Berlinale 2012 – Cäsar muss sterben

    Der Goldene Bär für den besten Film geht an die Gebrüder Taviani.

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    Shakespeare-Filme erfreuen sich stets großen Zuspruchs und Gefängnis-Filme beanspruchen einen eigenen Platz im Genrekino. “Cäsar muss sterben”, frei nach “Julius Cäsar” von Shakespeare inszeniert, ist beides und doch ganz anders. Denn eigentlich handelt es sich hierbei um einen Dokumentarfilm. Da er aber das „THEATERSPIELEN“ dokumentiert und zwar sehr fesselnd und mitreißend, verlieren wir uns im Nu in der Geschichte, ganz wie in einem echten Spielfilm. Es liegt ohnehin im Trend, weitgehend auf einen Off-Kommentar zu verzichten, um allein die Bilder, die Landschaften in den Gesichtern oder die Persönlichkeiten sprechen zu lassen. Die Gesichter in diesem Film sind außergewöhnlich markant, ausdrucksstark und haben überdurchschnittlich viel erlebt. Die Charaktere, denen diese Gesichter gehören, haben Leiden verursacht und selbst gelitten. Sie gehören Gefängnisinsassen, die wegen Mordes, Rauschgifthandels oder Bandenzugehörigkeit zu Mafia oder Camorra im Hochsicherheitstrakt des Rebibbia-Gefängnisses in Rom einsitzen und nun innerhalb der Sicherheitszone zu Shakespeare-Darstellern auserkoren werden.

    Die Männer, nicht selten ausgestattet mit der Anmut von Gladiatoren-Körpern, müssen sich um die Rollen bewerben, d.h. vorpreschen, eh, vorsprechen, nur ihren Namen sagen, wann sie geboren sind und woher sie kommen. Schon hier sind die meisten als sprühende Naturtalente erkennbar. Sie überraschen mit Mimik, einem Kalt-Warm-Umschlag aus Ernst und Komik, mit Gesten oder mit sehr „INDIVIDUELL“ gestalteten Bewegungen als Extra-Einlage. Sie sollen ihre Kurz-Vita einmal traurig und einmal wütend vortragen. Ihnen lauschend, merken wir sogleich: Es gibt offensichtlich noch einige eruptive Vulkane mehr neben Ätna und Vesuv. Kaum vorzustellen, dass der Klang dieses so ursprünglichen „ITALIANO“ in Deutschland wegsynchronisiert wird. Alle Darsteller sprechen zudem im Original ganz bewusst in ihrem Dialekt. Bleibt zu hoffen, dass die Knackies knackig bleiben und als wehleidige Machos sprachmelodisch unkastriert.

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    Faszinierend: Der Film macht erlebbar, wie sich die eigene Biographie der Hardcore-Insassen mit dem Blut von Shakespeares Opfern mischt. So kann der Darsteller des Brutus, Salvatore “Zazà” Striano plötzlich nicht weiterspielen und bricht fast zusammen, weil seine Shakespeare-Rolle, sich mit dem Sein im wahrhaftigen Leben so sehr überschneidet, ja, deckt.

    An dieser Stelle sehen wir übrigens eine deutliche Parallele zu dem derzeit interessantesten deutschen Film: “Die Unsichtbare”. Die gesteigerte Spannung rührt auch dort von dem Kitzeln und Kratzen der Wirklichkeit an der Rolle bis hin zur schmerzhaften Übereinstimmung.

    Italiens Theater-Tausendsassa Fabio Cavalli leistet seit Jahren pädagogische Arbeit im Gefängnis und spielt sich selbst in diesem Doku-Drama. „Cäsar muss sterben” ist beileibe kein Gut-und-Böse-Film, aber er ist fast durchgehend in Schwarz-Weiß gedreht. Die über 80-jährigen Gebrüder Taviani wollten weg von der Realität, wie sie sagen, wollten keinesfalls in TV-Naturalismus verfallen. Sie suchten die künstlerische Verfremdung der Gefangenen- und Gefängnisrealität. Die Härte im Kontrast von Schwarz gegen Weiß, unterstreicht die Präsenz der Gewalt wie etwa auch in Scorseses “Raging Bull (Wie ein wilder Stier)“. Gratulation!

     

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    Peer Kling
    Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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