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Somewhere over the rainbow

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Lichtbrechung durch ein Prisma | Foto: HERZOG
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Der Sommer ließ zu wünschen übrig und die kleine Tochter eines Freundes malte ihn mit schwarz-violetten Gewitterwolken über geduckten Blumengärten und einem Regenbogen, den sie als kunterbunten Schlussakkord quer über das Ganze setzte. Da der Bogen erst erscheint, wenn das Unwetter wieder abzieht, erlangte er früh Symbolwert und Mythen begannen sich um ihn zu ranken. Einen Topf mit Gold gäbe es zu finden, wo er die Erde berühre, hieß es oder dass er ein Versprechen sei, dass die Erde, wenn schon von solchen Sommern, doch nie mehr von einer Sintflut heimgesucht werde. Und so blicken wir ihm wie Judy Garland im „Der Zauberer von Oz“ in ein Traumland hinterher, das in uns selbst liegt. „Somewhere over the rainbow“, und der Oktavsprung am Anfang des Refrains katapultiert uns hinüber in die Wunschwelt.

Dort geht es mächtig rund und im Gegensatz zum Bogen, der seine Farben in strenger Ordnung von warmen nach kalten Tönen auffächert, eher so turbulent und schillernd wie in der gleichnamigen Presse. Für den Maler ist er von Bedeutung, weil er alle 7 „reinen“ Farben enthält, aus denen jeder andere Ton zu mischen ist, wobei ich im Gegensatz zur kleinen Tochter des Freundes bunt zu vermeiden suche. Warum? Es gelingt mir kaum noch einmal wirklich naiv zu sein, wie es meine Aufgabe als Künstler wäre. Stattdessen klammere ich mich an Konventionen. So kann es nicht anders sein, als dass ich manchmal wie hypnotisiert auf Gehwegplatten über bunten Kreidebildern verweile und wenn ich dann irgendwann hochschrecke, bin ich sehr weit weg gewesen. Das Bunte ist hartnäckig. Selbst wenn es gelingt, es im Schwarz-Weiß der Tagespflichten zu verdrängen, so feiert es seine Auferstehung spätestens in den neonfarbenen Regenbögen, die in den sich ausdehnenden Citys über die Gesichter huschen und auf dem feuchten Asphalt schimmern.

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Kunstlichtwelten. Toulouse-Lautrec hat sie als Erster gemalt, Welten aus grellroten Lippen, violetten Lidschatten und grünen Absinthen, die ihn seine Verkrüppelung vergessen machten. Max Beckmann gab sich hier gern als bunter Hund, mal mit Frack und Havanna im Foyer der Oper, mal mit Faschingsmaske und Champagnerglas, die Flügeltür zu einer obskuren Einrichtung aufstoßend und das Überfluten der Farben durch das Schwarz seiner Linien eindämmend und uns in etwas Deutbares verwandelnd. Die Stadt, die niemals schläft, der schillernde Cocktail unserer Wünsche ist von nun an das Thema, ob im Film, in der Literatur oder der Malerei der „Jungen Wilden“ in ihren Kreuzberger Lofts.

Mein letztes Atelier in Köln war auch ein Loft, in Ehrenfeld, in der Lichtstraße, direkt neben der „Live Music Hall“. 1972, als ich nach Köln kam, war das noch eine Industriestraße mit einem Pförtnerhäuschen am Eingang und hatte man keinen Lieferschein, kam man da nicht hinein. Das ganze Viertel war industriell. Da gab es die Eisenstraße, in der Kohlenstraße ragten die Förderbänder über ummauerte Innenhöfe und in der Lichtstraße wurden wirklich Leuchtkörper hergestellt. Die Produktion wanderte ab, stattdessen begann das Licht selbst den Bezirk zu erobern, der bunt und bunter zu erstrahlen begann, wie eine entzündete Vene, wie Beaudelaire das ausdrückte.

Anfänglich hatte das Viertel völlig lichtlos in der nächtlichen Skyline gelegen, so als hätte man einen blinden Fleck auf der Netzhaut. Aber wenn man sich hineinwagte und lange genug über Kopfsteinpflaster und Schienenstränge geirrt war, vorbei an mit Metallprofilen beschlagenen Laderampen und durch das Wuchern von Holunder und Schmetterlingsflieder, dann tauchte plötzlich in den auf Nachtsicht geschalteten Augen der Feuerschein der Räuberhöhle mit dem Schriftzug „Bel air“ auf.

Eine ehemalige Werkstatt mit 5 weißstämmigen Birken davor und einem Circuswagen und wenn man den Betrag in die Kasse warf, empfing man einen Stempel auf den Handrücken und Sesam öffnete sich. Ein enger Gang mit Plattenhüllen tapeziert, dann ein Vorhang tanzender Leiber. Dazwischen in Ausschnitten auf der niedrigen Bühne ein Schlagzeug, die verchromte Hardware blitzte, Instrumente lehnten an den Verstärkern, die damals noch legendäre Les Paul und die Stratocaster und unter den rot funkelnden Standby Lichtern ringelten sich auf dem Bühnenboden die in Spiralen gedrehten Gitarrenkabel wie in einer elektrischen Schlangengrube. Zigarettenrauch floss aus ungezählten Gefäßen zur Decke, um sich dort zu einer Wolke zu sammeln, aus der es im Beat Rot, Gelb und Blau herab zuckte, dazwischen Regenbögen von Budweiser und Coca-Cola.

Die „Live Music Hall“ entstand, als man dieses Atoll einebnete, um 10geschossige Blocks darauf zu errichten. Wohntürme, die man bunt anmalen musste, damit sie den Kindern unterscheidbar waren. Nachmittags saß ich oft im Hof auf der Treppe meines Ateliers zwischen Werbebüros und Filmfirmen und hörte zu, wie sich nebenan die Bands warm spielten. Die Halle hatte ein gewisses Renommee. Newcomern war sie ein Sprungbrett und ehemaligen Größen das Nachglühen ihres Sonnenuntergangs, so dem „Fleetwood Mac“ Gründer Peter Green oder den „Canned Heat“, mit einem letzten Mitglied der Originalbesetzung. „Woodstock“ war schon ein Mythos und was irgendwo im Umkreis noch lange Haare trug, schien sich dort eingefunden zu haben. Buntes Volk mit Kaftanen und Ketten, die das „I´m on the road again“ einstimmten.

Das Viertel wurde hip, die Parkplätze knapp, die Lofts Locations und das Atelier unbezahlbar und auch ich war wieder „on the road“. In Köln Zollstock fand sich ein neues Atelier, in einer ehemaligen Wäscherei, im Souterrain unter mir baut der Karnevalsverein am Festzug, die Straßenbahn hält beinah vor der Tür. Die Linie 12, in 30 Minuten könnte ich in Ehrenfeld sein. Aber als ich aufspringen will, verheddert sich mein Blick in Kreidespuren auf dem Trottoir und als ich endlich hochfahre, ist der Zug abgefahren.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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