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Schwing den Besen!

Mensch Puppe ...

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MenschPuppe - Lazarus | Foto: HZG
MenschPuppe - Lazarus | Foto: HZG
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Letztens sah ich bei Facebook ein Foto mit der Überschrift „Sein erster Besen“. Auf dem Foto strahlt mich Frank Müller an, die Kappe der historischen Gesellschaft Lazarus Strohmanus auf dem Kopf und den ersten selbstgebundenen Besen in der Hand, Daumen hoch.

Kindheitserinnerungen wurden vor meinem inneren Auge wach. Plötzlich sah ich die Hexe Schrumpeldei und ihre Tochter Schrumpelmei, die kleine Hexe, Bibi Blocksberg und ok, auch Hexe Lili, vor mir. Sie alle reckten mir stolz ihre Hexenbesen entgegen. Magische Besen, die die eigene Kraft steigern, mit denen sich diese Zauberwesen durch die Lüfte begeben können. Vorrangiges Ziel der meisten dieser Hexen liegt im Harz auf dem Brocken, wo sie sich am 30. April eines jeden Jahres in der sogenannten Walpurgisnacht treffen.

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Die Mitglieder der historischen Gesellschaft Lazarus setzen ihre Besen nicht in der Walpurgisnacht, sondern vor allem am Veilchendienstag ein. Und wie mir die Hexen meiner Kindheit ihre Zauberbesen entgegen recken, so machen es die Lazarusmitglieder auch. Nicht nur mir: Ganz Jülich darf teilhaben; den ganzen Veilchendienstag lang. An jeder Eck steht hier schließlich ne andre Jeck. Es wird gepreckt, Spottverse erklingen, ein Schnäpschen in Ehren.

Symbol der Gesellschaft ist nicht, wie man jetzt vielleicht annehmen könnte, ein Besen, sondern eine Strohpuppe, die von den Mitgliedern eigens jeweils zu Jahresende gefertigt wird. Sie wird, genau so wie die Mitglieder der Gesellschaft, mit dem traditionellen blauen Kittel und der weißen Hose eingekleidet. Am Sonntag nach Dreikönig erfolgt dann die Taufe, denn Lazarus, so der Name der Puppe, hat eine wichtige Aufgabe, für die er jede Stärkung braucht.

Und zu seinen Ehren werden die Besen hergestellt. Eigens dafür ist eine Besengruppe mit ca. 40 Mitgliedern verantwortlich. Da es keine Besenbinder mehr gibt, haben die Lazarusmitglieder vor einigen Jahren einen Besenbinder-Lehrgang besucht und holen seither die Heide aus dem benachbarten Belgien ab und binden daraus professionell die wichtigen Besen. Und ich bin sicher, nur die Mitglieder der historischen Gesellschaft sind in der Lage, die Besen an Veilchendienstag mit dem entsprechenden Verve durch Jülich zu tragen und choreographisch einwandfreie Tänze rund um das Sprungtuch vorzuführen. Ich glaube, diese Besen besitzen wirklich dieses gewisse magische Etwas. Wie gut, dass wir Jülicher unsere historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus haben.

Der Veilchendienstag ist der wichtigste Tag für die historische Gesellschaft. Der Umzug durch die Herzogstadt ist ein uralter Brauch. Alle Jülicher Karnevalisten eint die Freude über stimmungsvolle Karnevalstage. Und alle eint auch die Trauer über das Ende der Session. Dieser harten Realität schaut man vereint ins Auge. Unter vorgespielter Trauer und bühnenreifem Wehklagen wird Lazarus von einer Rurbrücke aus ins kalte nasse Grab geworfen, nachdem er den ganzen Tag schon für die Schuld und die Sünden der Jülicher Bürger demütig gebüßt hatte. Klaglos nimmt er all das hin.

Das Begräbnis sucht seines Gleichen. Viele, viele Jülicher kommen zusammen. Mit müden Augen, teilweise noch im Kostüm, manch einer mit einer (Alkohol-) Fahne. Und die älteste Gesellschaft dieser Art in Deutschland lässt es sich nicht nehmen, Lazarus ein würdiges Begräbnis zu bereiten. Zum Jülicher Fastnachtsbrauch gehört seit über 300 Jahren die historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus.

Die Jülicher haben großes Glück, dass ein Traditionsverein sich ihrer Schuld annimmt.

Und wieder flackert etwas vor meinem inneren Auge auf. Plötzlich ist da dieser eine Dienstagabend. Es ist dunkel und es ist kalt. Ich sitze auf dem Balkon, warm eingepackt. Da ertönt ein lautes Krachen und der Himmel erstrahlt in allen Farben des Regenbogens. Gibt es eine schönere Art, sich zu verabschieden? Das Feuerwerk, welches den traditionsreichen Tag beschließt, ist wieder einmal wunderschön. Und mit ein paar besonders lauten abschließenden Feuerwerkskörpern verabschiedet sich die Jülicher Karnevalssession vereint in die Fastenzeit.

Mein Blick schweift vom Balkon aus Richtung Rurdamm. Im Winter kann man die Rur von hier aus gut sehen – im Sommer leider dank der Renaturierung nur erahnen. Die Böschung gleicht dann – und dies jährlich zunehmend – einem Dickicht, undurchdringlich, verwildert. Jetzt verfängt sich mein Blick in den Kastanienbäumen, die einst eine herrliche Allee entlang des Rurdamms bildeten. Heute sind manche nicht mehr wirklich als Baum zu bezeichnen, ziemlich gespenstig wirken sie in der Dunkelheit. Einige ziert ein weißes „x“ – bald wohl schon Opfer der Kettensäge. Zur Pein der Kastanienkrankheit sind viele der wundervollen alten Bäume auch noch von Herbststürmen heimgesucht geworden. Und im Sommer möchte man weinen, wenn die Blätter der einst so stolzen Bäume von Krankheit gezeichnet allzu früh verwelken und ein unschönes Vorzeichen des Herbstes verkünden.

Das weiße „x“ kann ich selbst in der Dunkelheit erahnen.

Liegt das daran, dass die herannahende Nacht gerade ganz sanft erhellt wird? Nicht viel mehr als ein Kerzenschein, sanft aufflackernd, ist wahrzunehmen auf der Rur. Auf der Rur? Ja, tatsächlich. Da schwimmt etwas. Und dieses Etwas scheint zu brennen. Noch immer. Einige hundert Meter entfernt war es unter ritualisierten Gesängen ins kalte Grab der Rur geworfen worden:      Lazarus.

Melancholie breitet sich in mir aus. Wie oft saß ich hier? Wie viele Jahre lebe ich hier? Wie oft habe ich schon dem Begräbnis beigewohnt? Nie zuvor jedoch sah ich Lazarus brennend, im Wasser der Rur treibend, so an mir vorbeiziehen. Ganz ruhig. Im Fluss. In aller Demut.

Eine kleine Träne läuft mir die Wange herab.

Lazarus ist inzwischen einige hundert Sichtmeter aus meinem Blickfeld entschwunden. Ich kann meinen Logenplatz auf dem Balkon verlassen, meinem Kind eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen – vielleicht aus dem Kindheits-Hexen-Repertoire – und die Karnevalskiste packen, sie mit Mottenpapier und einem letzten wehmütigen Seufzer im Keller verstauen.

Und auch das sehe ich vor meinem inneren Auge: Am nächsten Morgen wird es heißen: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist!“ Leise murmelt der Priester diese beschwörenden Worte, während er den Gläubigen das sogenannte Aschekreuz auf die Stirn zeichnet. Asche, gewonnen aus den Palmzweigen des Vorjahres. Ihr obliegt eine große symbolische Kraft. Alles, was übrig bleibt, wenn etwas verbrennt, ist Asche. Sie ist leblos, Zeichen der Vergänglichkeit und des Todes. Aber sie ist auch Zeichen der Reinigung. Früher nicht nur im übertragenen Sinn. Da wurden schmutzige Töpfe mit Asche gereinigt.

Der Priester malt ein Aschekreuz auf die Stirn der Gäubigen. Das Kreuz ist das Zeichen für Jesus. Er hat alles durchkreuzt, das Vergängliche, den Tod. Mit ihm beginnt das neue Leben. So verbirgt sich hinter dem Aschekreuz eine Zeit der möglichen Umkehr zu neuem Leben.

Mit dem Aschermittwoch wird die Fastenzeit eingeläutet. Das, was es von der Kirche kostenlos gibt, vielfach und teilweise auf schönstem Stammtischniveau argwöhnlich belächelt, haben findige – sehr weltliche – Anbieter inzwischen für sich entdeckt und besetzt. Bereitwillig und durchaus zu Höchstpreisen wird überall nahezu volkssportartig gefastet. Eine einträgliche Geldquelle.

Nicht nur gängige Hochglanzmagazine überbieten sich mit Erfolgsversprechen und preisen ihre Fastenkuren an. Auch Fernsehformate finden immer wieder bereitwillige Probanden, die ihre Röllchen unvorteilhaft und mit der Einladung zum Fremdschämen zur Schau stellen.

Ich sehe die Hexe Schrumpelmei kichernd auf einem Staubsauger am nächtlichen Himmel vorbeisausen. Sie ist eine Trödeltante und nimmt daher statt des Zauberbesens den Staubsauger, um doch noch pünktlich zur Walpurgisnacht zu kommen. Ich wünschte, sie würde ihren Staubsauger einmal auf die unsäglichen Fernsehreality-Shows richten und sie ein für alle Male aufsaugen.

Solange baue ich auf die historische Gesellschaft Lazarus mit ihren Besen und vor allem der Strohpuppe Strohmanus. Ich hör Lazarus rufen: „Em nächste Johr komm ich dann zoröck, da senn de Lüt schon janz verröck. Jo wenn ich neu jedööf dann ben, hott alles singe Senn.“

  


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