Start Kommentare Hofgeflüster 180-Grad-Wende?

180-Grad-Wende?

336
1
TEILEN
- Anzeige -

2015. Das waren Zeiten! Die Stadthalle war bis auf den letzten Stehplatz besetzt und die Menschen in Jülich fragten: Wie können wir helfen? Wie können wir unterstützen? Es ging um die Erstaufnahmeeinrichtung für 1000 Geflüchtete auf der Merscher Höhe. Rund dreimal so viele Menschen, wie aktuell für eine Unterbringung in Jülich vorgesehen waren. Ich war stolz auf „Jülich“, die Solidarität und Offenheit, mit der Menschen begegnet werden sollte, die aus Krisen- und Kriegsgebieten bei uns Schutz suchten. Im selben Jahr wurde von der Oberstufe des Hauses Overbach ein Büchlein herausgegeben „Aus Fremden werden Vertraute“.

Nach der jüngsten Ratssitzung im Mai 2024 muss man den Eindruck gewinnen, dass in Jülich eine 180-Grad-Wende eingetreten ist. Am Rathaus hängt ein Schild auf dem „Stadt der Vielfalt“ steht. Beim Fest der Kulturen feiern wir Jülich als Heimat für über 120 Nationen. Davon war im Ratssaal nicht viel zu spüren. Es entsteht der Eindruck: Keiner will Geflüchtete. Weder zentral untergebracht noch in Turnhallen und Bürgerhallen.

- Anzeige -

800 von 1100 Broichern haben eine Petition gegen die Errichtung einer Zentralen Unterbringungseinrichtung – kurz ZUE – am Rande ihres Ortes unterschrieben. Einen Ort, an dem in der Vergangenheit alljährlich zur Erntezeit über 300 Menschen aus den Balkanstaaten und Osteuropa für Saisonarbeit untergebracht waren. Der stillgelegte Erdbeerhof, auf dem noch die Container stehen und die gesamte Infrastruktur bereits vorhanden ist. Der direkt an der Rurtalbahn gelegen ist.

„Wir nehmen die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst.“ Das war unisono von den Parteien zu hören und von sachlichen Gesprächen in guter Atmosphäre. Vielmehr könnte der Eindruck entstehen: 800 Broicher waren dagegen, die Politik hat zugehört und sich dem Votum gebeugt. Überzeugungsarbeit wäre vonnöten gewesen.

Bei einer Zustimmung zur ZUE in Broich

  • hätte die Bezirksregierung alle Kosten übernommen – auch die Personalkosten
  • wäre die Stadt Jülich damit von Zuweisungen von Geflüchteten ausgenommen gewesen? Im Februar 2024 wurde von der Verwaltung die Zahl der inzwischen in Jülich untergebrachten Geflüchteten mit 861 im Ausschuss für Jugend, Familie, In- tegration, Soziales, Schule und Sport beziffert. Alleine für die kommende Woche sind weitere 30 Menschen aus Fluchtgebieten angekündigt. Ein Ende ist nicht absehbar.
  • hätte das Personal der Stadtverwaltung, das tatsächlich bereits am Ende seiner Kräfte ist, wie man bei persönlicher Nachfrage erfahren kann, eine extreme Entlastung erfahren.
  • Von politischen Mandatsträgern darf erwartet werden, dass sie den Blick auf die Finanzen und alle alle Menschen in ihrer Kommune haben – dazu gehört auch das Personal ihrer Verwaltung.

    Falls ein neues Gelände für eine Unterbringungseinrichtung gefunden wird – woran schon einige Zweifel laut wurden – und sich hier erneut 800-facher Widerstand mittels Unterschrift dokumentiert, gibt die Politik auch diesem Ansinnen nach? Immerhin: Gleiches Recht für alle – oder nicht?

    Wird kein Areal gefunden, veranschlagt die Verwaltung alleine für eine Containerlösung rund 8 Millionen Euro, die die Steuerzahler in Jülich mittragen müssen. Einstellen müssen sich die Menschen in Jülich auf weiterhin fehlenden Wohnraum, wenn keine ZUE kommt. Zu befürchten ist, das dies in Summe nicht zur soziale Ruhe in der Stadt beitragen wird.

    Der Ratsentscheid ist nur auf den ersten Blick eine Entlastung. Sie bedeutet vor allem eins: Eine Vertagung der Diskussion.

    Die Tageszeitung zitiert einen politischen Vertreter:„Ich glaube, wenn sich die Politik nicht bewegt und den Bürgerwillen ignoriert hätte, wäre der rechte Rand noch weiter gestärkt worden.“ Da stellt sich die nächste Frage: Wird so Demokratie gestärkt? Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, wenigstens die Informationsveranstaltung der Bezirksregierung abzuwarten.

    Lesen Sie hierzu: Broich wird nicht Standort für Flüchtlingsunterkunft


    § 1 Der Kommentar entspricht im Printprodukt dem Leserbrief. Erwartet wird, dass die Schreiber von Kommentaren diese mit ihren Klarnamen unterzeichnen.
    § 2 Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.
    § 3 Eine Veröffentlichung wird verweigert, wenn der Schreiber nicht zu identifizieren ist und sich aus der Veröffentlichung des Kommentares aus den §§< 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt.

    1 KOMMENTAR

    1. Ausgewogen und informativ.
      Ich bin gespannt auf die Ideen der Findungskommission von Verwaltung und Rat.

    HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

    Please enter your comment!
    Please enter your name here