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„Dat Fastelovend-Hätz blutet“

NRW-Regierungschef Henrik Wüst hatte sich Anfang der Woche mit dem Präsidenten des Festkomitees Kölner Karneval 1823 e.V., Christoph Kuckelkorn, sowie dem Vizepräsidenten des Bundes Deutscher Karneval, Frank Prömpeler, darauf verständigt, in der kommenden Session freiwillig auf Sitzungen und ausgelassene Karnevalspartys in geschlossenen Räumen zu verzichten. Die Vereine und Künstler erhalten dazu finanzielle Unterstützung vom Land, um die enormen monetären Verluste aufzufangen. Rund 1600 Karnevalsvereine in NRW sind betroffen. Ein Stimmungsbild aus dem Jülicher Land.

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Prophetisch: Der Orden der KG Schnapskännchen der vergangenen Session.
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Schnell reagiert haben die Karnevalsgesellschaften im Jülicher Land auf die Ankündigung, dass Sitzungskarneval und närrische Partys auch in dieser Session nicht stattfinden sollten. Diese „Absage“ gilt als freiwillig. Ein generelles Verbot sei nicht möglich, schreibt Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen: „Ein Verbot, wie vielfach gefordert, ist rechtlich weder eigens für Karnevalsveranstaltungen noch bis Ende der Session möglich.“ De facto empfinden alle befragten Gesellschaften bei dieser Freiwilligkeit nicht nur „Verantwortung“, sondern auch sozialen und moralischen Druck, sich dieser Empfehlung von NRW-Ministerpräsident Wüst anzuschließen. Dies schreiben die Präsidenten der Regionalverbände in NRW, zu denen unter anderem Hajo Bülles, Prokurist des Brückenkopf-Park Jülich, als Präsident des Verbands der Karnevalsvereine Aachener Grenzlandkreise e.V. gehört.

Sie formulieren die zum Teil schwierige finanzielle Belastung der Vereine. Diese soll jetzt über einen Sondertopf des Bundes aufgefangen werden, für den die Vereine sich bis 23. Dezember registrieren sollen, um in die Zahlungen in Anspruch nehmen zu können. Viel zur kurz sei die Frist, so die Verbandspräsidenten. Außerdem betrifft die Ausgleichszahlung vor allem die Verträge mit den Künstlergruppen, die bereits abgeschlossen worden sind, und die zu erfüllen sind. Was aber ist mit Hallen, die bereits gebucht sind, Plakaten, die gedruckt sind, und Tickets? Was ist mit den flankierenden „Gewerben“: Verdienstausfall für Bierlieferanten, Zeltverleiher, der „Beförderungsbranche“?

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Inzwischen hat die Intervention von NRW-Staatskanzleichef Liminski die ersten hochschlagenden Wogen geglättet. Er kündigte nicht nur eine noch abzustimmende Fristverlängerung für die Antragstellung „bis Mitte, optimalerweise Ende Januar“ an, sondern auch eine Neuauflage des Sonderprogramm Heimat im Januar. „Gleiches gilt für die Hilfsförderung von Künstlerinnen und Künstlern über unser bewährtes Stipendienprogramm, womit wir den Druck mit Blick auf Ausfallhonorare reduzieren“, heißt es in einem Schreiben. Am Montag soll es zu einem „Gipfeltreffen“ im Landtag kommen, um die wichtigsten Eckpunkte festzulegen, heißt es.


„Niemand fällt ins Narrenfreie!“, war die spontane Äußerung von Patricia Peill, Landtagsabgeordnete für den Nordkreis und lobt ausdrücklich die Initiative, die das Land nun in Richtung Karnevalisten gestartet hat. Ihr ist bewusst, dass die zweite Absage der Karnevalsveranstaltungen die engagierten Jecken besonders trifft – und hier besonders die „kleinen Vereine“. „Ich setze mich dafür ein, dass alle Karnevalsgesellschaften möglichst ohne Schaden diese Session überstehen“, sagt sie. Jede Entscheidung sei zu respektieren, „das gilt für jene, die absagen, als auch für jene, die ihre Sitzungen anbieten. Ich werde wenn irgendmöglich auch persönlich zu diesen Sitzungen kommen.“

Nach jetzigem Stand wird die Liste der Sitzungen im Jülicher Land gegen Null tendieren.

Nach intensiven Diskussionen im erweiterten Vorstand hat sich am späten Dienstagabend die KG ULK dazu entschieden, die Große Kostümsitzung wie auch das Kostümfest 2022 abzusagen. „Es tut uns wahnsinnig leid, dass nach unserem Senatsfest auch diese Veranstaltungen nicht wie geplant stattfinden können“, so ULK-Präsident Jörg Bücher. „Wir sollten alle ehrlich sein“, führt Vizepräsident Axel Fuchs aus, „Mit dem aktuellen Infektionsgeschehen, der neuen Omikron-Variante, der weiterhin total angespannten Situation auf unseren Intensivstationen sowie der Unsicherheit bei großen Veranstaltungen wäre es schlicht nicht vernünftig, Karneval so zu feiern wie wir das wollen. Für uns als ULK gehen Sicherheit und Gesundheit vor!“ ULK-Vizepräsident und -Sitzungsmeister Frank Lieth stellt die Frage: „Mit Maske und unpersönlich auf Abstand sitzend – ohne Schunkeln, Umarmen, Tanzen. Wollen wir so feiern?“ Eine rhetorische Frage. Wie in Sachen „Straßenkarneval“ entschieden wird, lässt die KG Ulk noch offen. Als kleines Trostpflaster wird die KG Ulk das Senatsfest als Sommerparty stattfinden lassen. Der Termin steht schon fest: Am Mittwoch vor Fronleichnam, am 15. Juni 2022 werden die Karnevalisten eingeladen.

Anfang November war das neue Dreigestirn in Lich-Steinstraß eingeführt worden – jetzt wird es eine Vertragsverlängerung bis 2023 geben. Foto: KG Maiblömche

Für eine vollständige Absage aller Veranstaltungen hat sich die KG Maiblömche Lich-Steinstraß in ihrer Vorstandssitzung entschieden. Das gilt auch für den Rosenmontagszug. Wenn nach dem Zug die Menschen nicht „aufs Zelt“ gingen, würden sie sich privat oder in Kneipen treffen. „Das Risiko, sich zu infizieren wird damit nur ins Private verlagert“, gibt Pressesprecher Dirk Emunds zu bedenken. Die Absage, das räumt er allerdings auch ein, sei schon dem sozialen Druck geschuldet. „Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, gibt Emunds zu. „Als Vereinsmensch würde ich gerne feiern, als Familienmensch sage ich: Wir verzichten auf den Besuch des Weihnachtsmarktes zum Schutz für alle, dann kann ich nicht auf der anderen Seite Karneval feiern.“ Die Sessionseröffnung, die noch Anfang November begangen werden konnte, hätte der Seele schon gut getan. Für das inthronisierte Dreigestirn gilt übrigens die „Sessionsverlängerung“: Das Trifolium wird nun auch in der 5. Jahreszeit 2022/23 das Narrenvolk regieren. Nur für die Orden gilt: „Sie haben nicht einmal mehr Schrottwert.“ Positiv gesagt: Vielleicht bekommen sie ja mal Sammlerwert. Historischen Wert haben sie auf jeden Fall heute schon. Die Absage der Veranstaltungen entspringe, so Dirk Emunds, der „Verantwortung, in der wir stehen“ ist durchaus aber auch finanzieller Natur: Zwar wären Zusammenkünfte mit reduzierter Personenzahl möglich, aber wirtschaftlich nicht darstellbar. Die bereits gebuchten und bezahlten Karten werden zurückgenommen und der Kaufpreis erstattet.

Bei der Karnevalsgesellschaft KG Schnapskännchen Güsten 1936 e.V., zuständig für die Jülicher Ortschaften Güsten und Welldorf sowie für Serrest und die umliegenden Höfe, hört man aus jedem Wort ihrer Veranstaltungs-Absagen Bedauern – verständlich, denn nicht nur, dass die Planungen für die Sitzungen, Party und Männerballettmeisterschaft in vollem Gange waren, die Kostümsitzung war fast ausverkauft. Angesicht der Pandemie sahen aber auch die Schnapskännchen keine Alternative, auch wenn Präsident Thomas Beys markig formuliert: „Die Politik überlässt es uns Ehrenamtlichen, Gesundheitspolitik zumachen.“ Geprüft werde derzeit, ob der Umzug am Rosenmontag stattfinden kann. „Es ist ein absolut trauriger Moment“, sagt Beys: „Dat Fastelovend-Hätz blutet.“ Sicher ist aber eins, lässt der Präsident der KG Överm Bersch durchblicken: Irgendwas närrisches denkt er sich bestimmt aus.

Die KG Ulk Selgersdorf hat nach Aussage von Schatzmeister Bernhard Westphal die Registrierung für den Sonderfond des Bundes bereits getätigt, „weil wir befürchten mussten, dass eine konkrete Absage erfolgen würde“. Erwartet hatte es die Gesellschaft bereits, weil die Künstler im Vorfeld darauf bestanden hatten, dass die Registrierung verbindlich ins Vertragswerk aufgenommen wurde. „Da zeichnete sich schon ab, dass etwas passieren würde“, sagt Westphal. Die KG Ulk Selgersdorf hat tatsächlich auch noch nicht den Ticketdruck „angestoßen“. Die Kartenreservierungen seien bisher sehr zögerlich gewesen. Vorteil für seine Gesellschaft sei, dass es keinen Vertrag für die Zeltanmietung erfüllen muss, da hier der Zeltwirt in der Verantwortung stehe. Das sei bei anderen Karnevalsgesellschaften, die beispielsweise Hallen für ihre Veranstaltungen anmieten müssten, sicher anders. „Das ist nicht bei allen Gesellschaften einheitlich“.

Nachtrag:
Der Vorstand der KG Schanzeremmele Stetternich 1948 e.V. hat sich daher schweren Herzens dazu entschieden sämtliche Veranstaltungen im Stetternicher Festzelt abzusagen. „Wir die KG Schanzerremmele Stetternich hätten nicht gedacht, dass es nochmal so kommen würde, dennoch werden wir diesen Weg einschlagen, auch wenn es sehr schwer fällt. Die Gesundheit all unserer Besucher, Mitglieder und des gesamten Personals ist uns sehr wichtig und hat oberste Priorität.“ Für eine Rückabwicklung oder -Erstattung bestellter Eintrittskarten für die Große Kostümsitzung wird sich die KG Schanzeremmele mit den entsprechenden Käufern in Verbindung setzen.


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