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Inspiration für das Kuba-Kino?

Acht Stunden hat Stau bedingt die Fahrt nach Lübeck gedauert. „In dieser Zeit hätte ich vier Filme sehen können“, sagt Peer Kling. 24 Filme in fünf Tagen – so sein neuer Lübeck-Rekord. „Kannst Du denn da noch alle Einzelheiten zuordnen und auseinanderhalten?“ „Nein, natürlich nicht, aber ich kann sozusagen die Sahne abschöpfend Empfehlungen für das Kuba-Kino geben, auch wenn ich 172 Filme des Festivals verpasst habe. Um wirklich alles zu sehen, müsste man sich 8-fach klonieren lassen.“

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Der schwedische Regisseur Richard Hobert war mit seinem Film "Der Sohn des Vogelfängers" zu Gast in Lübeck. Foto: Nordische Filmtage
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Gegen den Strom, der Gewinner des Publikumspreises im Vorjahr hatte auch in Jülich großen Erfolg. Da bin ich mir beim diesjährigen Gewinner ebenfalls sicher, auch wenn es sich um einen völlig anderen Film handelt. Aki Kaurismäki war mit seinen Filmen Le Havre und Die andere Seite der Hoffnung zu Gast im Kuba. Im letztgenannten Film spielt ein Restaurant, dem die Besucher ausgehen eine gewisse Rolle. Ähnliche Situation in dem neuen Film von Akis zwei Jahre älterem Bruder Mika Kaurismäki. Der Absolvent der Münchner Filmhochschule Mika stand immer etwas im Schatten seines Bruders Aki. Ich kann mich an keine Vorführung eines von Mika gedrehten Filmes im Kulturbahnhof erinnern. Das wird sich nun alles ändern. Meister Cheng hat mich von allen diesmal in Lübeck angeschauten Filmen am meisten ge- und berührt. Am Drehbuch von Mikas langsam und linear erzählter Komödie haben neben ihm auch Hannu Oravisto und Sami Keski-Vähälä maßgeblich mitgewirkt. Das Ergebnis ist im Gegensatz zu bisherigen Kaurismäkeleien ein rein positives Welt-, Landschafts- und Menschenbild in dieser märchenhaften China-Finnland-Begegnung ganz ohne Gewalt, Alkoholexzesse oder Drogenabstürze. Das Zauberwort Entschleunigung bahnt sich den Weg durch den gesamten Film. Ein chinesischer Koch landet gemeinsam mit seinem Sohn im nordfinnischen Nirgendwo. Eigentlich wollte der Koch aus Dankbarkeit nur kurz einen finnischen Freund aufsuchen. Sirkka, die ein schlecht gehendes Restaurant betreibt, bietet den Gestrandeten Quartier. „Ran an die Töpfe“, denkt sich der Chinese und beginnt die bis dahin auf Bratkartoffel- und Würstchen-Niveau dahinvegetierende Küchenkunst mit seinen mitgebrachten, wie ein Schatz sorgsam verpackten Küchenutensilien und Gewürzen zu konfrontieren. Alles in der Welt wird anders, jedenfalls in diesem Mikrokosmos des finnischen Nordens, genannt Lappland. Der Darsteller des Meister Cheng ist der in seiner Heimat sehr bekannte Theaterschauspieler Hong aus Hong Kong. So hat ihn seine Filmpartnerin Anna-Maija Tuokko, im Film die Restaurantbesitzerin Sirkka, in Lübeck charmant eingeführt. Ja, ein Liebesfilm, mit der Vaterliebe zum Sohn, mit der Liebe zur Natur und mit der Liebe zum Essen als Gesamtkonzept für körperliches Wohl samt Seelenfrieden und Heilwirkung gegen fast alles. Und ob die Fremdenpolizei es schafft, die beiden Vorherbestimmten auseinander zu bringen, werde ich hier wohl kaum verraten. Hast Du schon einmal gehört wie chinesische Saiteninstrumente finnische Tangoklänge interpretieren? Die Begegnung dieser beiden gegensätzlichen Kulturen auf verschiedenen Ebenen ist äußerst reizvoll. Das Wunder dieses Films besteht für mich darin, dass sich die Aneinanderreihung von eigentlich wenig spektakulären Einzelszenen nach und nach zum emotionalen Urknall verdichtet.

Stummfilme im Schuppen 6, Franz Danksagmüller, 61.Nordische Filmtage Lübeck.
Foto: Olaf Malzahn

Je weiter nördlich man in Skandinavien kommt, desto rauer zeigen sich die Urgewalten der Natur. Der daraus resultierende Charakter und Lebensstil der Norweger zeigt sich in dem Film Pferde stehlen von Hans Petter Moland. Die Kamera-Arbeit von Rasmus Videbæk gewann in Berlin den Silbernen Bären. Die Streifzüge im norwegischen Hochland nahe der schwedischen Grenze gehen als Oskar-Kandidat für Norwegen ins („Pferde-“) Rennen. Mein Lieblingsschauspieler Stellan Skarsgård (Er kann spielen, was er will, ich bin dabei.) kehrt 1999 in der Rolle des nun gealterten Trond nach 51 Jahren zurück in seine norwegische Heimat. Vor der Entdeckung des Öls 1969 war Norwegen ein armes Land. Die Rückblenden ins Jahr 1948 erzählen die von Schicksalsschlägen aufgebrachte Gemeinschaft der Landbevölkerung. Unter der Schneedecke liegen Traumata und Schuldgefühle.
Dieses Jahr war Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse. Schon viel vorher haben sich Literaturkritiker aus den USA für Autoren wie Per Petterson interessiert. Sein dem Film zugrunde liegender gleichnamiger Bestseller wurde in 50 Sprachen übersetzt. Der Film zeichnet in atemberaubenden Bildern einerseits, in stillen Momenten andererseits, die Hoffnungen, die Erwartungen sowie das Glück und das Unglück einzelner, durchweg wunderbar dargestellter Figuren, deren Verflechtungen miteinander dem Zuschauer allerdings eine gehobene Aufmerksamkeit abverlangt. Pferde stehlen läuft seit November in deutschen Kinos.

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Der Sohn des Vogelfängers
Die Färöer sind eine autonome, zur dänischen Krone gehörende Inselgruppe. Die 18 vulkanischen Felseninseln im Nordatlantik zwischen Island und Norwegen bieten ein einzigartiges Naturschauspiel. Die Steilküste beheimatet 1000de von Seevögeln. Ein magischer Ort für einen Spielfilm, fehlt noch die Story. Und die bekam der schwedische Regisseur Richard Hobert von einer Frau am Telefon in zwei Minuten erzählt, wie er in Lübeck berichtete. Wir schreiben das Jahr 1800. Die dritte Tochter des Vogelfängers Esmar (Rudi Køhnke) und seiner Frau Johanna (Vigdis Hentze Bjørck) kommt gerade zur Welt. Nach örtlichem Gesetz läuft der Pachtvertrag für das Anwesen dieser Familie aus, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres einen Sohn vorweisen kann. Ein französischer Kapitän besucht die Färöer regelmäßig mit seinem Segler… Der Rest ist Schweigen, bis es im Film gebrochen wird. 104 Minuten lang abtauchen in ein lebendes Freilichtmuseum mit brillanten Darsteller/inne/n.

Rudi Køhnke als Esmar und Vigdis Hentze Bjørk als Johanna in „Der Sohn des Vogelfängers“. Foto: Nordische Filmtage

Die Spionin erzählt unter der Regie von Jens Jonsson die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der norwegisch-schwedischen Schauspielerin Sonja Wigert, die in der Zeit des zweiten Weltkrieges als Doppelagentin tätig war, wie erst 2006 publik wurde. Die differenzierte Darstellung der komplexen Titelheldin durch Ingrid Bolsø Berdal zeigt, wie ihre Freiheitsgrade mit zunehmender Spionagetätigkeit immer enger, die nicht abzulehnenden Angebote immer drückender und das Liebesleben immer auswegloser wird. Der Film lässt die zeitgeschichtlichen Hintergründe transparent erscheinen, so wie es das Multitalent geschafft hat, den ranghöchsten Repräsentanten der deutschen Besatzer Norwegens, Reichskommissar Terboven durch eine vorgetäuschte Liebesbeziehung gläsern erscheinen zu lassen. Den Film die Spionin durchzieht ein bekanntes schwedisches Couplet aus dem Jahre 1940: Das unbekannte Pferd von Troja (Den ökända hästen från Troja). Gesungen wird der Ohrwurm vom damaligen schwedischen Revuestar Karl Gerhard. Von ihm stammt auch der Text. Das Trojanische Pferd aus der griechischen Mythologie steht hier für das nationalsozialistische Deutschland. Der Song enthält überdeutliche Anspielungen an die Besetzungen in Belgien und Frankreich sowie an die Situation in Norwegen, wo Major Quisling „als Papagei die Befehle der Deutschen nachplappert“. Nachdem die gewählte sozialdemokratische Regierung Norwegens aufgrund der deutschen Besetzung ins Exil flüchten musste, führte Quisling von 1942 bis 1945 als Ministerpräsident eine von der deutschen Besatzungsmacht eingesetzte Marionettenregierung. Bis heute gilt der Name Quisling als der Inbegriff von Kollaboration und Verrat. Der Wettbewerbsfilm Die Spionin passt sehr gut zur diesjährigen von Jörg Schöning kuratierten und durch Einführungen begleiteten Retrospektive mit dem Titel: Undercover Nord/Nordost – Spione und Geheimagenten im skandinavischen und baltischen Kino. Siehe hierzu die Frühjahrsausgabe der Aachener Filmzeitschrift Kaleizette, die ab sofort im Kuba-Kino ausliegt.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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