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Das Maibrauchtum im Jülicher Land

Vom „Rottieren und Umherschwärmen“ der Junggesellen

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Der Mai kommt! | Grafik: Sophie Dohmen
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Maifeierlichkeiten sind im Rheinland ein wichtiger Bestandteil des Brauchtums. Nahezu flächendeckend existieren entsprechende Junggesellenvereine, wobei es bestimmte regionale Schwerpunkte gibt, zu denen auch das Jülicher Land zählt. Überblickt man die Verdichtungsräume des Maibrauchtums im Rheinland, fällt auf, dass es ein eher dörfliches Phänomen ist, weniger eines der größeren Städte. Die meisten der Vereinigungen, die heute noch existieren, gehen auf Gründungen des 19. und 20. Jahrhunderts zurück. Einige wenige können auf Wurzeln verweisen, die in das 18. Jahrhundert zurückreichen. Für das Jülicher Land sind beispielhaft zu nennen der Maiclub Kirchberg von 1824 und die Maigesellschaft Stetternich von 1836. Im Hinblick auf diese frühen Daten – anzuführen wäre noch der Maiclub Bourheim, der als Jahr der Ersterwähnung sogar 1744 angeben kann – erscheint etwa die Gründung des Mai-Clubs Barmen im Jahr 1911 spät. Dieser kann jedoch auf einen Vorläufer zurückblicken, der als Junggesellenbruderschaft im Kontext der Pfarre St. Martinus Barmen 1869 gegründet wurde. Die enge Anbindung einer solchen Gesellschaft an die Kirche sollte vor allem das Treiben der jungen Männer reglementieren und unter Aufsicht stellen.

Das wirft die grundsätzliche Frage nach der Herkunft und dem Alter der Maibräuche auf. Für das Jülicher Land gibt es leider keine detaillierten Untersuchungen für die Zeit vor 1800. Ein durch den Herzog von Jülich-Berg ausgesprochenes Verbot von Maifeiern aus dem Jahr 1718 gilt als der älteste Beleg der Existenz solcher Feiern. Auch für die anderen Regionen im Rheinland ist die Quellenlage dürftig. Selbstzeugnisse der Feiernden gibt es so gut wie keine. Rückschlüsse sind überwiegend aus den Verboten der Obrigkeit zu gewinnen, die in den Festen und Aktivitäten einen Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung sahen. Vor allem die kirchliche Obrigkeit wetterte gegen das wilde Treiben der jungen Leute im Wonnemonat Mai.

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Seit der Frühen Neuzeit lassen sich Maibräuche feststellen. Ihre Herleitung aus vorchristlichen, heidnischen Zusammenhängen sieht man heute, anders als die ältere Forschung, sehr kritisch. So existieren Belege für das öffentliche Aufstellen von Maibäumen erst seit dem 16. Jahrhundert – der Rückbezug auf einen heidnisch-germanischen Frühlingskult ist somit eine reine Fiktion. Das Maibrauchtum stand ursprünglich in engem Kontext mit dem Pfingstfest. Wie auch andere ausgelassene Festaktivitäten, waren diese an ein kirchliches Fest gebunden, wurden aber von der Bevölkerung bewusst in die Nachtstunden verlegt, um diese der obrigkeitlichen Aufsicht zu entziehen.

Werbeanzeige zur ersten Maikirmes in Barmen 1911 | Foto: HERZOG

Der im Zentrum der Maifeierlichkeiten stehende Maikönig ist ein König auf Zeit, dem mit einem prächtigen Fest gehuldigt wird. Innerhalb dieses Festes stehen er, seine Königin und sein Gefolge im Mittelpunkt, ohne dass sich damit eine tatsächliche gesellschaftliche oder politische Macht verbinden würde, trotzdem „huldigen“ dem Königspaar sogar die politischen und geistlichen Würdenträger, indem sie ihm ihre öffentliche Referenz erweisen. Hieran ist erkennbar, dass der Maibrauch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, während er lange Zeit von der Obrigkeit bekämpft worden war. Warum war das so? Gerade die Marienfeiern der Maitage und das Pfingstfest als hohe kirchliche Feiertage wurden von der Jugend der rheinischen Dörfer genutzt, um nachts ihren ganz eigenen Vergnügungen nachzugehen. Für das Erzstift Köln sind Dekrete und Verordnungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt, die sich gegen „Rottieren und Umherschwärmen“ der Junggesellen in der Nacht zu Pfingsten wenden. Zudem fanden die Ausschweifungen gemeinsam mit den „Mägden“ statt, was die Obrigkeit nicht bereit war hinzunehmen. Umso mehr verurteilte man das sogenannte Mailehen oder Mädchenlehen. Der Brauch des Mailehens bestand darin, dass die unverheirateten jungen Leute eines Dorfes sich zu Maipaaren zusammenfanden, die nun bis Pfingsten miteinander verbunden waren.

Entgegen der heute weit verbreiteten Sitte des scherzhaft gemeinten Versteigerns der ledigen Mädchen und Frauen wurden die Paare einfach ausgerufen.

Nun scheint ja dies alles nicht unschicklich zu sein und die ablehnenden Reaktionen der Obrigkeit auf die Feierlichkeiten vielleicht auf den ersten Blick etwas überzogen. Tatsächlich lassen sich jedoch heute ausgestorbene Brauchtumselemente feststellen, die nicht ganz unproblematisch waren. Für den Raum der Kölner Bucht und der angrenzenden Regionen lässt sich nämlich das sogenannte „Schlutgehen“ nachweisen. Dieses ist aus Oberbayern als „Fensterln“ bekannt. Die Maimänner suchten in den Mainächten ihre Maibraut auf. Dabei trugen sie einen aus Stroh gefertigten Hut, den „Schlut“, um sich bei eventueller Entdeckung vor Schlägen zu schützen. Was hier auf den ersten Blick als harmloser Schabernack erscheint, diente tatsächlich einzig und allein dazu, ungestört mit der Maibraut zusammenzukommen und wir können davon ausgehen, dass dabei nicht nur Händchen gehalten wurde. Dies wiederum bedeutet, dass die Maipaarbildung die Vorstufe zur tatsächlichen Eheschließung darstellte. Sollte die Maibraut schwanger werden, wurde das Verhältnis umgehend legalisiert.

Das Zusammenführen der Maipaare erfolgte nicht zufällig, sondern durch den Ausrufer, und zwar entsprechend der sozialen Schichtung innerhalb des Dorfes. Zudem blieben durch diese Probe-Ehen die jungen Leute eines Dorfes unter sich. Der Gefahr, dass durch das Einheiraten eines Mädchens in ein anderes Dorf durch die Mitgift dem Dorf Ackerfläche verloren ging, wurde so entgegengewirkt. Das Schlutgehen hatte somit einen sehr ernsten, die Dorfgesellschaft stabilisierenden Hintergrund, von dem in den heutigen Maibräuchen – bei aller formvollendeten Ritualisierung – kaum mehr etwas zu spüren ist. Infolge der gestiegenen Moralvorstellungen in der Frühen Neuzeit konnte man das Schlutgehen nicht akzeptieren und stellte es entsprechend unter Strafe: Im Erzstift Köln drohte bei Zuwiderhandlung eine saftige Geldstrafe, die sich bei Wiederholungstätern bis zur Festungshaft steigern konnte. Trotzdem lässt sich das Schlutgehen noch bis weit in das 18. Jahrhundert hinein nachweisen. Dass es dann doch im Laufe des 18. Jahrhunderts verschwand, hat viel damit zu tun, dass die Betroffenen selbst darauf verzichteten. Die Kirchenzucht hatte erzieherisch soweit gewirkt, dass sich die Junggesellen von selbst darauf verständigten, den Maibrauch im Einklang mit kirchlichen Wertvorstellungen zu gestalten. Insoweit ist es nur konsequent, dass beispielsweise die Anfänge der Barmener Junggesellenvereinigung auf eine kirchliche Bruderschaft zurückging und die Einbeziehung kirchlicher Festelemente in den sich seit 1911 herausbildenden Festablauf lässt sich auch bei vielen anderen Maigesellschaften beobachten.

 

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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