auf den Punkt gebracht werden die einzelnen Entscheidungen und die Herangehensweise beim Aufräumen des Hauses beschrieben. Eigentlich fühlt es sich ja falsch an, Dinge wegzuwerfen, die einen fast ein ganzes Leben lang begleitet haben, aber wer braucht schon Dutzende von Gläsern und Tellern oder riesengroße Eichenschränke in einer modernen und kleinen Wohnung. Aber wohin mit all diesen Sachen? Doch dann entwickelt die Familie eine Strategie beim Aussortieren, indem sie genau beobachtet, wie sich die einzelnen Gegenstände „anfühlen“. Es wird zwischen warmen und kalten Dingen unterschieden – warme Dinge, die man liebt und die positive Gefühle hervorrufen oder kalte Dinge, mit denen schlechte Erinnerungen verbunden sind und die negative Emotionen hervorrufen. Und damit wird die Entscheidung leichter. Warm wird aufgehoben, Kalt kommt weg (zum Teil in Form von Sachspenden an kirchliche Einrichtungen, Sozialkaufhäuser o.ä.).

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Zusätzlich bietet sich bei dieser Vorgehensweise die Chance und die Zeit, der Mutter Fragen zu manchen Dingen und ihrer familiären Bedeutung zu stellen und so mehr über manch fragwürdige Gegenstände zu erfahren, um sie vielleicht noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. So kann das Haus nach und nach leergeräumt und nach 12 Monaten letztendlich verkauft werden.
Dieses Buch hat mir zu einem Thema, welches mir als Mitfünfziger noch bevorsteht, viele gute Denkanstöße gegeben. Die Lektüre hat mir geholfen, vorbereitet zu sein, den bevorstehenden Prozess als eine wichtige Aufgabe (auch für mein eigenes Leben) zu betrachten und mit neuer Perspektive anzupacken.

BUCHINFORMATION
Ursula Ott: Das Haus meiner Eltern hat viele Räume |192 Seiten | Verlag Btb | ISBN 978-3-442-77056-4 | 10,- Euro


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