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Besuch ohne lange Leitung

„Stellen Sie sich vor“, sagt Frau Becker, „ich habe meine Tabletten vergessen zu nehmen! Was mach ich denn nur?“ Frau Tupp vom telefonischen Besuchsdienst des Malteser Hilfsdienstes hat die alleinstehende Seniorin wie verabredet angerufen und weiß Rat: den Hausarzt anrufen. „Aber es ist doch Mittwoch!“

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Bild von Sabine van Erp auf Pixabay
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„Da haben Sie mich aber ganz schön aufs Glatteis geführt“, sagt Frau Tupp lachend zu einer verschmitzt grinsenden Frau Becker… „Mittwochs hat der Arzt zu… Da musste ich mir aber schnell was einfallen lassen.“ Das Telefonatgespräch war eine Situation, wie sie immer wieder vorkommen kann, in diesem Fall aber ein Rollenspiel. Einen Tag lang haben sich die Ehrenamtlichen getroffen, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten, die sie ab kommenden Monat wahrnehmen wollen. Der Malteser Hilfsdienst installiert derzeit in Jülich in Kooperation mit der Stadt den erste Telefonbesuchsdienst im Bistum Aachen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass es immer mehr Alleinstehende, Alte und Hochbetagte gibt, die Kontakt brauchen und auch suchen.

Die Malteser zitieren hierzu eine Statistik: Die Zahl der Hochbetagten wird bis zum Jahr 2030 deutschlandweit um 45 Prozent zunehmen. Das Angebot „ambulant vor stationär“ bringt es natürlich auch mit sich, dass immer mehr ältere Menschen alleine leben, es körperlich nicht immer schaffen können, das Haus zu verlassen. Vereinsamung droht, da es schwierig ist, persönliche Kontakte zu pflegen, geschweige denn neue aufzubauen. Das Bedürfnis nach Austausch und Begegnung ist aber selbstverständlich da. Aber jemand Fremdes ins Haus lassen? Auch das ist alten Menschen nicht immer angenehm. Da ist der Telefonbesuchsdienst eine kreative Lösung. „An andere Standorten haben die Malteser den Besuchsdienst schon länger“, erklärt Ute Wallraven-Achten, die das ehrenamtliche Angebot aufbaut und koordiniert. „Es war der Wunsch, dass in jeder Diözese ein solcher Dienst angeboten wird.“ Die gelernte Gemeindesozialarbeiterin hat einen guten Draht zu den Menschen und kann entsprechend die Anrufer und Menschen mit dem Wunsch nach regelmäßigem Gespräch zusammenbringen.

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Ute Wallraven-Achten schult die Telefonbesucher. Foto: Dorothée Schenk

Das erfordert Fingerspitzengefühl, denn der Austausch soll ja auf Augenhöhe stattfinden. Gibt es gemeinsame Interessen? „Alle Teilnehmer waren der Meinung, dass ,Familie’ ein großes Thema ist. Worauf sie gar nicht kamen, war, dass Kultur eine Rolle spielt, etwa Musik, die einen beschäftigt hat in der Jugend, Erfahrungen aus dem Krieg, aber auch kirchliche Feiertage… Eben was Leben und Arbeiten ausmacht.“ Passen sollte auch die Sprachebene: Sollte der Ehrenamtliche vielleicht der heimischen Mundart fähig sein? All das muss vorher geklärt sein. Umgekehrt ist es wichtig für jene, die im Ehrenamt anrufen, dass sie empathisch sind, offen und interessiert, aber vor allem sich selbst auch abgrenzen können. Am anderen Ende des Hörers ist kein Freund, Bekannter oder Verwandter. Hier ist eine gewisse Professionalität gefragt, denn auf „Überraschungen“ gilt es, vorbereitet zu sein und überlegt zu reagieren. Was ist zu tun, wenn es zu medizinischen Fragen kommt, wenn Gefühle „hochkochen“, das Gegenüber aggressiv wird oder depressiv, wenn es zu persönlichen verbalen Attacken kommt? ­Diese Themen wurden beim Vorbereitungstreffen gemeinsam erarbeitet und in Rollenspielen praktisch erprobt. Natürlich werden die Anrufer auch nach Dienstantritt nicht alleine gelassen. Regelmäßige Treffen und Austauschgelegenheit sollen Stärkung und Entlastung gleichermaßen bieten.

Wie bei „Besuchen“ üblich werden die Zeiten individuell vereinbart: Mindestens einmal in der Woche verabreden sich Anrufer und Anzurufende, „damit man auch in einem Fluss bleibt“, erläutert Ute Wallraven-Achten. „Wenn der Wunsch besteht, und der Ehrenamtliche das zeitlich ermöglichen kann, können sie natürlich auch öfter telefonieren.“ Es gilt allerdings die Regel: Der Kontakt ist „einseitig“, also nur der Anrufer kennt die Nummer. Das soll einer Vereinnahmung vorbeugen. Darum wird auch entweder von der Jülicher Malteserdienststelle telefoniert oder ohne Rufkennung von einem Handy aus. Hier kommt die Stadt Jülich ins Spiel. Sie hat über ein Förderprogramm für die Finanzierung der Mobiltelefone gesorgt. Zur Kooperation kam es, weil Malteser und Stadt zeitgleich das Projekt „Telefonbesuchsdienst“ angegangen sind. Zwei Angebote in einer Stadt sind zu viel, waren sich die Partner einig.

Wer sich als Anrufer in den Telefonbesuchsdienst stellen oder den Dienst in Anspruch nehmen möchte, kann Ute Wallraven-Achten kontaktieren. Altersbegrenzungen gibt es keine, schließlich können Enkel wunderbare Gesprächspartner für Großeltern sein. Eine Kontaktaufnahme ist möglich per Mail unter [email protected] oder telefonisch über die Jülicher Geschäftsstelle unter der Rufnummer 02461/9735-0.


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