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Auftrittsverbot

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Wo spielt die Musik? Foto: Volker Goebels
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Wenn der Applaus das Brot des Künstlers ist, wie es der Publizist und Verleger Johannes Gross einmal gesagt hat, dann ist der Auftritt die Arbeitsstelle. Dies gilt umso mehr, wenn nach Aussage des Poetry-Slammers Tobias Beitzel das Brot das Brot des Künstlers ist, das er auch irgendwie bezahlen muss. Doch wie sieht die Situation speziell von Musikern in Zeiten von Corona aus, wenn Auftritte reihenweise abgesagt werden und noch lange nicht erkennbar ist, wann wieder Konzerte möglich sind?
Drei Auftritte hatte Manuela Riedel im vergangenen Jahr, darunter 25 Jahre Jazzclub. Dieses Jahr ist bisher eines im September geplant, aber ob dies stattfinden kann, stünde noch in den Sternen. Manuela Riedel befürchtet, dass aus der Corona-Pandemie ein Clubsterben resultiert, allein schon wegen der ausstehenden Miete. Sie selbst sei froh, dass sie noch ein Standbein an der Musikschule Jülich hat.

„Ich mache drei Kreuze, dass ich nicht mehr Konzertveranstalter bin“, unterstreicht Gitarrist Hajo Hintzen. Seit 2006 veranstaltet er nur noch sporadisch Konzerte. Davor hat er insbesondere im Bereich der klassischen Gitarre Auftritte organisiert, darunter das Internationale Festival AquisGran Guitarra in Aachen. Letztes Jahr hatte er selber zwei Auftritte, etwa zehn weitere sind ausgefallen. Normalerweise seien es im Schnitt zwischen 10 und 20 im Jahr. Das fiele bei ihm allerdings nicht so sehr ins Gewicht, weil er sein Hauptbrot als Musikpädagoge am eigenen Studio Six and Four in der Jülicher Kölnstraße und in der Jülicher Musikschule verdient.

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Da ist Stefan Palm mehr betroffen. Die öffentliche Seite seines künstlerischen Lebens fällt völlig flach: Drei Konzerte habe er 2020 gegeben, zwei davon Benefizkonzerte, also für den guten Zweck ohne Vergütung. „Sagen wir‘s mal so: Ich habe nur noch die Hälfte meines Einkommens.“ Als Absicherung habe er immer noch seinen Professorenjob an der Hochschule für Kirchenmusik der Diözese Rottenburg-Stuttgart, deren Rektor er zudem ist, im Gegensatz zu denjenigen, die keine feste Anstellung haben.

Stefan Palm. Foto: privat

Einige hätten sogar ihren Job aufgegeben, fahren beispielsweise Bus oder lebten mittellos von Hartz4, erklärt er: „Wenn man bedenkt, was für eine qualifizierte Ausbildung mit langem Studium sie teilweise haben.“ Er steht selber allerdings voll hinter den Einschränkungen und macht den Politikern keine Vorwürfe. Immerhin habe er selbst im näheren Umfeld erlebt, welche Auswirkungen Corona auf die Menschen hat. Ob dabei von staatlicher Seite immer die richtige Wahl getroffen würde, wer gerade seinen Beruf weiter verfolgen dürfe und wer nicht, wolle er hingegen nicht beurteilen. Letztlich seien allerdings auch Konzerte unter Sonderbedingungen keine wirkliche Lösung: „Wenn Du dann Beschränkungen hast und statt 1000 Leute nur noch 200 in den Saal lassen kannst, ist das finanziell auch nicht mehr tragbar.“

Brave Steuerzahler
nicht Systemrelevant

Zudem seien viele Förderungen für Konzerte eingestellt, erklären wiederum Posaunist Jörg Tetzlaff und Trompeter Klaus Luft. Auch sie profitieren von ihrer Anstellung an der Musikschule Jülich. Das Problem wirke sich sogar auf die Zukunft aus, wie Klaus Luft unterstreicht: „Selbst wenn es am heutigen Tag Corona nicht mehr gäbe, könnten wir gar nicht arbeiten, weil alle keine Proben hatten.“ Allein die Chöre bräuchten mindestens ein halbes Jahr, um wieder auftrittsfähig zu sein.

Bei Jörg Tetzlaff, der auch die stellvertretende Musikschulleitung inne hat, fällt damit sein zweites Standbein weg. Statt normalerweise 60 oder 70 Konzerte pro Jahr kam er 2020 auf fünf oder sechs. Durch sein festes Einkommen von den Musikschulen habe er sich nie mit den Fördertöpfen des Bundes befasst: „Lass das für die Leute, die es nötig haben.“ Jedoch seien Corona-Soforthilfen nur zum Bruchteil ausgeschöpft worden, da diese nicht mehr wie ursprünglich für allgemeine Liquiditätsengpässe vorgesehen waren, sondern als Ausgleich für Betriebskosten. Dadurch bestehe eine Unsicherheit, inwieweit diese Gelder zurückgezahlt werden müssten, zumal kaum Betriebsausgaben wie Fahrtkosten oder Raummieten entstehen, wenn gar keine Veranstaltungen stattfinden – quasi ein Teufelskreis. So mussten viele Künstler, die zuvor das Jahr über gut verdienten, für ihre Grundsicherung auf Arbeitslosengeld 2 zurückgreifen.

„Das finde ich hochdramatisch, Leute, die ganz brave Steuerzahler sind, dann im Grunde als nicht systemrelevant hinzustellen und ihnen zu sagen: ‚Gehn Sie mal stempeln! Gehn Sie mal zum Amt!‘ Um es platt auszudrücken.“ Die Kollegen, die im ersten Lockdown in das Arbeitslosengeld 2 geraten sind, durften deswegen nicht auftreten, als es mit kleinen Konzerten wieder losging. „Da beißt sich ja die Katze in den Schwanz.“ Das Problem sei, dass es so viele Ausnahmen gerade für die ganze Künstler-, Kunst-, Musikerszene gebe, erklärt Tetzlaff. „Für uns sind die Ausnahmen die Regel. Da denkt leider Gottes in der Politik kein Mensch drüber nach.“

Virginia Lisken und Michael Dorp. Foto: Volker Goebels

Virginia Lisken, Musikerin und Veranstalterin, gibt das Beispiel von einem geplanten großen Konzert mit rund 1000 Besuchern. Unter Corona-Bedingungen wären es maximal 500 gewesen, 400 Gäste, der Rest Personal. Sie hatte dafür bereits Angebote für Absperrgitter, Bierzeltgarnituren mit jeweils acht Plätzen und dergleichen eingeholt, insgesamt bereits 10.000 Euro.

Hinzu käme die Entscheidung, wer überhaupt zugelassen würde. „Und wie machst Du das mit den Leuten, die einfach so kommen? Die stehen dann hinter den Absperrgittern von der anderen Seite und schaffen so einen neuen Hotspot. Dann haben wir Leute da, die gar nicht aufs Gelände sollen, die dann aber wieder unter Umständen andere anstecken oder Randale machen.“ Deswegen hat sie von den Planungen Abstand genommen.

Mit ihrer Formation „Summer of Love“ sei sie noch relativ sicher: „Wir haben eine kleine Anlage, wir haben keine Riesenband und keine Angestellten, die für uns als Roadies oder Techniker arbeiten, die ihre Familien ernähren müssen.“ Die Großen seien letztlich die Verlierer. „Wir Kleinen können überall hin.“

Hartz 4 als Hilfe für Berufsverbot

Davon kann Michael Dorp ein Lied singen. Mit dem Trio „Summer of Love“ oder zu zweit mit Gina noch relativ von der Situation profitierend, sei an einer Aufführung der Rockoper „Tommy“ mit seiner fünfköpfigen Formation „Flying Circus“ samt Theatergruppe im Moment nicht zu denken. Geschweige denn Festivals mit „Mad Zeppelin“. Somit lebt auch er hauptsächlich von dem Halbtagsjob, den er daneben noch hat.

Für Olaf Buttler ist das Unterrichten ein Zubrot. Er hat eine Handvoll Schüler in Jülich bei Six and Four und in Düsseldorf und daneben einen 450 Euro Job, der gerade pandemiebedingt zusammengestrichen wird, aus Gründen der Sozialversicherung.

Das Haupteinkommen hatte er bis 2020 durch Konzerte, im Schnitt zwischen 45 und 60 Auftritte pro Jahr. Mit elf grundverschiedenen Formationen bestritt er so seinen Lebensunterhalt. Von Top-40-Galabands über französische Chansons, Rock, Blues bis zu Fusion mit einer Mischung aus Jazz, Rock und Weltmusik, von Schützenfesten über Kneipengigs und Kleinkunst mit Lesung bis zur Nacht der Museen reichte das Spektrum: „Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich nicht versucht hätte, mich innerhalb meines Genres breit aufzustellen.“

Und dann kam Corona… „Ich bin ja nie ein abergläubischer Mensch gewesen, aber Freitag, der 13.3.2020 bleibt mir gut in Erinnerung, dem Wochenende vor dem ersten Lockdown. Da habe ich innerhalb von einem Nachmittag schon 4,5 bis 5.000 Euro nur an Auftritten verloren über das Jahr gerechnet.“ Und nachdem das marginale Polster nun aufgebraucht ist, müsse er sich die Frage stellen, ob er nicht komplett beruflich umsattelt oder gar Hartz 4 beantragt, was er die ganze Zeit zu vermeiden versucht habe aus Angst, dort kaum wieder herauszukommen. Diese Erfahrung habe er bereits vor zehn Jahren gemacht.

Olaf Buttler. Foto: Archiv PuKBSuS | Arne Schenk

Jedes zusätzlich erarbeitete Geld wird von der Leistung abgezogen, so dass er keine Rücklagen bilden konnte, um beispielsweise für den Übergang Geld für die Sozialversicherung zurückzulegen, wenn er Hartz 4 verlassen möchte, weil die Anträge erst nach Monaten greifen. Noch ein Teufelskreis.

Als die Politik versprach, schnell und unbürokratisch zu helfen, hat er im Anblick eines 40-seitigen Förderantrags gedacht: Wo ist das hier unbürokratisch? Zumal die Voraussetzungen, daran teilhaben zu können, für ihn kaum gegeben waren. Wenn er sehe, wie die Wirtschaft andernorts unterstützt, beispielsweise in Sachen Lufthansa oder VW, empfinde er: „Da kann man dann schon mal bitter werden. Aber ich versuche, es zu vermeiden, bitter zu werden.“

Das Ärgerliche sei das Gefühl, mit seiner Tätigkeit in keinster Weise wahrgenommen zu werden oder eine wie auch immer geartete Unterstützung zu erfahren. Die Maßnahmen zu Corona könne er völlig nachvollziehen und unterstützen. „Letztendlich ist da die Coronakrise für mich nur ein Brennglas auf eine Problematik, die wir schon ganz lange hier im Land haben, aber jetzt wird es halt so richtig schön drastisch sichtbar.“

„Ich sehe da im Moment aus meiner Perspektive magere Zeiten auf uns zukommen, und es macht mich doch schier sprachlos, wie unsensibel und wie völlig belanglos ein Land wie Deutschland, das sich das Kulturland der Dichter und Denker nennt, mit dem Thema Kultur umgeht. Das ist erschütternd.“ Für ihn sei hängengeblieben: „Wir haben ein Berufsverbot bekommen, und als Hilfemaßnahme sagt der Staat: ‚Beantrage Hartz 4!‘ Das ist das Credo, und das finde ich erschütternd. Das ist eines Hoch-Kulturlands nicht würdig.“


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