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Erfüllungsgehilfe und Sündenbock

Metamorphosen | Von Barbie, Frankenstein und Lazarus

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Metamorphosen | Foto: HZG
Metamorphosen | Foto: HZG
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Stella und Rasmus liegen in der Kiste, die Zügel von Stella hängen heraus und die Kruppe von Rasmus bleibt von nun an ungebürstet. Das Töchterchen der Freunde ist gerade sechs geworden und sie darf jetzt zum Longieren auf den Pferdehof. Wo immer sie ein Pferd sieht, breitet sie die Arme aus und stürmt darauf zu. Ein schöner Anblick, wie da etwas zur Entfaltung kommt anstatt sich zu verpuppen.

Die wohl bekannteste, künstlerische Darstellung einer Verpuppung ist ein Stich von Albrecht Dürer. Ein geflügelter Mensch hockt, mit der Rechten einen Zirkel haltend, mit der Linken den grübelnden Kopf stützend, zwischen Getier und Gerätschaften. Zwar steht am Horizont die Sonne, aber vermutlich geht sie nicht auf, sondern unter. Tut auch nichts zur Sache, denn der Mensch blickt ohnehin nicht ins Offene, sondern brütet, einen verkrüppelten Amor an seiner Schulter, nach innen. Eine Fledermaus schwebt über dem Ganzen und trägt ein Spruchband: Melancholia. Von den Flügeln wird kein Gebrauch gemacht.

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Dieses sich Verkapseln hat Tradition. Da hocken heilige Büßer aller Couleur in engen Gehäusen vor Tranfunzeln, möglichst einen Totenkopf und eine Geißel auf den Knien, um damit jeden Anflug von Entfaltung im Keim zu ersticken. Barfüßig und in Sackleinen gehüllt hat man alles veräußert, nur sich selbst gibt man nicht her, sondern man schließt sich ein und verpuppt sich gegen den Fluss des Lebens.

Puppen sollen Defizite füllen, aber unsere Phantasie ist nun mal ein Abgrund, den man vielleicht überfliegen, aber nicht auffüllen kann. Eine nicht auszulotende Tiefe und ein ewig weißer Fleck auf unserer Landkarte.

Mensch und Puppe sind ein so exemplarischer Stoff, dass er zu den Archetypen zählt und ob als Steifftier oder Barbie, ob aus Muscheln oder Stroh, Puppen finden sich als Freund, Beistand und Fetisch in allen Kulturen.

In Ovids Metamorphosen verliebt sich der Bildhauer Pygmalion, durch amouröse Verletzungen zum Frauenfeind geworden und nur noch für seine Kunst lebend, allmählich in eine von ihm geschaffene weibliche Figur. Eros ist ein machtvoller Gott, der jeden Frevel mit Testosteron- oder Gestagenattacken straft, komplementäre Stoffe, die uns tüchtig Flattern machen. Wir wissen von dem Tanz der Salomé und dem obszönen Objekt, das sich der Surrealist Hans Bellmer fertigte oder von der Nachbildung, die sich Kokoschka von Alma Mahler fertigen ließ, nachdem er von ihr verlassen wurde – detailgetreu bis auf das kleinste Fettpölsterchen an den Hüften.

G.B. Shaw machte daraus ein Bühnenstück und in der Psychologie wird von einem Pygmalion Effekt gesprochen: Erwartungen verändern das Objekt der Erwartung in Richtung der Erwartung. Man kann damit jemanden zum Leben erwecken oder auch umgekehrt. Es geht also um Macht und Ohnmacht. Wir lassen alle mal gerne die Puppen tanzen, doch der gesicherte Zugriff auf die Erfüllung der Begierden kann natürlich nur durch ein Objekt gewährleistet werden und der Preis für diese Gewährleistung ist dann die Leblosigkeit. Die des Objekts und die des Nutzers, ein Spiel mit aufblasbaren Sex-Puppen.

Eine dämonische Variation erfährt das Thema bei Oskar Wildes Geschichte „Das Bildnis des Dorian Gray“. Darin wird ein Gemälde zum Träger des Alterungsprozesses, während der Porträtierte selbst allen Exzessen zum Trotz jugendlich und strahlend bleibt und mit dieser puppenhaften Erscheinung der Umwelt unverdächtig auch weiter sein Unwesen treibt. Ganz gleich ob Golem, Frankenstein oder Cyborg, auch die Puppen gehen mit der Zeit, ihnen allen ist eigen, dass sie übermenschliche Kräfte besitzen und natürlich ist da wieder mal der Wunsch der Vater des Gedankens.

In jeder Puppe steckt ein Schmetterling.

So formt der kreative Geist in vielen Schöpfungsmythen die menschliche Figur aus Lehm (Puppe) und bläst ihr den Funken ein (Mensch), ein Funke, der nun im irdenen Gefäß umherflattert und auf Ausbruch und Befreiung sinnt (Schmetterling).

Ich erinnere mich noch deutlich an mein kindliches Erschrecken über das Schlagen und Pochen im Inneren meiner kleinen, aufeinander gepressten Hände, in denen ich den von der Blüte erwischten Falter gefangen hielt. Unter dem Schlagen öffnete ich sie wie unter Zwang und der Falter flatterte davon. Aber meine Innenhand trug die Farben des verwischten Pfauenauges. So sind wir inwendig wohl alle von unseren Flügelschlägen überpudert.

Der Schmetterling steht in vielen Kulturen als ein Symbol für die Seele, was immer man darunter auch verstehen mag. Periodische Ausbruchsversuche sind da unumgänglich und so haben natürlich die Pappkameraden der Phantasie, die Nubbel oder der Lazarus Strohmanus bei unserem Thema Pate gestanden. Wir kommen um den Karneval nicht herum. Das wollen wir auch nicht. Im Gegenteil, denn Karneval ist, wenn die Phantasie des Schmetterlings die Macht ergreift und mit dem abgesetzten Alltag auch die akzeptierten Rollen die Gültigkeit verlieren. Aus der gesellschaftlich akzeptierten Puppe bricht mit den bunten Flügeln schlagend das Alter Ego hervor, um sich zu wogenden Schwärmen zu sammeln und auf den göttlichen Atem zu pochen und das damit verbriefte Recht auf schunkelnde Wunsch-welten lärmend einzufordern.

Und wenn dann doch wieder alles viel zu rasch vorbei ist und der Nubbel verbrannt, ersäuft oder welche Grausamkeiten ihm sonst noch angetan wurden, dann wird damit auch seine Rolle klar: er ist der Sündenbock. Er büßt all die süßen Sünden der Schmetterlingsträume, damit dann am Aschermittwoch dann wirklich alles vorbei ist und sich jeder wieder in die Puppe zwängt. Doch ob dann nun tatsächlich alles vorbei sein muss, da hätten wir durchaus ein Wörtchen mitzureden.

Haben wir doch endlich Mitleid mit dem Strohmanus, werfen wir ihn nicht mehr in die Rur, sondern hängen wir ihn uns doch lieber als Glücksbringer an den Rückspiegel, während auf dem Beifahrersitz Augenklappe und Säbel, Federschmuck und Kriegsbeil, Pappnase und dicke Trumm für unkontrollierte Falterflüge in närrischer Bereitschaft liegen.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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