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Was ich noch sagen wollte…

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Die Kolumne aus Jülich | Grafik: Sebastian von Wrede
Gisas Kolumne | Grafik: Sebastian von Wrede
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Manchmal ist das ja so eine Sache mit den Kamellen. Also mit denen zum Fangen und Werfen. Oder zum Riechen und Schmecken. Oder auch denen zum Hören und Reden. Also in diesem Falle mit den „ollen“. Stellt sich mir sofort die Frage: Gibt es überhaupt neue? Auf der Suche nach Antworten verheddere ich mich mal wieder im weltweiten Netz virtueller Nachschlagewerke und meiner eigenen Biografie. Aber der Reihe nach: Bereits bei meinem Anlanden aus dem östlichen Norden im westlichen Rheinland werde ich mit reichlich „Kamelle“-Geschrei begrüßt. Noch am Morgen war es ein ganz normaler Montag im Norden des Landes. Nur wenige Stunden später hieß es dann im Westen „D`r Zoch kütt!“ und ich stand an einem Rosenmontag mit zwei Koffern auf dem Kölner Hauptbahnhof, augenscheinlich der Heimat von Piraten und Cowboys. Mein Kulturschock hielt sich in Grenzen, denn schließlich kam ich von der Ostseeküste – bekanntlich der Heimat echter Seeleute und Kuhbauern. Außerdem hätte ich es wissen müssen. Viele Jahre saß ich jeweils am Rosenmontag mit allen anderen Enkeln bei meiner Oma im Wohnzimmer auf der Couch und wir guckten Jahr um Jahr mitten in Mecklenburg-Vorpommern die Rosenmontagszüge von Köln, Düsseldorf und Mainz auf dem tollen Farbfernseher, den sich meine Oma von ihrer Rente im Westen gekauft hatte – zum Preis des damaligen Jahresgehalt eines Durchschnitts-Ossis. (Das ist heute eine „olle Kamelle“, wenn es um die Erklärung von Ost-West-Unverhältnismäßigkeit geht.) Opa schälte derweil fleißig Massen von Kartoffeln und rieb diese zu Brei und Oma brutzelte in nur dafür zu verwendenden Pfannen einen Puffer nach dem anderen, die wir Enkel im Laufe des Tages mampften. Ich dachte die ganze Kindheit durch, dass wir das geguckt haben, weil es eben so schön bunt war und es keine andere Sendung gibt, die schwarzweiß sinnfreier wäre und dass wir die Kartoffelpuffer bekamen, weil sie uns so gut schmeckten. Weit gefehlt. Erst vor einigen Jahren und erst nach einigen eigenen Karnevalserfahrungen erreichte mich eine „olle Kamelle“ aus der Familienchronik: Die bereits vor meiner Geburt verwitwete Uroma war mit einem waschechten Kölner verheiratet! Also war die Oma die Tochter eines Kölners und hat natürlich mit „Rievkooche“ und Rosenmontags-„Kamelle“ ihre Enkel „geimpft“ – und nix gesagt. Dabei hätte die Tatsache, dass ich ein Achtel Kölsch im Blut habe, so einiges erklärt… Apropos erklären: Kamelle ist eigentlich die norddeutsche Form für Kamille, ein heilkräftiges Kraut, das durch lange Lagerung an Geruch und Heilkraft verliert. Als Ausdruck der Uninteressantheit ist die Wendung „olle Kamelle“ seit dem 18. Jahrhundert zunächst in Pommern nachweisbar. Na bitte, bin ich nicht allein gewesen auf meinem Weg von Nordost gen Westen! Wobei die „ollen Kamellen“ wohl ursprünglich nichts mit den „Karamellbonbons“ zu tun haben, die bei Rosenmontagszügen aufs Narrenvolk geschmissen werden. Diese heißen im rheinischen Dialekt „Karmelle“, jedoch hat das „r“ nicht nur im Rheinischen die Tendenz, am Ende einer Silbe auszufallen. So fällt das Wort lautlich mit der norddeutschen Form Kamelle für Kamille zusammen. Und doch haben die „ollen Kamellen“ und die klebrigen Karamellbonbons eines gemeinsam: Veraltete Geschichten munden manchmal genauso schlecht wie zu lange gelagerte Süßigkeiten. Da hilft in beiden Fällen nur noch eins – wegwerfen. In diesem Sinne: „Kamelle!“

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Gisa Stein
Aus dem Herzen der Lutherstadt Wittenberg in die Herzogstadt gekommen und angekommen: "Wenn ich erlebe, dass Menschen weite Wege gehen, gar von anderen Kontinenten anreisen, um die Jülicher Zitadelle zu besichtigen, entwickle selbst ich als "Immi" eine gewissen Stolz..."

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