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In einem Klima der Zerissenheit

Fast eine Idylle: Angenehm warm ist es, die Sonne scheint. Durch die Bäume des Hambacher Waldes bläst ein lauer Wind. Ankommen in einer Welt, die es so in Zukunft nicht mehr gibt. Das lässt nicht kalt. Das schüttelt einen. Gefühle eines Besuchers. Wie muss die Gemütslage der Menschen sein, die hier Heimat verlieren? Wissend, der Weg, auf dem der Wanderer steht, wird ein „Nichts“ sein, ein tiefes Loch.

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Transparent im Hambacher Wald am Mittwoch – einen Tag vor dem Beginn der Räumung. Fotos: Dorothée Schenk
Transparent im Hambacher Wald am Mittwoch – einen Tag vor dem Beginn der Räumung. Fotos: Dorothée Schenk
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Die ersten Schritte in den Wald. Allein. Es ist schon ein mulmiges Gefühl. Zu viel wird gesagt, berichtet, gehört über Umwelt-Terroristen, Aktivisten. Die Kamera im Anschlag, Presseausweis in der Tasche. Zwischen den Bäumen hängt ein Transparent: „Kommt doch!“ Klar… Provokation. Aber man muss näher ran. Dann steht da: „Kommt doch! Ist schön hier“ und was auch dort steht: die erste von vielen Barrikaden. Ein perfektes Bild für die widersprüchlichen Gefühle und die Situation vor Ort.

Es ist die Hilflosigkeit des Kindes angesichts machtvollerer Erwachsener, die auf ihrem Standpunkt beharrten aus dem einen Grund: Weil sie es können. Konsequenz ist wichtig und gut, aber sie darf kein Dogma sein. Wenn durch Veränderungen die Erkenntnis da ist, dass eine alternative Handlungsweise die richtige wäre, sollte ein erwachsener Entscheider ein zweites Mal nachdenken. Wie lang ist wohl der Bremsweg eines Braunkohle-Baggers? Ob und wie ist die Sicherung des Areals – hier geht es immer um die Abraumkante – möglich? Ein Fragezeichen auch dort, wo es um die unternehmerischen Folgen einer Entscheidung geht, auf die Rodung des Waldes zu verzichten. Das Totschlagargument „Arbeitsplätze“ verfängt – aber wie lange schon? Garzweiler II… Proteste… Widerstand. Das ist fast zwei Jahrzehnte her, in denen ein Unternehmen nicht über Alternativen ihres Geschäftsmodells und der damit garantierten Sicherung von Arbeitsplätzen und Gewinnen nachgedacht haben soll? Das erscheint eher zweifelhaft und genau auf die gestellten Fragen fehlen öffentliche Antworten. Sicher ist: So lange in bewährter Art Geld verdient werden kann, wird keine Veränderung eintreten. Das ist menschlich und gipfelt immer in dem Satz: „Ich muss ja meine Brötchen verdienen.“ Das einseitige Weisen mit dem Zeigefinger auf die Politik, die Unternehmer, „die da oben“ ist also völlig unangebracht. Jeder lebt mit seinen Kompromissen, seinem ganz persönlichen „Hambacher Wald“.

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Es werden Erinnerungen an die politische Haltung der Bundeskanzlerin vor und nach Fukushima wach: „Kein Ausstieg aus der Atomenergie“ folgte nach dem GAU fast unmittelbar die 180-Grad-Wende. Das kann man „wendehälsisch“ nennen oder „mutig Verantwortung“ übernehmen.

An diesem Tag ist eine 40-köpfige Gruppe von Pilgern im Hambacher Wald unterwegs. Ihnen geht es im wahrsten Sinne ums Klima. Die ökumenische Bewegung ist von Bonn auf dem Weg nach Kattowitz. Nur ein Teil der überzeugten Umweltschützer ist kirchlich gebunden, aber keine andere überparteiliche Gemeinschaft könnte einen solchen Pilgerweg initiieren, ist am Rande zu erfahren – das Netzwerk ist einfach gut. Darum ist es auch einerlei, ob es „Schöpfung bewahren“ heißt oder es um den reinen „Selbsterhaltungstrieb“ geht. Für die Einhaltung der vereinbarten Klimaziele sind die Pilger unterwegs. Sie kommen aus Sachsen und Schleswig-Holstein, sogar aus dem benachbarten Frankreich aber auch aus dem Schwäbischen und natürlich der Region. Singend ziehen sie über die Feldwege von Morschenich auf den Wald zu. Dazwischen wird politisiert und auch polarisiert.

Völlig außer jeder Diskussion steht die rechtliche Grundlage und die stellt sich wie folgt dar: Die Gemeinden haben damals 1978 den Bürgewald verkauft, jenen Teil des Hambacher Waldes, den der heilige Arnoldus einst dem Grafen durch eine List abgerungen hatte. Die Geschichte wird gerne von den engagierten lokalen Waldschützern erzählt – aber auch, dass die Verwaltungen gerne das großzügig bemessene Geld des Energiekonzerns genommen haben. Jetzt ist das Wehgeschrei groß. Richtig: Die Entscheider von einst sind die Pensionäre von heute. Aber was haben die Verantwortlichen und damals offenbar wenig widerständigen Menschen vor Ort denn wohl gemeint, was eine Unternehmen, das Braunkohle abbaut, mit ihrem Wald tun wird? Fakten wurden geschaffen. Der Wald war verkauft und seither gilt: „Bagger essen Heimat auf“.

Eine Tatsache ist auch, dass es Verträge mit der Landesregierung zum Abbau der Braunkohle gibt. Tatsache ist übrigens auch, dass die Vorgängerregierung, die in der Nachkriegszeit in NRW überwiegend kein „C“ für christlich im Namen trug, diese Entwicklung erst möglich gemacht hat. In der rot-grünen Landesregierung bis 2017 sind die jüngsten Weichen gestellt worden. Die für den Bergbau in NRW zuständige Bezirksregierung Arnsberg hat jetzt den Hauptbetriebsplan 2018 bis 2020 genehmigt. Verträge sind nichts beliebiges. An sie haben sich Vertragspartner zu halten.

Jazzy steht im Kreis der Gläubigen. Sie hat nackte Füße, trägt einen Tarnanzug, an dem allerlei Kletterseile, Karabiner und ähnliches hängen. Sie ist vermummt. Vernehmlich spricht sie das Vater unser, singt mit, teilt dazu das Pilgerbegleitbuch mit der Nachbarin, einer älteren Frau mit energischem Blick. „Ich komme gerade aus Taizé“, erzählt sie später, „Ich habe das gebraucht, um Kraft zu tanken für das, was jetzt kommt.“ Die Rodungssaison beginnt am 1. Oktober und die Waldbesetzer wissen, dass sie mit Polizeiaktionen zu rechnen haben.

Jazzy ist nicht die einzige, die sich hier zu der Runde der Klimapilger gesellt. Ein bizarres Bild: Zwischen Pfarrerin und Waldbesetzern geht der Blick auf den improvisierten Altar: Ein sommerblauer Samt liegt auf dem Waldboden, darüber in Zeltform dicke Stöcke aufgestellt, unter denen eine Kerze steht und die Bibel liegt. Fürbitten werden gesprochen, Klagesteine abgelegt. Im Gottesdienst geht die Kritik aber nicht nur in Richtung Energieunternehmen, sondern auch in Richtung Kirchen. Deren Vertreter haben keine einheitliche „Sprechweise“. Das Ausmachen der Position ist also schwierig und regional bedingt. Mit dem Friedenskreuz werden beispielsweise die Dürener Christen am 23. September nicht in die Kirche von Morschenich kommen. Kirchenvorstand und GdG-Leitung haben abgelehnt, weil sie derzeit in -VerkaufsVerhandlungen mit dem abbaggernden Energieunternehmen sind. Es fängt immer bei einem selbst an – das ist auch der Tenor des Gottesdienstes. Hier hat die Vielfalt der Haltungen Raum: Von Resignation bis Durchhaltevermögen, Schmerz und Wut, Hoffnung bis zuletzt.

An dem Tag, an dem friedlich im Wald Pilger mit Vermummten sich unter das Zeichen des Kreuzes stellten ehe sie weiter ziehen in Richtung Lich-Steinstraß, dem Ort der bereits einem Tagebau weichen musste, an dem Tag, da improvisierte Tischgemeinschaft gefeiert wurde, werden auch Polizisten mit Steinen beworfen und ein Beamter antwortet mit einem Warnschuss in die Luft. An diesem Tag werden der Kreis Düren und die Stadt Kerpen vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) angewiesen, am Folgetag mit der Räumung des Hambacher Forsts zu beginnen.


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