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Vom „mulle“, „mache“ und „lache“

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Vorsitzender Hendrik Vollrath begrüßte die Gäste. Foto: Dorothée Schenk
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„Wir sind in der Jülicher Politik nicht unter Fremden, sondern unter Freunden“, formulierte es Bürgermeister Axel Fuchs anlässlich der Feier zum 20. Jahrestag der Gründung der Unabhängigen Wählergemeinschaft Jülichs überparteiliche Liste – kurz JÜL. Tatsächlich waren in der Schlosskapelle der Zitadelle Vertretungen der Ratsfraktionen als Gäste beim Jubelfest dabei und überbrachten Geschenke.

„Zur Wahrheit gehört auch“ ist ein gern genutzter Eingangssatz des Bürgermeisters und so brachte er zur Sprache, dass die Geburtswehen der JÜL mit einigen Schmerzen verbunden waren. Nicht aus dem Nichts, sondern aus den Reihen der SPD wuchs diese „demokratische Alternative“ und zwar konkret aus Unstimmigkeiten rund um die Bürgermeisterkandidatenkür dieser Partei. Heinz Frey, Heinz Müller und Matthias Hoven stehen als Väter der neuen Fraktion Pate. 29 Männer und Frauen trafen sich im April 2003 in Broich und hoben die JÜL aus der Taufe. „Das hört sich harmlos an, aber für alle Beteiligten war es schon eine heftige Zeit“, erinnerte Fuchs, denn ein „Parteibuch“ drücke eine Lebenseinstellung aus und dieses zurückzugeben sei ein einschneidender Schritt. Ein Blick in die „Annalen“ zeigt, dass zur Wahrheit auch gehört, dass sie damit einem Parteiordnungsverfahren zuvor gekommen seien. Hartes Brot für die SPD: Die Mandate wurden von den „Ausgetretenen“ behalten, damit gingen den Sozialdemokraten Stimmen verloren, aber die neuen JÜL-Fraktion war sofort „politikfähig“. Etwas diplomatischer benannte es Bürgermeister Fuchs, der sagte: „Und plötzlich sprachen sie mit Leuten, die vorher der Gegner waren und andere Freundschaften gingen zu Ende.“

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Außer Frage steht, dass die JÜL „offenbar ein Bedürfnis für eine weitere demokratische Alternative“ bot und biete. Als einen Markenstein für diese Entwicklung führte Fuchs 1999 die Wahl des ersten hauptamtlichen und parteilosen Bürgermeisters an: Heinrich Stommel, der ebenfalls an diesem Festabend als Ehrengast geladen war. Schon beim ersten Wahlantritt als UWG JÜL erreichte die Fraktion 19,53 Prozent der Wählerstimmen – zu Lasten von CDU und SPD. „Der WDR schickte sogar ein Fernsehteam!“ Und das Wahlergebnis war und blieb stets um die 20 Prozent. Die Zahl der Sitze erhöhte sich durch Christian Klems 2014, der die CDU verließ und seither als „Parteiloser“ für die JÜL antritt. Überraschend ist, dass, obschon die JÜL seit 2009 vor der SPD stets zweitstärkste Fraktion im Rat der Stadt Jülich ist, die UWG noch nie die „Regierungsverantwortung“ übernommen hat. Wie deutlich wurde, ist die JÜL nach dem „Frey“-gewählten Motto „net Mulle – besser mache“ „Finger-in-die-Wunden-Leger“, beharrlich, zuweilen anstrengend, aber immer im Sinne der Bürger-Demokratie politisch unterwegs.

Mit diesen Kandidaten gelang 2009 erstmals der Sprung über die 20-Prozent-Marke. Foto: Archiv | PuKBSuS

In diesem Zusammenhang brachte an diesem Feiertag, dem 14. Juli, Axel Fuchs das geschichtsträchtige Datum zur Sprache. Es sei der Tag des Sturms auf die Bastille 1789, aber auch der Tag, an dem das Gesetz zum Verbot der Neubildung von Parteien durch die NSDAP 1933 beschlossen wurde. Hier appellierte er an die Anwesenden, sich gemeinsam gegen radikale Kräfte und für die Demokratie stark zu machen. Sorgen mache ihm, wenn ihm „völlig normale Menschen“ ankündigen würden, dass sie „beim nächsten Mal“ die *A*F*D wählen würden. „Wenn die Mehrheit sie wählt, dann haben wir zum letzten Mal gewählt“, sagte Fuchs markig. Er forderte die Politiker auf, wieder mehr mit den Menschen zu sprechen, denn „was in Berlin derzeit passiert überfordert die Menschen in unserem ländlichen Raum und macht ihnen Angst.“

Wie bürgerschaftliche Demokratie abseits von Parteipolitik möglich ist und welche Instrumente und Verfahrenswege es gibt erläuterte als geladene Festrednerin Ina Poppelreuter, Presse- und Öffentlichkeitsreferentin des Vereins „Mehr Demokratie NRW“. 2006 – als sie noch lange nicht im Amt gewesen sei – sei es zum ersten Kontakt mit der JÜL gekommen: „Es war ein klassischer Anfang“, erzählt sie schmunzelnd, denn es ging um ein Bürgerbegehren, das die Verkleinerung des Jülicher Rates zum Ziel hatte. Wie schwierig diese Verfahren sind – ein Drittel scheiterten in NRW – was im Wahlrecht im eigenen Land und europaweit verbesserungswürdig ist sowie Aufforderungen konstruktiv statt destruktiv mit Politik umzugehen beschäftigten die Rednerin außerdem in ihrem detailfreudigen Vortrag rund um die Demokratie.

Dass Politik viel Stimmung machen kann zeigte der Jazzclub, der mit Vorsitzendem Reinhold Wagner am Blasinstrument für die richtigen Zwischentöne zu den Ansprachen und beim anschließenden Austausch sorgte. Der stand unter dem abgewandelten JÜL-Motto „Net mulle – lache“.


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