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Kolumne von der PEERlinale

Direkt aus Berlin funkte diesmal unser Kino-Korrespondent: Hier die monatliche Kolumne. Darf es diesmal etwas mehr sein? "Ja, schließlich ist ja Weih…, ehm Berlinale, ein Filmfest, wie für mich geschaffen, daher auch das etwas anmaßende Wortspiel", schrieb Peer Kling dem HERZOG.

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Peer Kling. Foto: Gisa Stein
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Es ist das größte Publikumsfestival der Welt. Ich bin froh und dankbar, dass es stattfindet. Dabei sein ist alles. Es ist total anregend. Für mich ist es wie ein jährliches Familientreffen. Viele der Kolleginnen und Kollegen kenne ich seit Jahren. Wir tauschen uns über die Filme aus, diskutieren, klären Fragen, spekulieren über die Gewinn-Chancen für die begehrten Bären. Zu vielen Filmen, insbesondere zu jedem Wettbewerbsfilm, gibt es die Möglichkeit, die Macher zu sehen und Fragen zu stellen. Abgetrennt auf einem Podium sitzt die Regie, sag ich mal, die Produktion und meist die Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller, na, ja, doch ein bisschen gendern.

 

Foto: Andreas Hoefer / Pandora Film
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Dieses Jahr köcheln die Internationalen Berliner Filmfestspiele ein bisschen auf Sparflamme. In allen Kinos muss jeder zweite Sitzplatz frei bleiben. Die Berlinale war für mich noch nie so entspannt, und es ist schon meine 33te. Kein Gedrängel um Plätze. Mit der Platzkarte ist allen Glücklichen, die es geschafft haben, eine Karte zu ergattern, auch noch drei Minuten vor Beginn der Vorstellung ein zugewiesener Platz sicher. Es gibt nichts, was es nicht gibt: Bei einem der Wettbewerbsfilme stellte sich im größten Kinosaal Berlins, dem Berlinale Palast, ein amerikanisch sprechender Mann vor die Leinwand und schrie, dass er diese Platzvergabe für diskriminierend halte. Beifall bekam er nicht, aber Kopfschütteln schon. Die Presseleute kommen aus der ganzen Welt. Sie müssen sich im Gegensatz zum Kaufkarten-Publikum jeden Tag testen lassen, weil sie viel Kontakt untereinander und auch zu den Filmleuten haben, aber die „Testerei“ ist perfekt organisiert.

Isabelle Huppertz. Foto: 247films

Direkt vor den Schwerpunkt-Kinos stehen zwei umgerüstete Busse. Eine nette junge Frau kitzelt mich mit dem Probestäbchen in der Nase und spricht: „Dann will ich Ihnen mal in der Nase bohren.“ Ich muss lachen und sage: „Ich kann folgen und verstehe auch Spaß.“ Sie gesteht mir, dass ich der Erste bin, bei dem sie sich traut, diesen Satz zu sagen. Ich bilde mir etwas darauf ein und gebe alles, was ich an Charme zu bieten habe. Die Stars bleiben fern, sie wollen sich nicht anstecken lassen oder sind schon angesteckt wie Isabelle Huppert, die sich leider ihren Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk nicht selbst abholen konnte. In „About Joan“ unter der Regie von Laurent Larivière spielt sie eine erfolgreiche Verlegerin. Der Film spinnt ein Netz aus traumähnlichen Begebenheiten, fragmentarischen Berichten und Erinnerungen und spielt in Irland, Frankreich und Deutschland. Mit dabei: Lars Eidinger in der Rolle eines durchgeknallten Schriftstellers.

Das Interesse an der Berlinale ist riesengroß. Die Kino-Karten in allen Sektionen sind ratzfatz weg. Wir Pressevertreter können immer nur maximal zwei Tage im Voraus Karten bestellen. Das bringt Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Die Tickets kommen als E-Mail auf das Handy. Wenn mir dieser kleine Mikrocomputer kaputt geht oder geklaut wird, kann ich nach Hause fahren ins Zuckerrübenland oder ich muss sofort ein neues kaufen und mir die Daten aus der Wolke zurückerobern. Ich habe mir einmal für 0:00 Uhr den Wecker gestellt, um Karten zu reservieren. Habe dann gelernt, dass es immer erst um 7:30 Uhr los geht. Frühaufsteher schlägt Nachteule. Noch nicht mal eine Minute später sind die ersten Filme dann auch schon „ausverkauft“. Nein, das ist keine Beschwerde. Auf die Berlinale lasse ich nichts kommen.

Apropos kommen: Was kam denn zufällig etwas zu vogelfrei, also zum Thema dieses HERZOG-Heftes? Ja, und zwar der Knaller. Vorweg: Lieber Cornel, nimm gerne so schnell wie möglich den Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush von Andreas Dresen in Dein Programm auf. Der leicht sperrig klingende Titel bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung. Rabiye Kurnaz ist die Mutter des in Bremen aufgewachsenen und von 2002 bis 2006 ohne Anklage im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba inhaftierten und gefolterten Murat Kurnaz. Dresen hat die Geschichte seinerzeit verfolgt. Später gab ihm ein Produzent Murats Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ zu lesen. Dresen, der über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verfügt und seit 2012, man höre und staune, neben seiner Regiearbeit als einer von neun Richtern des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg agiert, hat nun den Stoff auf seine Art in einen Spielfilm verwandelt.

Andreas Dresen. Foto: Andre-Röhner

Anders als in dem Film „5 Jahre Leben“ von Stefan Schaller aus dem Jahre 2013 erzählt er die Geschichte aus der Perspektive der Mutter, ein Geniestreich, denn die Darstellung der Mutter ist einfach der Hammer. So nimmt es nicht wunder, dass Meltem Kaplan mit dem silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung ausgezeichnet wurde. Das Energiebündel lebt übrigens in Köln. Dresens Film ist der einzige, der gleich zweimal versilbert wurde. Laila Stieler bekam den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch. Der 1963 in Gera geborene Andreas Dresen war zuletzt mit seinem Film „Gundermann“ in den Kinos und mit den Filmen „Nachtgestalten“, „Halbe Treppe“ und „Als wir träumten“ schon früher im Berlinale Wettbewerb vertreten, 2013 als Jurymitglied. Ich konnte die Übertragung der Preisverleihung im CinemaxX verfolgen. Andreas Dresen sah sehr glücklich aus. Die echten Kurnaz und dieser bahnbrechende Rechtsanwalt waren auch Gäste der Berlinale. Sie haben die Entstehung des Films nach Kräften unterstützt. Der kurzweilige Film zu dem ja eigentlich sehr bitteren Thema möge katalysieren, dass endlich eine Entschuldigung der Bundesregierung erfolgt, die den Fall seinerzeit nicht nur wissentlich, sondern sogar absichtlich verschleppt hat und den völlig unschuldigen Murat Kurnaz jahrelang leiden ließ. Ja, „echt jetzt!“ Dieser Ausspruch ist der Running Gag der Mutter im Film und wird vielleicht dieselben „Flügel“ bekommen wie „Ich habe fertig.“

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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