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Ein Pinguin in der Hauptrolle

Arktisches "Federvieh" beschäftigt Peer Kling in seiner jüngsten Kinokolumne.

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Peer Kling. Foto: Gisa Stein
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Es ist wohl gerade die Zeit, diverse Putsche der südamerikanischen Vergangenheit aufzuarbeiten. In „Für immer hier“ sahen wir gerade das während der Militärdiktatur in Brasilien Anfang der 1970er Jahre erlittene Schicksal (Folter und Ermordung) des früheren Regierungsabgeordneten Rubens Paivas, verfilmt nach den Memoiren seines Sohnes Marcelo. In den letzten 60 Jahren hatte kein südamerikanisches Land eine durchgehende Demokratie, auch Argentinien nicht. Dort spielt „Der Pinguin meines Lebens“ in der Zeit der argentinischen Diktaturvariante. Der Lehrer Tom Michell, der seine Erlebnisse in dem nun verfilmten Roman festgehalten hat, lebt heute 73jährig in Cornwall. Seine Story gilt als echte Wohlfühl-Lektüre. Der Film ist bereits ab 6 freigegeben. Daran erkennt man, dass er nicht so an die Nieren geht wie der oben zitierte. Der von dem Lehrer gerettete Magellanpinguin bekommt den Namen Juan Salvador verpasst und wird zum lebenden Maskottchen des Internats, ein lustiger Film vor ernstem Hintergrund. Regie führte Peter Cattaneo, dem 1997 mit “Ganz oder gar nicht“ („The Full Monty“) der fulminante Durchbruch gelang. Ich hatte den Film damals im alten Laga-Zelt in meiner open-air-Reihe gezeigt. Die menschliche Hauptrolle des Lehrers verkörpert der in Manchester geborene Steve Coogan, der 2003 in „Coffee and Cigarettes“ unter der Regie von Jim Jarmusch und in dem Renner „Nachts im Museum“ mitgespielt hat. Es ist neben Auftritten in 91 Folgen diverser TV-Serien seine 49. Rolle in einem Spielfilm. Wunderbar die Szene, in der Sir Jonathan Pryce in seiner 65. Filmrolle hier den strengen Schuldirektor verkörpert, nun selbst vor dem von ihm strikt verbotenen Pinguin sitzt und sich von dem Federvieh so eine Art Lebensbeichte abnehmen lässt.

Filme über Lehrer bilden inzwischen längst ein eigenes Genre mit diversen Unterkategorien. Ich mag am liebsten die Sparte „außergewöhnliche Lehrer“. Damit fallen die „Pauker-Filme“ aus der siebenteiligen deutschen Filmkomödien-Reihe aus den Jahren 1967 bis 1972 über die Tischkante und die „Feuerzangenbowle“ (1944), die hauptsächlich dazu diente, vom Bombenhagel abzulenken, eigentlich auch, obwohl ich diesen Film oft mit Überzeugung im Jülicher Capitol unter dem Motto „Bitte Tasse mitbringen“ von Alkoholdämpfen umnebelt, zelebriert habe. Er war übrigens der letzte jemals im Jülicher Capitol gezeigte Film, ein feucht fröhlicher Abschied für immer. Ich hatte Bauchweh, dass niemand betrunken nach Hause fährt. Mit diesem Gedanken vermag ich immerhin das Thema des Juni-Herzogs „Licht und Schatten“ zu streifen, was ja aber ebenso für den hier vorgestellten Film zutrifft. Dieser Ausnahme-Lehrer ist das personifizierte Licht vor dem Schatten der Diktatur. Ans Herz gewachsen sind mir „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ („Les Choristes“). Zu meinen Lieblingen zählt der „Club der toten Dichter“. In diesem Film wird der Lehrer auf dem Pult stehend von den zu ihm aufblickenden Schülern mit „O Captain! My Captain!“ angesprochen. Dieses Zitat ist ursprünglich der Titel eines Gedichtes von Walt Whitman, das als Trauerrede den ermordeten „Kapitän“ Abraham Lincoln verehrt. In dem Pinguinfilm schlägt Tom den Schülern vor, sich mit ihm zusammen auf den Boden zu legen, dass der auf einem Pult stehende kleine Mann im Frack auch mal „Captain“ sein darf und den Überblick genießen kann, eine Umkehr des Zitats also. Dieser Pinguin war der Star der Schule und pädagogisch äußerst wertvoll, so wie der Film auch. Ich empfehle ergänzend die NDR Filmkritik. Der Film läuft bereits am 2. und 3. Juni im Kuba.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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