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Wie war das denn damals?

Vor 35 Jahren startete die Stadt Jülich in das Thema "Gleichstellung". Persönliche Gedanken der ersten Jülicher Gleichstellungsbeauftragten Kirsten Müller-Lehnen zum Weltfrauentag.

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Collage: Daniel Grasmeier
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Wer vor 35 Jahren die rechtliche und gesellschaftliche Situation der heutigen Frauengeneration voraus gesagt hätte, hätte zu hören bekommen: Ihr träumt wohl…

Es ging schrittweise:
Die gesetzlichen Grundlagen zur Gleichberechtigung standen auf dem Papier, Artikel
3, Abs.2 des Grundgesetzes, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, ein guter Vorsatz, aber ein Tiger, der sich bereits am bürgerlichen Gesetzbuch die Zähne ausbiss. Papier ist geduldig, die Frauen waren es nicht mehr. Sie bestanden darauf, das grundrechtliche Versprechen der Gleichberechtigung in die Tat umzusetzen.

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Frauenpolitik wurde in den 70er Jahren von nahezu allen Parteien als neues Politikfeld besetzt. Mit dem 50. Deutschen Juristentag, 1974, wurden rechtliche Maßnahmen diskutiert, die die tatsächliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern gewährleisten sollten. Das Ehe- und Familiengesetz wurde 1976-77 reformiert.

In den Bundesländern entstanden Verordnungen, die für den öffentlich-rechtlichen Sektor erlassen wurden. Als Mittel der Durchsetzung auf kommunaler Ebene sollte ein flächendeckendes Netz von Gleichstellungs- bzw. Frauenbeauftragten für die Durchsetzung sorgen.
Köln war 1982 die erste deutsche Stadt, die eine Frauenbeauftragte ernannte.

Landesgleichstellungsgesetze, die die Ernennung einer Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragten in den Kommunen ab 10.000 EinwohnerInnen festschrieben und deren Aufgaben gezielt formulierten, gab es erst ab 1994. Vorher galten Landesrichtlinien und die Kommunen hatten freie Hand, den Auftrag für ihre Belange umzusetzen.

In Jülich wurde im August 1986 diese Stelle eingerichtet und zwar halbiert in die Aufgaben Sozialplanung und Gleichstellung. Jülich war bundesweit zu dieser Zeit die 76. Kommune, die diese Stelle einrichtete.

Da ich von 1982-84 bereits bei der Stadtverwaltung beschäftigt war, um wissenschaftliche Grundlagen für die Erstellung einer Sozialplanung zu entwickeln, kannte man mich und bot mir diese Stelle an.

Wie habe ich angefangen?
Die bei der Sozialplanung durch die Interviews entstandenen Kontakte waren Gold wert. Mit der neuen Aufgabe rückten die Frauen in den Fokus. Das Thema Ungleichheit und deren Folgen bei der Lebensplanung öffentlich zu machen, wurde nicht nur unterstützt, sondern als Erfolg des politischen Willens gewertet und begeistert mitgetragen.

Es bildeten sich sehr schnell Arbeitsgruppen, die festgefügte Familienmodelle und Rollenverteilungen auf Geschlechtsspezifik abklopften, Berufsbarrieren für Frauen in Frage stellten und Handlungsmöglichkeiten ausloteten. Die VHS entwickelte ein Frauenprogramm, wenig später wurde das Frauen-Netzwerk gegründet.

Das Private ist politisch, so der damalige Zugang, das selbst Erlebte in Handlungsschritte umzusetzen. Die Frauen gewannen an Selbstbewusstsein, bekamen den Markt und den Kirchplatz für ihre öffentlichen Veranstaltungen. Zu Halloween brachten sie dem erfreuten Bürgermeister einen Besen in den Garten. Die Missfits traten in der Stadthalle auf, „wennze weiß watte wills musse machen datte hinkomms“, Gerburg Jahnke und Stefanie Überall. Die Aufbruchsstimmung war zu spüren, überparteilich und bundesweit. Gemeinsam mieteten die Jülicherinnen einen Bus und fuhren am 1. Mai nach Bonn. Thema: Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Das war auch der Ansatz in der Stadtverwaltung Jülich. Mehr Frauen in Führungspositionen, Möglichkeiten der Teilzeitarbeit, Wiedereinstieg nach der Kleinkinderziehung. Die Zusammenarbeit mit dem Personalrat lief gut. Von Elternurlaub sprach da noch niemand, das war Zukunftsmusik, wir mussten erstmal den Männern den Platz an der Windel schmackhaft machen, was Knochenarbeit war, denn Männer waren gewillt, ihre Frauen „mitarbeiten“ zu lassen, halbtags, höchstens, jedenfalls standen ihnen die Haare zu Berge bei der Vorstellung, eine Chefin zu haben. Unter einer Frau zu arbeiten, nein danke.

Überhaupt der Blick ins Familienleben, unvorstellbar.

Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ brauchte viel Sensibilität. Diese Aufgabe wurde zunächst durch mich wahrgenommen, aber es war klar, das müssen Fachfrauen machen. Gemeinsam richteten wir eine Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen“ ein. Bis fachlich ausgebildete Kräfte eingestellt werden konnten, dauerte es eine Weile. Aber der politische Wille war stets zielführend. Die Fachstelle wurde später von der Stadt und vom Kreis gefördert. Übrigens heute noch.

Und heute?
Dass der öffentliche Dienst Vorbild für die Privatwirtschaft sein sollte und sich auf diese Weise die beruflichen Wege für Frauen weiter entwickeln werden, hat sich bestätigt. Frauenförderpläne und darin enthalten, die bevorzugte Besetzung von Stellen von Frauen bei gleicher Qualifikation, wenn in diesen Bereichen ein Männerüberhang besteht, haben gewirkt. Wenn auch zum Missfallen mancher Männer und einiger Frauen, die sich nicht Quotenfrau schimpfen lassen wollten. Besetzungen von Gremien sind nach wie vor obsolet.

Frauen haben zeigen können, was in ihnen steckt, das ist die gute Nachricht.

Dass wir eine Kanzlerin haben und eine Frau auf dem Geld sitzt, das die Welt regiert (Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Anm. d. Red) eine Frau Kommissionspräsidentin der EU ist und eine der Bundeswehr vorsteht – jedenfalls ist das heute möglich und Matta und Lisbett, die Missfitsfrauen, hätten sicher keine Mühe, daraus einen Hit zu machen.

Bewegungen wie „#Metoo“ und „Black lives matter“ zeigen, wo wir stehen und zum Glück auch den Widerstand der Frauen. Dass in den USA die erste Vizepräsidentin gewählt wurde, lässt vielleicht hoffen.

Aber mein Thema war, wie die fünf Jahre in Jülich waren, nicht, was es noch zu tun gibt. Da würde ich von Bündnissen und politischem Einfluss reden, von friday for future, der weltweiten Migration und den jungen Frauen, die ihren eigenen Weg finden müssen.


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