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„Wir alle sind Jükrainer“

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Katja Böcking bei der Verleihung der Klippe an Rayisa Fits. Foto: Sonja Neukirchen
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In diesem Jahr war die Klippe-Verleihung der Jülicher SPD eine Veranstaltung mit großer politischer Aussagekraft: geprägt von klaren Worten der politischen Laudatoren und der Aufforderung auch an die Bürgerinnen und Bürger Jülichs, weiter als Gesellschaft zusammenzustehen, menschlich zu bleiben, und sich der aktuellen Krise mit den vorhandenen Möglichkeiten entgegenzustellen. Gemeint ist in dem Fall, dem Krieg in der Ukraine. Der diesjährige Preis für soziales und bürgerschaftliches Engagement ging an den noch ganz jungen Verein Jükrainer e.V.

Foto: Sonja Neukirchen

Der Verein hatte sich infolge des Einmarsches von Russlands Truppen in die Ukraine am 24. Februar gegründet, und in kürzester Zeit eine fast beispiellose Hilfslogistik von in Jülich lebenden Ukrainern für die betroffenen Landsleute aufgebaut. Die Entscheidung zu diesem Ehrenkandidaten sei in der SPD einstimmig gefallen, was die Bedeutung zeige, eröffnete die SPD Vorsitzende Katja Böcking die Preisverleihung. Gleichzeitig geriet die Veranstaltung zu einer großen Dankesbekundung auch an die Jülicher Bevölkerung: Mit den Worten: „die Jülicher Hilfsbereitschaft macht uns glücklich“, nahm Rayisa Fits, Vorsitzende des Vereins und Case Managerin der Stadt Jülich gerührt den Preis in der Schlosskapelle der Zitadelle entgegen. Sie gab damit den Dank zurück an die Jülicherinnen und Jülicher. Diese hätten Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen. Das sei „gelebte Menschlichkeit“, betonte sie. Es sei nicht selbstverständlich, dass eine Stadt so offen und hilfsbereit ist. „Wir alle sind Jükrainer“, bringt sie es auf den Punkt und lobte den Zusammenhalt in Jülich.

Parteivorsitzende Katja Böcking. Foto: Sonja Neukirchen
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Die Hilfe sei durch den Verein Jükrainer nur kanalisiert worden und ohne die Jülicher und ihr selbstloses Spenden und Helfen nicht möglich gewesen. Dazu habe auch die große Unterstützung der Stadtverwaltung gezählt, wie Fits und andere Redner immer wieder betonten. Dieser Geist gegenseitiger großer Dankbarkeit war den ganzen Abend spürbar. Aber die Reden der Laudatoren hatten auch große Brisanz an diesem Abend – ging es doch darum, große Veränderungen zu bewältigen: „Plötzlich war die Welt für uns eine andere“, beschrieb Böcking, was im Februar erstmal nur im Fernsehen mittelbar klar wurde: In Europa gibt es wieder Krieg. „Sie haben sich schnell organisiert und helfen allen, die bei uns Schutz suchen – unabhängig von der Herkunft“, lobte Böcking den Verein. „Jülich ist bunt und vielfältig“ und sei nun mit den Jükrainern um eine blau-gelbe Facette reicher.

Bürgermeister Axel Fuchs. Foto: Sonja Neukirchen

Bürgermeister Axel Fuchs wurde in seiner Dankesrede auch sozialkritisch. Er merke, dass die sieben Jahre Krise – beginnend mit der Flüchtlingskrise in 2016 über Corona, das Hochwasser und nun mit dem Krieg – nicht spurenlos geblieben sei und zitierte aus den Sozialen Medien Sätze, die nach sozialer Hetze klangen, und mit denen Krisen-Betroffene gegeneinander ausgespielt werden. „Lasst und gemeinsam gegen einen solchen Unsinn kämpfen“, rief er alle auf. „Diese Verleihung ist der Kitt, den die Gesellschaft benötigt, um gut miteinander umzugehen“, es sei nämlich Wertschätzung. Auch erläuterte Fuchs noch einmal kurz den Hintergrund der Klippe, einer quadratischen Münze, die mit dem Jülicher Löwen versehen ist: Bei den Notklippen aus dem sechzehnten Jahrhundert handele es sich um Kriegsmünzen, angefertigt infolge einer kampflosen Besetzung der Stadt, um den Truppen der Verteidiger ihren Sold ausbezahlen zu können. Die Klippen seien eingeführt worden wegen kriegerischer Auseinandersetzungen und damit schließe sich der Kreis. Nun werden sie wieder seit fünf Jahren als geprägte Münzen von der SPD als Ehrenpreis verliehen. Dafür dankte Fuchs der Partei.

Laudator Marco Maria Emunds. Foto: Sonja Neukirchen

Besonders die Laudatio von SPD Mitglied Marco Maria Emunds widmete sich den großen Wandlungen der Politik, innerhalb derer sich das ehrenamtliche Engagement der Jükrainer abspielt: Nicht der Sieg des “American Way of Life mit seinem Siegeszug der Demokratie“ – wie ihn der amerikanische Politologe Francis Fukuyama vorausgesehen habe – sei heute Realität geworden, sondern eher gehöre wieder ein George Orwell mit dem Buch „1984“ auf den Nachttisch zur Lektüre, zeichnet er düster. Und Krieg sei kein Thema der Geschichtsbücher. Es sei eine sehr deutsche Perspektive zu glauben, dass die über 70 Jahre Glückseligkeit halten werden.

„Wie kann ich damit umgehen? Vielleicht, in dem man einfach handelt“, knüpft er das Band zu den Jükrainern. Die Idee zum Verein habe es unter den in Jülich lebenden Ukrainern schon lange gegeben, aber es habe einen Anlass zur Gründung gebraucht. Es habe schon drei Tage nach Ausbruch des Krieges ein Treffen mit der Jülicher Stadtverwaltung mit Axel Fuchs an der Spitze gegeben. Schnell war klar: In Overbach gibt es Platz, eine Kirche, eine Schule. Und so wurde auch das dortige Science College Overbach (SCO) zu einem Ort der Hilfe für die Ukraine. Emunds erzählte auch persönliche Geschichten, die sich um den Hilfskonvoi rankten, der aus Jülich mit Lastkraftwagen und acht Bussen in die Ukraine – beladen mit Hilfsgütern – fuhr und mit Flüchtlingen hierher zurückkam. Organisiert hatte das die Firma Agilis. Hauptsächlich Kinder und Jugendliche, und auch eine schwangere Frau, der man noch Wehen stillende Mittel mitgegeben habe. Am Ende habe diese ein gesundes Kind zur Welt gebracht, versah Emunds seine Rede „in Molltönen“ mit einem Lichtblick.

Lob an die zahlreichen Einzelaktivitäten kamen an dem Abend nicht zu kurz: Da war die Unterbringung von Flüchtlingskindern im Kaiserhof, die Aktivitäten des SCO mit dem besonderen Engagement vom Leiter Phillip Mühlheims und des Gymnasium Haus Overbach, Kurse der VHS zur Sprachunterstützung, Unterstützung durch Sponsoren und das besondere Mitwirken der Mitglieder der Stadtverwaltung Jülich bei all den Projekten. Bei den Jükrainern sei alles zusammengekommen. “Ich kann mir keinen besseren Verein in Jülich dafür vorstellen“, so Emunds, der seinen Vortrag mit dem Vorschlag einer Städtepartnerschaft mit einer ukrainischen Stadt beendete, der bei Bürgermeister Axel Fuchs nicht auf taube Ohren stieß.

Als eine besondere Anekdote kann der noch berichten, dass er nun unter dem besonderen Schutz der Brüder Klitschko stehe, erzählte Fuchs schmunzelnd. Der Hintergrund ist ein nicht geringer: Von den Spenden der Jülicher Bevölkerung ist ein Rettungswagen angeschafft worden, der vom Baby- bis zum Erwachsenen-Transport eine absolute Vollausstattung besitze, erzählte der stellvertretende SPD Vorsitzende Mo Khomassi, der hier besonders beteiligt war, dieses Projekt im Wert von 35.000 Euro zu realisieren. Dieser Rettungswagen sei in Kiew von den Klitschko-Brüdern selber in Empfang genommen worden und bisher noch unbeschädigt in vollem Einsatz. Das sei schon was Besonderes und könne keine andere Kommune so von sich behaupten, so Khomassi.

Und was ist nun weiter geplant bei den Jükrainern? Nataliya Danylyuk ist Lehrerin und hier besonders in der pädagogischen Arbeit mit Kindern engagiert. In dieser Funktion hat sie sehr eng mit dem SCO und dem Direktor des Hauses Overbach, Thorsten Vogelsang, zusammengearbeitet und Kinder schnell in die Schulen gebracht. In Overbach seien sie in eine familiäre Atmosphäre gekommen. Aber hier bei den Kindern gebe es noch viel zu tun, erläutert Danylyuk ihr Herzensprojekt. Viele Kinder wollten auch unbedingt wieder zurück und drängten ihre Eltern in die Heimat – manche gingen dann zurück, auch wenn das gefährlich sei. Dass sie hier erstmal gut ankommen, dahin geht das Engagement gerade. Insbesondere sei der Integrationsbedarf hoch bei den kleinen Kindern, die hier nicht in den Kindergarten dürften. Für sie gebe es noch keine Form der Integration. „Unser nächstes Projekt wird in diese Richtung gehen“, so erläutert Serhiy Danylyuk die kommenden Aktivitäten des Vereins. Und in diesem Sinne ergänzt er noch einen Aufruf: Deutschlehrer – besonders für Deutsch als Fremdsprache – werden händeringend gesucht.


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