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Finster – jetzt auch ohne Licht

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Illustration: Sopio Kiknavlidze
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Es ist finster geworden in Deutschland. Der Bevölkerung geht es immer schlechter. Das Geld wird immer knapper und oftmals an die Falschen verteilt. Viele haben Angst, ihre Meinung kund zu tun, weil sie Repressalien befürchten. Die Politik hat in der Vergangenheit völlig falsche Entscheidungen getroffen und sich in eine Sackgasse manövriert. Die Demokratie ist an ihr unrühmliches Ende gelangt.

So oder ähnlich scheint die emotionale Befindlichkeit in weiten Teilen der Bevölkerung momentan zu sein. Im Geiste sehe ich bereits viele zustimmend nickende Köpfe vor mir. Ein Heer von Wackeldackeln und Winkekatzen, die hip-hop-mäßig ein Heer von Mario-Barth-Fanatikern im Olympiastadion stimmungsmäßig einschwören: „Kennste? Kennste!“

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Aber wie sieht es mit den Fakten aus? Natürlich besitzt davon mittlerweile jeder seine eigenen. Und häufig bedarf es nur eines Buchstabens, um aus einem Fakt einen Fake zu machen. Und eine Aussage erhält einen komplett anderen Sinn, bloß weil ein „nicht“ vergessen wurde.

Bevor wir uns weiter aufregen, wie schlecht es uns geht, überlegen wir doch einmal gemütlich bei einer Tasse Tee oder Kaffee oder einem Kaltgetränk (die wir alle in schlimmeren Zeiten entbehren müssten), was wir alles so in Reichweite haben. Genug zu essen und zu trinken, ein Dach über dem Kopf, womöglich Handy und Computer, ein Auto, Urlaubsreisen in der Planung und und und…

Ist das jetzt im Bewusstsein? Dann zu den schwierigeren Sachen.

Thema „Demokratie“. Vor 100 Jahren versuchte sich Deutschland mit der Weimarer Republik erstmals ernsthaft an diesem politischen Gebilde. 1919 arbeitete die Nationalversammlung in Weimar eine demokratische Verfassung für das Deutsche Reich mit freien Wahlen auch für Frauen aus. Dennoch gilt die Weimarer Republik als schwaches Konstrukt, auch weil sie mit Hunger und Mangelernährung sowie riesigen wirtschaftlichen Problemen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, mit Inflation, Weltwirtschaftskrise und großer Arbeitslosigkeit von Millionen Menschen zu kämpfen hatte. Die Folge waren politische Radikalisierung, Straßenschlachten, Notverordnungen, siehe auch das literarisch-musikalische Programm „Deutschland, siehst du das nicht?“ von Roman Knižka und Opus 45 am 10. November in der Schlosskapelle der Zitadelle.

Für viele gilt diese erste deutsche Demokratie als von vornherein nicht lebensfähig und dem Untergang geweiht. Woher stammt aber die Faszination für die darauffolgende Staatsform des Nationalsozialismus, der für sich beanspruchte, ein „wieder erstarktes Deutschland“ geschaffen zu haben? Die im übrigen mit 12 Jahren nicht einmal so lange wie die 15-jährige Weimarer Republik dauerte?

Tatsächlich bestand bereits zu Friedenszeiten ein enormes Staatsdefizit, das Hitler und seinesgleichen zunächst durch Drucken ungedeckten Geldes, später durch räuberische Maßnahmen im Krieg und natürlich die zugehörige Rüstungsindustrie zu decken suchte. Anfangsschwierigkeiten?

Dies endete in über zehnmillionenfacher Zwangsarbeit, über sechs Millionen getöteter deutscher Soldaten und Zivilisten. Weltweit 60 bis 65 Millionen Menschen, die durch direkte Kriegseinwirkung getötet wurden. Ein bisschen Schwund ist immer?

Da sind die Massenmorde an Juden, Sinti und Roma, Kriegsgefangene (zumeist sowjetisch) sowie sonstige Häftlinge, Deportierte und Zwangsarbeitende noch nicht einmal inbegriffen. Da lassen sich locker noch einmal 15 Millionen draufpacken. So etwas ist erstrebenswert?

Mit Sicherheit nicht. Daher auch das Gedenken zum 9. November an die Schändung der Jülicher Synagoge und die Ermordung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus dem Jülicher Land in der Nazi-Zeit.

Auch Jülich selbst hatte tiefe Wunden infolge des Kriegs zu pflegen, mit 97 Prozent beinahe die totale Vernichtung. Daher die traditionelle Gedenkminute der Stadt am Mahnmal. Zuvor setzt sich ein Demonstrationszug für Demokratie vom Marktplatz über den Propst-Bechte-Platz zum Schlossplatz in Bewegung.

Fake-Facts? Schon einmal zum 16. November den Film im KuBa-Kino gesehen, in dem ein britisches Flugzeug seine Runden über das völlig kaputte Jülich zieht? Wo kaum ein Stein auf dem anderen steht?

„Kennste! Kennste?“ Mittlerweile immer weniger. „Uns geht es doch richtig schlecht!“, denkt jeder für sich. Wie düstere Zeiten wirklich aussehen, und welche Zustände damit einhergehen, möchten viele nicht wahrhaben. Da konzentriert man (und auch frau) sich lieber auf die jecke Zeit, die zwischen Zerstörung in der Pogromnacht und durch den Krieg noch schnell am 11.11. mit reichlich Alaaf und Alkohol eingeläutet wird. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

Was haben wir gelacht! Doch jetzt ist Schluss mit lustig! Versuchen Sie doch mal, in Russland das Wort „Krieg“ in den Mund zu nehmen, wenn es um die Ukraine geht. Galgenhumor? Galgen schon. Humor eher weniger. Dafür die Hoffnung, dass der Krieg nicht wieder den Weg zu uns findet. Und uns dann Trump aus der Nato schmeißt, weil wir nicht genügend Geld für die Rüstung ausgeben. Im eigenen Land verklagt er ja auch bereits Institutionen oder lässt Personen entlassen, die sich über ihn lustig machen oder sich kritisch mit ihm befassen.

Wieso ist er der erste und bislang einzige Präsident, dem auffällt, dass so viele von Demokraten geführte amerikanische Großstädte kriminell verseucht ist, um das Militär in Form der Nationalgarde antanzen zu lassen? Was eigentlich gar nicht von der Verfassung gedeckt ist…

Gibt es überhaupt gute Herrscher? Eine interessante Frage, der der Jülicher Geschichtsverein am 22. November auf einer Tagesreise nachgeht. Was ist eigentlich ein guter Herrscher? Jemand, der nur das Beste für sein Volk will? Oder schon jemand, der neben dem eigenen Wohl auch das der Untertanen im Blick hat?
Reicht es schon, für den Wohlstand und das Wohlergehen des größten Teils, dem „wahren Volk“, zu sorgen? Oder nur den Ruhm zu mehren und den Ruf zu stärken, als mächtiger Kriegsherr (oder Kriegsherrin) schier unbesiegbar zu sein und das Reich fast endlos zu vergrößern, auch auf Kosten der regierten Bevölkerung, die nebenbei kaum zählt, weil nur ein geringer Teil Rechte besitzt?

Unbequem? Auch wenn es derzeit finster in der Weltlage aussieht, gilt es als Fakt: Nur wo Finsternis ist, ist auch Licht. Wo ein Schatten fällt, erscheint die Hoffnung. Dies versucht die christliche Gemeinschaft durch den Lichterzug zum Mahnmal am 9. November zu verdeutlichen. Aber auch rund um den 11. November mit den zahlreichen Martinszügen im Jülicher Land. Ein prima Sinnbild für soziales Verhalten. Selbst aus den Kürbissen während der Horror-Halloween-Nacht strahlt ein heller Schein.

Es werde Licht! Das ist auch das perfekte Motto für die dunkle Jahreszeit, die bereits im November beginnt. Licht ist Hoffnung, die uns durch ein Fenster entgegen leuchtet. (Denn auf Mundart ist „das Finster“ das Fenster!) Dies lässt sich bestens in der Adventszeit am Alten Rathaus beobachten. Doch dies ist eine andere Geschichte und soll in einem anderen Monat erzählt werden.


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