Start Stadtteile Jülich Typischer Rheinländer aus der „radikalen Mitte“

Typischer Rheinländer aus der „radikalen Mitte“

Wer hätte das gedacht: mit mehr als einem Jahr Verzögerung fand die erste städtische Kulturveranstaltung in der neuen Jülicher Veranstaltungsstätte im Stadtgarten des Brückenkopf-Parks, der Muschel, statt. Die Corona-Pandemie hatte bisher jedwede kulturellen Aktivitäten verhindert, immerhin war der Veranstaltungsort schon für zahlreiche Sitzungen des Stadtrats oder der Ausschüsse genutzt worden. Jetzt kam Dave Davis – der „Terrorist der Lebensfreude und des rheinischen Frohsinns“

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Foto: Guido von Büren
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Der 1973 in Köln zur Welt gekommene Dave Davis – im Beamtendeutsch von ihm selbst wegen seiner ugandischen Eltern ironisiert als „Migrant ohne Migrationserfahrung“ bezeichnet – freute sich diebisch, dass ihm als „Brauner“ die Ehre der ersten Kulturveranstaltung in der „Muschel“ zu Teil wurde. Die 200 Zuhörerinnen und Zuhörer hatten dabei allen Grund dazu, sich mitzufreuen. Von Anfang an stimmte die Chemie zwischen dem Comedian, den Viele aus dem Karneval kennen, und dem Publikum, dass er durch direkte Ansprache in sein Programm einzubeziehen wusste. „Watt zum Lachen“ wurde zur Genüge geboten.

Die Botschaft des „Terroristen der Lebensfreude und des rheinischen Frohsinns“ war so einfach wie bestechend: Jeder Mensch ist etwas Besonders, ein toller Typ, ja Königin oder König. Deshalb sollte der Blick auf das Leben grundsätzlich positiv sein. Bei einem Single sei eben das Bett nur halb voll und eine füllige Person sei eben nicht dick, sondern nur gut sichtbar. Das Problem sei einfach, dass zu dem auf Wachstum gründenden Kapitalismus die Werbung gehöre, die uns einrede, was uns alles fehle und was für uns das Beste wäre. Dabei kalauerte sich Dave Davis nicht nur durch das Programm – „Zeugen Seehofers“ für die Bayern oder „dicht ist Pflicht“ als Slogan für einen angesagten Club –, sondern fand immer wieder nachdenkliche Zwischentöne, die eine politische Dimension hatten. So war das Programm ja auch entsprechend betitelt: „Ruhig Brauner! Demokratie ist nichts für Lappen“.

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Davis selbst sieht sich als Vertreter einer „radikalen Mitte“, der vor allem gegen die Feinde unserer demokratischen Grundordnung auszuteilen wusste, ohne dabei selber in die Falle einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit zu tappen. Die Gefahr der Überfremdung der deutschen Gesellschaft sah er nicht, da es Zuzug immer schon gegeben habe und sich schließlich alles Fremde innerhalb weniger Generationen „rauswachse“. In Köln geboren und in Bonn sozialisiert ist Dave Davis ein typischer Rheinländer, was seine Liebe zum rheinischen Idiom erklärt. Dialekte bedeuten Heimat und gleichzeitig Abgrenzung von anderen Sprachräumen, die deshalb manchmal nur schwer zu ertragen seien, wie er angesichts eines Besuchs in Dessau selbst erfahren hatte.

Der Bundestagswahl sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen, wobei für ihn nicht in Frage steht, dass er wählen geht, aber keiner der Kandidaten und Kandidatinnen entspricht seinen Vorstellungen. Besonders enttäuscht zeigte er sich von Annalena Baerbock wegen ihres verpatzten Wahlkampfauftakts, der sie nachhaltig in die Defensive gebracht hätte. Dabei hatte er gerade auf sie große Hoffnungen gesetzt.

Wie dem auch sei, auf den Anfang des kurzweiligen, rund zweistündigen Programms zurückkommenden, forderte er ein positives Denken aller, dass dann auch das Umfeld verbessere. „Talibanöse Typen“ gebe es zur Genüge, den „Terroristen der Lebensfreude“ gehöre die Zukunft, was auch der Besuch beim Proktologen oder die aktuelle Corona-Situation nicht verhindern könne. Lebhafter Applaus zeigte, dass das Jülicher Publikum diese Einstellung voll und ganz teilte.

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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